Landkarte
Srinagar 2 Shivkhori

National Highway 1A (Jammu & Kashmir)

Landschaft zwischen Jammu und Srinagar

Die Gebirgslandschaft ist recht reizvoll

Srinagar–Jammu Road

“Be careful on my curves” © BRO

Liebe Birgit,

der National High­way 1A führt von Sri­nagar über Jammu weiter in den Punjab. Der Ab­schnitt zwischen Srinagar und Jammu ist aus drei Gründen so inter­essant, daß ich ihm einen eigenen Brief widme: Erstens bietet er be­trächt­liche land­schaft­liche Schön­heit, zweitens hohen Unter­haltungs­wert und drittens kann man ein ganz speziel­les Gewürz be­staunen. Ach ja, zu essen gibt es auch etwas. Aber nun alles der Reihe nach.

Zwischen Jam­mu und Srinagar ver­kehren regu­läre Busse der staat­lichen Bus­gesellschaft JKRTC (J & K Road Transport Corporation), private Mini­busse und Jeeps, typischer­weise des Typs Sumo, der auch als „indi­scher Hummer“ be­zeich­net wird. Erstere fallen aller­dings zur Zeit flach, weil seit Wochen ge­streikt wird — angeblich haben die Ange­stellten monate­lang kein Geld gesehen. Des­halb drängen sich in der Morgen- und Abend­dämmerung die Mini­busse und Jeeps am Lal Chowk, einem großen Markt­platz in der Neu­stadt von Srinagar, und die Fahrer werben laut­stark um Fahr­gäste, obwohl natür­lich alle die­selben Preise und Fahr­zeiten an­bieten. Allen­falls können Extras wie “Front seat, sir!” als Allein­stellungs­merkmale dienen. Der Vorder­sitz hat zwar die beste Aus­sicht, ist aber auch mit zwei Nach­teilen behaftet: Erstens muß man immer auf­stehen, wenn irgend­jemand raus- oder reinwill (und das kommt öfter vor als man glauben mag), und zweitens hat man bei einem Unfall die ganz schlechten Karten.

Unfall

“Life is short – don’t make it shorter!” © BRO

Das mit dem Unfall ist keine hypo­the­tisches Gedanken­spiel, sondern eine ganz hand­feste, realisti­sche Option. Alle paar Kilo­meter sieht man ein mehr oder minder rampo­niertes Fahr­zeug, das be­stimmt noch nicht lange dort liegt, und auch die vielen ab­strakten Gemälde am Straßen­belag, die einmal sehr leben­dige Hunde oder Affen ge­wesen sind, geben zu denken. Solange sie leben, sind die Affen übrigens richtige Truck­spotter, die den ganzen Tag im Familien­verband am Straßen­rand herum­lungern und offen­bar die vorbei­rauschenden Fahr­zeuge zählen, wenn sie nicht gerade ein possier­liches (und ziemlich ab­lenken­des) Affen­theater aufführen.

Die BRO (Border Roads Organization), die für Ausbau und Instand­haltung der militä­risch wich­tigen Straßen im Grenz­gebiet zu­stän­dig ist, fühlt sich of­fen­bar auch der Ver­kehrs­sicher­heit ver­pflich­tet und hat ihre eigene Methode, auf das Fahr­verhalten der Kamikaze- äh, Truck­fahrer ein­zuwir­ken: In kurzen Ab­ständen pinselt sie gelbe War­nun­gen an die Fels­wände oder stellt Schilder auf, deren ein­dring­liche War­nun­gen zwecks Mnemo­technik in Form von Wort­spielen oder Knittel­versen verfaßt sind: “Drinking whisky — driving risky” (könnte man auch in Öster­reich auf­stellen, even­tuell als „Zuviel Wein endet das Sein“), “Driving is a pleasure with leisure” oder “This is the valley not a ralley” blieben mir vers­bedingt in Erin­nerung, während Freunde von Al­litera­tionen mit “Always alert, avoid accident” bedient werden und “Life is a journey — complete it” eher wie ein fern­östlicher Weisheits­spruch aus dem Munde des Konfuzius wirkt. Mein Spitzen­reiter war aber “Better Mr. Late than a late Mr”. Ob das wirklich der Kon­zentra­tion dienen kann oder nur das Zwerch­fell unnötig belastet?

