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Poppy flower |
Mohn ist eine alte europäische Kulturpflanze, die bereits in der Ilias [Ἰλιάς] des sagenhaften griechischen Dichters Homeros [Ὅμερος] erwähnt wird. Die Ilias (und die etwa zeitgleiche Odysseia [Ὀδυσσεία]) ist bei weitem die älteste europäische Dichtung; sie wurde im 8.ten Jahrhundert aus mündlicher Überlieferung schriftlich fixiert, erzählt aber Ereignisse, die sich etwa 500 Jahre früher abgespielt haben mögen. Sie gibt einzigartige Einblicke in die Lebensbedingungen der ausgehenden Bronzezeit, da sie viel vom alltäglichen Leben und Denken der Menschen beschreibt.
Die homerischen Epen sind zwar voll von Details aus dem Leben des
präklassischen Griechenlandes, aber die Information über
Ernährung fällt recht dürftig aus. Zwar werden verschiedene
Getreide und daraus hergestelltes Brot erwähnt, aber Fisch taucht
interessanterweise niemals auf der Tafel auf. Man gewinnt den Eindruck,
daß die Krieger der Bronzezeit Fleisch am höchsten schätzten:
dainymenoi krea t’ aspeta kai methy hedy [δαινύμενοι κρέα τ’ ἄσπετα καὶ μέθυ ἡδύ] unendlich viel Fleisch und süßen Wein schmausend
und
krea amph’ obeloisin peirein optan te periphradeos [κρέα ἀμφ’ ὀβελοῖσιν πείρειν ὀπτᾶν τε περιφραδέως] Fleisch auf den Spieß stecken und mit Bedacht braten
sind die ständigen Formulierungen, die der Dichter zur Beschreibung der
Gelage wählt. Die Wortfolge methy hedy
süßer Wein
ist linguistisch interessant, weil beide
Wörter sich von nicht miteinander verwandten Wurzeln der Bedeutung
süß
ableiten; siehe Bärlauch
und Süßholz für nähere
Erläuterungen.
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Blühende Mohnpflanzen |
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Die Epen nennen
außer dem Mohn noch zahlreiche andere Kulturpflanzen: Sehr oft
nennt der Dichter die Olive (Olivenöl,
elaion [ἐλαίον]
und Olivenbaum,
elaia [ἐλαία]),
und auch Zwiebel
(krommyon [κρόμμυον],
siehe dazu auch unter Bärlauch) tritt als
Nahrungsmittel auf. Weiters findet eine Pflanze namens
selinon [σέλινον]
Erwähnung, hinter der Übersetzer Sellerie
oder Petersilie vermuten. Die Farbe der
Morgenröte (Eos [Ἠῶς])
wird sowohl mit Rosenblüten
(rhododaktylos [ῥοδοδάκτυλος] rosenfingrig
)
als auch mit Safran
(krokopeplos [κροκόπεπλος] safrangewandet
)
verglichen.
Letztlich gibt es in der Odysseia noch das geheimnisvolle Kraut
moly [μῶλυ],
das gegen bösen Zauber hilft. Manche vermuten, damit sei
Knoblauch oder ein naher Verwandter gemeint,
aber normalerweise heißt Knoblauch im klassischen
Altgriechisch skorodon [σκόροδον].
Eine andere Vermutung geht in Richtung Schneeglöckchen
(Galanthus nivalis), dessen Gattungsname Milchblume
bedeutet, was gut zur homerischen Beschreibung paßt:
galakti de eikelon anthos
[γάλακτι
δὲ
εἴκελον
ἄνθος]
die Blüte aber der Milch vergleichbar
.
