Landkarte
Modhera Junagadh

Dvarka દ્વારકા (Gujarat)

Entrance to Dwarkadhish Mandir (Hindu temple for Krishna), Dwarka, Gujarat, India

Der Eingang zum Dwarkadhish-Tempel ist tagsüber versperrt

Dwarkadhish Temple, Dwarka, Gujarat, India

Der Dwarkadhish-Tempel begrüßt die Pilger mit einer orangen Fahne

Zebu cow taking bath in Gaumati river, Dvarka, Gujarat, India

Kuh beim Bad

Liebe Birgit,

mit Dvarka oder Dwarka habe ich nun einen rich­tigen Geheim­tip für Indien­reisen­de er­reicht. Diese kleine Stadt liegt an der Mün­dung des Gomati-Flusses im Westen Gujarats und gehört zu den ganz be­son­ders heili­gen Orten Indiens.

Die Heilig­keit Dvarkas be­gründet sich darin, daß nach der Hindu-Über­lieferung Krishna hier seine Haupt­stadt er­bauen ließ, und zwar geschah das gegen Ende des Dva­para-Yuga, des ver­gangenen Welt­zeitalters. Manche Hindus glauben ent­sprechend, daß die Stadt 5000 Jahre alt sei, obwohl einer anderen Über­lieferung nach das damalige Dvaraka un­mittel­bar nach Krishnas Tod am Beginn des gegen­wärtigen Kali-Yuga im Meer versank.

Im Zentrum der Stadt liegt der Dvarka­dhish Mandir, ein herr­licher, im indo–arischen Stil er­bauter Tem­pel mit einem schlan­ken, himmel­hoch auf­streben­den Turm, auf des­sen Spitze eine leuch­tend bunt ge­färbte Fahne die zahl­reichen Pilger begrüßt. Auch wenn das kol­por­tierte Alter von 5000 Jahren histo­risch nicht zu halten ist, so macht seine er­habe­ne Archi­tektur doch einen enor­men Ein­druck; tags­über ist er ge­schlos­sen, aber am Abend ent­faltet sich ein inten­sives und sehr fried­liches reli­giöses Leben, wenn die Pilger im Tem­pel singen oder sich ganz diszipli­niert am Ein­gang zum Aller­heilig­sten auf­stellen und nach dem Be­such der großen Kult­statue ein süßes Prasad ver­zehren. Leider be­steht ein strenges Photo­verbot, aber in diesem Fall bringe ich dafür Ver­ständ­nis auf: Blitz­licht­gewitter wäre der Atmo­sphäre all­zu abträglich.

Samudra Narayan Temple in Dvarka, Gujarat, India

Sadhus vor dem Samudra Narayan Mandir

Zebu in Dvarka, Gujarat, India

Mit der Kuh auf Du & Du

The Ghats of the Gomati river, Dvarka, Gujarat, India

Abends am Ghat der Gomati

Gleich da­hinter bildet der Gomati-Fluß (der Name be­deutet „reich an Kühen“) die Grenze der Stadt; betonierte Stufen (Ghats) führen bis ans Was­ser, und abends sieht man schwim­mende Kerzen und Pilger bei einer heiligen Waschung. Hundert Meter weiter be­ginnt be­reits der Strand, und der etwas klobige Samudra-Narayan-Tempel markiert die Stelle, an der die Gomati ins Meer mündet. Am Strand sitzen die orange­geklei­deten Sadhus, indi­sche Asketen, die man auch sonst überall in der Stadt antrifft und die anders als in den meisten Pilger­städten die paar west­lichen Touristen freund­lich an­lächeln, sie aber nicht ag­gres­siv an­bet­teln. Außer den Sadhus bleiben auch die vielen Kühe in Er­inne­rung, die die Straßen entlang­trotten und nach Eß­barem suchen. Hier im Westen Indiens domi­nieren die Zebus, die mas­siv gebauten Höcker­rinder mit grauer bis weißer Fellfarbe.

Der freund­liche Cha­rakter Dvarkas paßt zu Krishna, dem mensch­lich­sten und sym­pa­thisch­sten aller Hindu-Götter, von dem zu­gleich schwank­hafte Er­lebnisse mit Kuh­hirtin­nen, trick­reiche Kriegs­taten und auch ab­strakte, anspruchs­volle Theo­logie erzählt werden. Er gilt als eine In­karnation Vishnus, aber nicht wenige Hindus drehen dieses Ver­hältnis um und sehen in ihm das Höchste Wesen, aus dem Vishnu und in weiterer Folge alle anderen Götter ent­springen.