Dr. Bengali

Der hilfreiche Dr. Bengali

Jawahar Tunnel, Jammu and Kashmir, India

Im Jawahar-Tunnel

Wenn ich schon beim Thema „propa­gandisti­sche Straßen­dekoration“ bin, dann muß ich Dir auch Dr. Bengali vorstellen. Persön­lich habe ich ihn zwar nie kennen­gelernt, aber die Werbung für diesen (vermute ich) tonischen Stärkungs­trank findet man über­all im J & K-Staat. Obwohl alle hand­gemalt, er­schei­nen diese Reklamen erstaun­lich ein­heit­lich, ganz ver­pflichtet einer Schreib­maschinen-und-Leucht­stift-Ästhetik; Variation findet man nur bei der ersten Zeile, die auch “Get Energy in 7 days” oder so ähnlich heißen kann, aber natür­lich klingt “Solve your SEX problems” schon knackiger. Im islami­schen Kashmir darf man über „solche Dinge“ offen­bar durch­aus reden, zu­min­dest im medizini­schen Kon­text; dazu passend fand ich auch an einer Arzt­praxis in Sri­nagar die Aufschrift “Skin and Sex Con­sultant”. Das muß ein inter­essanter Beruf sein, dachte ich im Vorbeigehen.

Abgesehen von der Deko­ra­tion gibt die Straße aber auch land­schaft­lich durch­aus etwas her. Das Pir-Panjal-Gebirge, das das Srinagar-Tal nach Süden hin be­grenzt, wird mit dem Jawahar-Tunnel zwischen Qazi­gund und Bani­hal durch­stochen. Danach führt die Straße durch dünn­besiedeltes Gebirgs­land, oft schräg entlang hals­breche­risch steiler Hänge, mit der Option, binnen weniger Sekunden gut fünf­hundert Höhen­meter ohne jedes störende Hinder­nis „abzu­steigen“. All­mählich ver­schwin­den dann die Mo­scheen und in Urdu-Schrift bemalten Geschäfts­schilder, und man trifft wieder auf Hindu-Tempel und indi­sche Schrift­zeichen; dann sind es aber immer noch ein bis zwei Stunden bis nach Jammu. Ein Bus braucht für die ganzen 262 km etwa 10 Stunden.

Anardana (Granatapfel) am Srinagar–Jammu-Highway

Eine unzeitige Granatapfelfrucht

Anardana-Frucht

Aufgeschnittener Granatapfel

Anardana (Granatapfel) am National Highway 1A

Reichlich mumifizierter Granatapfel

Als ich die Strecke im Jänner zurück­gelegt hatte, war mir sonst nichts Be­sonde­res auf­ge­fallen; manch­mal bin ich eben doch ein blindes Huhn. Dies­mal sah ich in der Nähe von km 130 (ge­mes­sen von Jammu) ein paar Granat­apfel­sträucher stehen, noch ehe das Schild “You are passing the famous anar­dana planta­tions” vorbei­huschte. Und dann war mir plötz­lich klar, daß offen­bar hier eines der am wenig­sten be­kann­ten Gewürze Nord­indiens her­kommt: Getrock­nete Granat­apfel­samen, die in einer Hand­voll nord­indischer Rezepte als Quelle von Säure dienen. Gestern besuchte ich diese Pflan­zungen auf einem langen Ein­tages­ausflug von Jammu aus noch­mals, und zwar etwas hinter der Ort­schaft Kulgam bei km 82, wo (wie ich auf Fahrt nach Jammu bemerkt hatte) die letzten Sträucher stehen.