Die Bedeutung Homers für die weitere kulturelle Entwicklung des
Abendlandes ist unbestritten. Als sich etwa zu Homers Lebzeiten die klassische
Kultur Griechenlands mit ihren Sportveranstaltungen (siehe Lorbeer über die Olympischen Spiele), Dichtern
und Philosophen zu neuer Blüte zu entwickeln begann, da galten die
Ereignisse der Ilias und der Odysseia als
Zeugnisse einer großartigen griechischen Vergangenheit. Über den
größten Teil des Altertums wurde Homer nur als der göttliche
Dichter
bezeichnet; doch nach dem Fall des römischen Reiches versiegte
das Interesse an antiker Dichtung. Erst mehr als ein Jahrtausend später,
in der europäischen Renaissance, begannen gebildete Kreise wieder, Homer
zu lesen. Dieses Interesse kulminierte schließlich in der Ausgrabung des
alten Troia, des Schauplatzes der Ilias, durch H. Schliemann
im türkischen Hisarlık.
Auch wenn man heute in der Schule nicht mehr Homer liest, so haben doch Zitate
aus den homerischen Epen in unsere heutige Umgangssprache gefunden: Wir sprechen
von homerischem Gelächter
(mit dem die Helden ihre eigene Kampfeslust
anstachelten), von geflügelten Worten
(epea pteroenta [ἔπεα πτερόεντα]:
Worte, die zum Gesprächspartner hinfliegen
sollen), und der Charme der Heliostochter
Kirke [Κίρκη]
ist im Wort bezirzen
unsterblich geworden. Und wem wären schließlich
Skylla [Σκύλλα]
und Charybdis [Χάρυβδις],
zwei Übel, von denen man nur einem entkommen kann, kein Begriff?
In der Antike lag die Hauptbedeutung des Mohns in den aus seinem Samen gepreßten Öl. Außerdem kannten die griechischen und römischen Ärzte die narkotische und schmerzlindernde Wirkung des Milchsaftes. In der mittelalterlichen Medizin Europas geriet der Mohn jedoch in Vergessenheit, auch weil Schmerzmittel auf religiösen Widerstand stießen. Mohn als Genuß- und Suchtgift ist im Westen eine sehr junge Entwicklung.
Antike Süßspeisen verwenden Mohnsamen gerne für mit Honig
gesüßte Füllungen, die oft auch Sesam
und Mandeln enthielten und zusätzlich meist mit
einer Prise Pfeffer ganz leicht scharf
gewürzt waren (siehe auch Silphion
über die Küche im römischen Reich).
Diese Rezepte wurden von den Römern an die Byzantiner weitergegbeen
und gelangten so (allerdings ohne den Pfeffer) in die islâmischen
Reiche des Orients. Ein Beispiel ist die türkische Süßigkeit
baklava
(griechisch baklava [μπακλαβά],
arabisch baqlava [بقلاوة]),
die aus Honig und Nüssen in einem Blätterteig (fillo [φύλλο])
besteht; antike Vorbilder lassen sich bis ins vorhellenistische
Griechenland verfolgen.
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Mohnfeld im niederösterreichischen Waldviertel |
Über das osmanische Reich kamen die orientalischen Rezepte auch nach
Osteuropa (Bulgarien, Ungarn) und zuletzt zur Zeit der österreichisch-
Die bekannte österreichische Mehlspeise Strudel
besteht aus handgezogenen hauchdünnen Teigblättern mit einer meist auf
Nüssen, Topfen (Quark) oder frischen Früchten basierenden Füllung.
Mohnstrudel ist eine häufige und beliebte Variante. Strudel wird meist
trocken gegessen; ihn mit Vanillesauce zu
servieren, gilt in Österreich als Fauxpas. Die Füllungen von
Strudel werden oft mit Zitronen- oder
Orangenschale (frisch oder kandiert) sowie
mit Zimt gewürzt. In Ungarn gibt es
auch salzige Arten von Strudel,
Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von Mohn in der österreichischen Mehlspeisenküche
sind die Germknödel, die ursprünglich aus Böhmen stammen
(kynuté knedlíky)
und ebenfalls zu den Zeiten der Donaumonarchie nach Österreich kamen.