Resident of Dwarka with earrings, Dvarka, Gujarat, India

Hier tragen auch die Männer Ohrringe

Sadhu in front of Rukshmini Temple, Dwarka, Gujarat, India

Die Sadhus wandern vom Rukshmani Mandir zurück in die Stadt

Epiphany of Krishna displaying Vishvarupa in front of Arjuna (Durgiana Mandir, Amritsar, Punjab, India)

Krishna erklärt sich als der Urgrund, aus dem alle anderen Wesen entstehen. Sanjaya, der die Szene als Seher mit­beobachtet hat, schildert sie Dhritarashtra folgender­maßen: Er hatte viele Münder und Augen, zeigte viele wunder­bare Formen, war mit himmli­schen Gewändern bekleidet und trug viele himmli­sche Waffen. (Photo aus Amritsar)

Krishna selbst erklärt seine Natur in der Bhagavad-Gita, dem be­kannte­sten aller hindu­isti­schen Texte. In diesem „Lied der Gott­heit“ gibt Krishna in Dialog­form einen Überblick über ver­schie­dene religiöse Prak­tiken und Philo­sophien und er­läutert, wie man durch abstrakte Er­kennt­nis, selbst­lose Tat und zuletzt Hin­gabe an ihn stufen­weise zur Er­lösung empor­steigen kann. Im klimak­tischen elften Kapitel offen­bart er sich in einer beein­druckenden Theo­phanie als der Ur­sprung aller Dinge: Mit den Wor­ten „Sieh hier die ganze Schöpfung, das Leb­lose und das Be­lebte, zusammen­gebunden zu Einem in meiner Person“ fordert er seinen Zu­hörer Arjuna auf, ihn in seiner echten, un­verhüll­ten Form (Vishvarpa) an­zuse­hen; Arjuna be­schreibt das Ge­sehene mit den Worten „Alle himmli­schen Gefilde und der Raum zwischen Erde und Him­mel sind von dir allein erfüllt“.

Diese Of­fen­barung wird in Tem­peln auch gerne bild­lich dar­gestellt: Man sieht dabei das halbe hindu­istische Pan­theon aus einer Person hervor­wachsen, wäh­rend am unteren Teil des Bildes Arjuna neben seinem Streit­wagen steht und das Wunder be­trachtet. Es heißt, daß das Licht von tausend Son­nen neben Krishna in seiner wah­ren Form ver­blas­sen würde. Nach diesem Höhe­punkt gibt Krishna noch einige Lek­tionen über Yoga und Meta­physik, bis er schließ­lich im acht­zehnten und letzten Kapitel in fast bibli­schem Stil die Er­lö­sung ver­heißt: „Ich werde dich von allen Sünden be­freien; fürchte dich nicht“. Über­haupt könnten viele Sätze der Bhagavad-Gita auch im Neuen Testa­ment stehen, oder tun das sogar in ganz ähn­licher Form: „Ich bin der Weg, der Er­halter, der Herr, der All­sehende, die Heim­statt, die Zu­flucht und der Freund“ ist ein beson­ders prägnantes Beispiel.

Natürlich gibt es in Dvarka noch eine An­zahl wei­terer Tem­pel, da­run­ter so­gar einen jener ganz weni­gen, der dem Brahma geweiht ist. Wirk­lich er­wähnens­wert ist aber nur der Rukshmini Mandir etwas außer­halb der Stadt; Rukmini war eine Ge­liebte Krishnas, die er aus einer un­glück­lichen Ver­lo­bung be­freite. Über­haupt ist es be­merkens­wert, daß Krishna bei der Damen­welt be­son­ders großen An­klang fand und sogar tausende Ehe­frauen hatte. Dieser Tempel wird am Nach­mittag zum Treff­punkt hunderter Sadhus, die sich ganz fried­lich auf den Boden setzen und gemei­nsam medi­tieren, ehe sie sich wieder auf­machen, um in einer langen orangen Schlange zur Stadt zurück­zu­wandern.