Der Zeit­punkt ist natür­lich sehr un­günstig: Die Ernte liegt ca. 2 Monate zurück, und folg­lich machen die Sträucher einen von Früchten, Blättern und guten Geistern eher ver­lassenen Ein­druck. Manche tragen aber auch noch ein paar Früchte, die meist vom Schim­mel gekenn­zeich­net sind, und gelegen­tlich trifft man sogar noch auf eine fast frische Frucht, offen­bar einen Nach­zügler. Ob­wohl die meisten Sträucher mittler­weile alle Blätter ab­gewor­fen haben, tragen ein paar gelbes, verwelktes Laub, und einige stehen auch noch im satten Grün da. Offen­bar ist die ganze Popula­tion gene­tisch ziem­lich un­einheit­lich, das merkt man auch an der variablen Frucht­größe und an den unter­schied­lich langen Dornen (aber waffen­los wie die Kultur­sorten ist keiner).

Shalimar Muslim Hotel in Kulgam, Jammu and Kashmir, India

Das Shalimar Muslim Hotel in Kulgam ist nur wenig größer als das Schild, das es bewirbt!

Die meist nicht mehr als 3 cm großen Früchte ent­halten die übli­chen fleischig–saftigen, blaß­rosa bis leuchtend­roten Samen­körner, deren Ge­schmack aller­dings jede Zitrone als Obst für Weich­eier deklas­siert. Die intensive Säure kommt gepaart mit einer mörderi­schen Adstringenz, aber das liegt vielleicht auch nur an der Jahres­zeit, denn an den ge­trock­neten, als Gewürz ver­kauften Granat­apfel­samen habe ich diese Note nie in diesem Aus­maß fest­gestellt. Die ge­trock­neten Samen werden in der nord­indi­schen Küche ver­streut ver­wendet: Zu Pickles (Achar) und Chutneys, zu Gemüse­curries und Hülsen­früchten, und in der mogulischen Küche auch zu Fleisch.

Die Straße ist gesäumt mit kleinen Imbiß­buden, sie sich häufig be­scheiden Vaishno Dhaba, häufig aber auch (für Nicht-Inder über­raschend) auf Englisch Hotel nennen; diese Buden leben alle vom Durchzugs­verkehr, denn jeder Bus von Srinagar nach Jammu muß irgend­wann einmal Station machen, und oft tun es auch solche mit kürzerer Fahr­zeit. Die Speisen sind einfach aber in aller Regel gut; Hülsen­früchte schmecken mir hier ganz beson­ders, für die ist ja der Nord­westen beson­ders berühmt (das ist aber einen eigenen Brief wert). Auf der letzten Fahrt hatte ich zuerst nicht ver­standen, warum der Bus­fahrer sich mit Ver­schwörer­miene zu mir an den Tisch gesetzt hatte und mir unbe­dingt noch ein (sehr gutes) Gericht mit der roten Rajma-Bohne auf­schwatzte. Alles wurde dann beim Bezahlen klar: Der Chauffeur und alle bei ihm am Tisch essen nämlich gratis. Herzlichen Dank auf diesem Wege!

Kashmiri Satu (Mais-Grieß)

Hier wird der Maisgrieß geröstet

Kashmiri Makki Roti

Das Maisbrot Makki Roti

Eine typisch kashmiri­sche Spe­ziali­tät, die man beson­ders in den aller­einfach­sten Imbiß­buden finden kann, ist der Salz­tee, nun chay. Er wird aus Salz (manch­mal auch Soda), Schwarz­tee und Milch im wesent­lichen wie indi­scher Milch­tee ge­kocht. Manch­mal sieht man auch auch kräftige Fett­augen an der Ober­fläche, aber Butter wie bei der tibeti­schen Version konnte ich eigent­lich nie heraus­schmecken. In dem salzigen Milieu scheint die Milch nicht ganz stabil zu sein, jeden­falls ist der Tee immer voller dunkel­brauner Flocken aus geronnenem Milch­eiweiß.

Die Kashmiri trinken diesen Tee als eine Art starkes Früh­stück, oder auch zwischen­durch als Snack, und zwar meistens zusammen mit einem Brot namens Makki Roti, das aus einer Mischung von Weizenmehl und geröstetem Maisgrieß (Satu) geformt und anschließend frittiert wird.


Srinagar 2 Shivkhori

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