Es handelt sich dabei um große Knödel aus Hefeteig (Germ ist ein österreichisches Wort für
Mit Mohnsamen gefüllte Teigtaschen (Mohntaschen) kennt man in
verschiedenen Ländern Ost- und Mitteleuropas, besonders in der
traditionellen jiddischen Küche dieser Länder
(homentashn [המנטאַשן] oder
montashn [מאָנטאַשן]).
In Frankreich
gibt es auch mohngefüllte croissants. Mohnsamen
werden gerne vor dem Backen auf die Backwaren gestreut (
Das ehemals bedeutsame Mohnöl ist dagegen heute eine Rarität und wird nur in sehr geringer Menge
hergestellt; die üblichste Qualität ist ein kaltgepreßtes
Salatöl (siehe auch Sesam über
Pflanzenöle allgemein). Die geringe Produktion erklärt sich teilweise
auch mit den gesetzlichen Restriktionen und Kontrollen, denen Mohnbauern in
Westeuropa ausgesetzt sind und die den Zweck haben, einen Mißbrauch der
Anbaufläche zur Opiumproduktion zu verhindern. Unter den klimatischen
Bedingungen Europas hergestelltes Opium wäre aber von sehr geringer
Wirkung.
Auch in Asien wird der Mohnanbau betrieben; zumeist allerdings nicht zu
kulinarischen Zwecken, sondern zur Gewinnung von Opium. Das
berühmt-
In China erstritten sich die Briten durch die beiden Opiumkriege
(ya pian zhan zheng [鸦片
Mohn wird aber in Asien auch gelegentlich zum Kochen verwendet. So sind
gemahlene Mohnsamen in der mogulischen Kochkunst Nordindiens (siehe auch Zwiebel und schwarzer
Kreuzkümmel) ein Mittel, um Saucen anzudicken; bei hellen Saucen kommt
dazu eine spezielle Mohnsorte mit rahmgelben Samen zum Einsatz. Mohnsamen werden
in der Küche Begalens (in Nordost-Indien) häufig verwendet und
harmonieren sehr gut mit den eher leichtgewürzten Speisen Bengalens
(siehe auch Nigella). Der nussige
Geschmack des Mohns wird auch in Japan sehr geschätzt und paßt sehr
gut zu den nur leicht gewürzten Gerichten dieses Inselreiches. Mohn ist
in der japanischen Gewürzmischung shichimi togarashi
(siehe Sichuanpfeffer) enthalten.
Mehlspeisen
), die manchmal
auch als Hauptgericht genossen werden, sind für die österreichische Küche
auch heute noch charakteristisch.
Hefe
)
mit einer anregend–sauren Füllung aus Powidl, einem sehr konzentrierten
Zwetschkenmus, das ohne Zuckerzusatz gekocht wird. Germknödel werden
gedämpft und mit großzügigen Mengen einer
Mohn-Staubzucker-Mischung sowie geschmolzener Butter serviert.
Mohnpflanze
Mohnkapseln knapp vor der Reife
Goldene Dreieck
an der Grenze zwischen Burma, Thailand und Laos ist
übrigens zu Unrecht als Opiumquelle bekannt geworden, da der Mohn erst in
höheren Lagen das richtige Wirkstoffspektrum entwickelt. Bergvölker
in diesen drei Ländern und auch in Vietnam und China benutzen Opium seit
Jahrhunderten als das einzige Genußmittel, das ihnen ihr hartes Leben
bietet; die weite Verbreitung des Opiumrauchens unter ethnischen Chinesen und
Vietnamesen ist allerdings durch die Politik Englands und Frankreichs im
vorigen Jahrhundert bedingt. Anders als in Gemeinschaften mit langer Tradition
im Umgang mit dieser Droge erwies sich die Neueinführung des Opiums in
diesen Ländern als verheerend.