Brahma Mandir Dwarka, Gujarat, India

Der Brahmaji Mandir (siehe auch Pushkar)

Fisherboats in Bet (Dwarka,Gujarat,India)

Fischereiflotte vor der nahe­gelegenen Insel Bet

Lighthouse Dwarka, Gujarat, India

Der Leuchtturm von Dvarka

Beim Herum­spazieren in Dwarka habe ich nichts ge­funden, was darauf deuten könnte, daß die Men­schen hier jemals Fleisch essen: Kein Restau­rant wirbt mit dem sonst so all­gegen­wärtigen “Veg. & Non-Veg”, es gibt keine Fleisch­hauer oder Geflügel­händler, nicht einmal Eier habe ich irgendwo gesehen. Praktisch fleisch­freie heilige Städte gibt es in Nord­indien einige, und ich werde das zum Anlaß nehmen, einen histori­schen Exkurs über den Vege­tari­smus in Indien anzu­fügen. Das erspart es mir auch, meine süßen Traumata mit der Gujarati-Küche weiter aus­breiten zu müssen.

Originär hat die vege­tarische Er­nährung nichts mit dem Hinduis­mus zu tun: In seiner frühen, vedischen Form waren ihm zwar die Kühe heilig, anderes Getier galt aber als unbedenklich eßbar. In der zweiten Hälfte des ersten Jahr­tausend vor Christus wurde der Hin­duis­mus (in der damaligen Entwicklungs­stufe auch als Brahma­nis­mus be­zeich­net) aller­dings von zwei anderen Religio­nen für einige Jahr­hunderte an den Rand ge­drängt, die beide in unter­schied­licher In­tensi­tät den Fleisch­konsum ver­boten: Bud­dhis­mus und vor allem Jainismus.

Letztlich be­hielt der Hin­duis­mus die Ober­hand und ging aus dem ideo­logischen Kon­flikt als Sieger her­vor: Die Bud­dhisten, die in spät­hellenisti­scher Zeit noch die Mehr­heit in Nord­indien ge­stellt hatten, starben völlig aus, und die über ganz Indien ver­breite­ten Jains konnten sich nur im Nord­westen in größerer Zahl er­halten. Aber der neue, puranische Hin­duis­mus war gegen­über seinem Vor­läufer so drastisch verändert, daß man fast von einer Neu­erfindung sprechen kann: Einige seiner zentralen Konzepte waren ganz neu, wie zum Beispiel der Vege­taris­mus als Fremd­import oder der Yoga und das damit zusam­men­hängende Konzept einer streng regel­mentierten persön­lichen Hingabe an Gott (Bhakti). Andere In­nova­tionen wurden dagegen aus Gedanken­gängen entwickelt, die in der brahma­nisti­schen Epoche nur Rand­effekte gewesen waren.

Indian Food: Gujarati Bean Curry

Süße Schwarzaugenbohnen

Indian Food: Gujarati Potato Curry

Süße Kartoffeln

Zu letzte­ren gehört übri­gens der Mono­theis­mus. Im Vedanta, der philo­sophi­schen Ana­lyse der vedi­schen Über­lieferun­gen, hatte es zwar schon immer eine mono­theisti­sche Strömung gegeben, aber die war gegen­über anderen ebenso mög­lichen Inter­pretationen nie dominant geworden; heute be­trachten da­gegen die meisten gebildeten Hindus alle Götter als Teil­aspekte eines Höchsten Wesens, das wahl­weise mit Shiva, Vishnu (und, in Erweiterung, Krishna) oder einem abstrakten Prinzip (etwa Shakti, der „weiblichen Energie“, oder Brahman, der allumfassenden Seele des Universums) gleichgesetzt wird. “The gods are just ministers of God” erklärte mir dazu ein Brahmane in Jammu, der offenbar das büro­kratische Denken im modernen Indien sehr verinnerlicht hatte.

Zurück zum indi­schen Vege­tarier­tum: Alle Inder essen viel mehr Ge­müse als typische Mittel­europäer, was natür­lich auch fi­nan­ziel­le Gründe hat. Hindus dür­fen kein Rind essen (und die meisten halten sich auch daran), aber ge­nerel­ler Ve­geta­ris­mus ist für die niedrigen Kasten nur empfohlen, nicht vorgeschrieben. Viele halten sich an die Empfeh­lung, be­son­ders hier im Gujarat; um­gekehrt gibt es aber auch einige Brahmanen, die es es mit der Fleisch­losigkeit nicht so genau nehmen und zu­min­dest Fisch ver­zehren (das ist in Bengalen üblich); in Kashmir gibt es sogar eine brahmani­sche Gruppe, die generell Fleisch ißt. Bei Eiern scheiden sich die Geister, und Milch­produkte werden trotz ihres höheren Preises uni­versell ge­nos­sen, gelten sie doch als be­son­ders rein, weil sie vom Heiligen Tier stammen.


Modhera Junagadh

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