Landkarte
Srinagar Siehe auch: Shivkhori Dharamsala

Jammu जम्मू (Jammu & Kashmir)

Ranbireshwar-Tempel, Jammu, Kashmir, India

Blumenverkäufer vor dem Ranbireshwar Mandir

Jamabant cave Gufa temple, Jammu, Kashmir, India

Ein Bakshish macht das Photo möglich: Kult­raum mit Mutter­gottheiten im Höhlen­tempel Jamabant Gupha

Ragunath-Tempel in Jammu, Kashmir, India

Der Ragunath Mandir steht in der Innenstadt von Jammu

Liebe Birgit,

ich bin immer noch in Jay-and-Kay; wenn Du jetzt an die Men in Black (oder, etwas we­ni­ger offen­sicht­lich, an Coulomb- und Aus­tausch­opera­toren) denkst, liegst Du aber ganz falsch. Das nämlich die üb­liche Aus­sprache des schwer­fäl­ligen of­fiziel­len Namens Jammu and Kashmir für den nörd­lich­sten Bundes­staat Indiens.

Während das Hoch­tal von Kashmir mit der Sommer­haupt­stadt Srinagar mitten im Hima­laya liegt, ist es im Süd­teil des Bundes­staates besten­falls hügelig. Jammu fungierte tra­ditio­nell als Winter­hauptstadt, da es nun hier wesent­lich milder ist als in Srinagar, wo ich vergangene Woche noch bitter frieren mußte.

In Jammu leben über­wiegend Hindus, auch ein paar Sikhs und Muslime. In der ganzen Innen­stadt findet man an jeder Ecke irgend­einen Tempel, von denen viele bundes­weit bekannt und Ziele organi­sier­ter Wall­fahrten sind. Fast jeder davon glänzt mit einer Be­sonder­heit, die ihn in Indien einzig­artig macht (die Anzahl der mög­lichen Be­sonder­heiten ist fast un­beschränkt und liegt nur wenig unter der Gesamt­anzahl der Tempel). Dazu kommen dann noch Höhlen­tempel in der Peri­pherie der Stadt; es wird sogar behauptet, daß einer davon eine unter­irdische Ver­bin­dung bis nach Sri­nagar auf­weise. In allen Tem­peln der Stadt herrscht leider Photo­verbot, an­geb­lich aus Sicher­heits­gründen wegen der pöhsen Muslim-Terroristen; und es ist auch nicht leicht zu um­gehen, da die Armee über seine Ein­haltung wacht und die Soldaten so viel­köpfig auf­treten, daß man sie nicht gut alle gleich­zeitig be­stechen kann.

Golden sofa (throne) if the Maharaja of Jammu, exhibited in Amar Mahal palace

Für einen Maharaja muß das Sofa aus Gold sein

Amar Mahal, Stadtpalast in Jammu, Kashmir, India

Der Stadtpalast Amar Mahal

J&K wurde bis 1951 von lokalen Fürsten aus der Dogra-Dynastie beherrscht. Die Maha­rajas leisteten sich auch einen Palast (Amar Mahal), der bi­zarrer­weise wie ein fran­zösi­sches Land­schloß aus­sieht; heute ist er natür­lich zum Museum um­funktio­niert. Der ver­schwen­de­rische Lebens­stil der Dogra-Maha­rajas er­weckt an­gesichts der Bettler auf der Straße etwas Übel­keit, und man ent­wickelt be­schränk­tes Ver­ständ­nis für die brutalen und rechts­staat­lich be­denk­lichen Ent­eignungs­gesetze, mit denen die indi­sche Re­gierung nach der Un­abhängig­keit dem Treiben all dieser adeligen Tunicht­gute ein Ende setzte.

Mehr Stil­sicher­heit be­wies der Maha­raja beim moguli­sche Garten Bagh-e-Bahu, der leicht erhöht im Bereich der Be­festi­gungs­anlage (Fort) liegt und einen schönen Blick über die Stadt bietet. Dank drakoni­scher Strafen für Ver­schmutzer ist er so, wie etwas sauber sein kann, das von einer Horde lebens­lustiger Affen be­wohnt wird. Die moguli­sche Garten­bau­kunst ist aus Persien im­portiert und be­tont die islami­sche Vor­liebe für strenge Sym­metrie und Orna­mentik in einer sym­boli­schen Ab­bil­dung der Welt aus Wasser, Vegetation und Gebäuden. Man findet solche Gärten in Indien nur an Orten mit muslimi­scher Prägung, z. B. in Srinagar.

Bag-e Bahu, Mogul-Garten in Jammu, Kashmir, India

Der mogulische Garten Bagh-e-Bahu

Aquarium in Bahu Fort, Jammu (North West India)

Das Aquarium im Bahu-Fort

Gleich ne­ben dem Garten mar­kiert ein riesi­ger Fisch mit weit ge­öff­netem Maul den Ein­gang zu einem Aquarium und Meeres­museum; etwas un­gewöhn­lich für ein der Aquaristik ver­schrie­be­nes Etablisse­ment sind aller­dings die aus­führ­lichen Tips zur sach­kundigen Zu­berei­tung von Fisch, gleich neben den Hin­weisen zur erfolg­reichen Aquariumspflege.

Religious beggar-girls, Bavey Wali Mata Mandir Hindu Temple, Bahu Fort, Jammu (North Western India)

Diese beiden Hübschen müssen wohl betteln, um ihre Lippenstift-Rechnungen bezahlen zu können.

View from Bahu Fort to Gubarak Mandi, Jammu (North Western India)

Facepalm (vermutlich ein Leser der Kattu Satya); im Hintergrund der Mubarak Mandi

Bave Wali Mata Tempel im Bahu-Fort, Jammu, Kashmir, India

Als Hanuman verkleideter Bettler nahe dem Kali-Tempel Bavey Wali Mata Mandir

Inner­halb des Forts trifft man auf noch mehr Tem­pel; der quir­ligste davon ist der Bavey Wali Mata Mandir, der der Göt­tin Kali ge­weiht ist. Auch die Märkte vor den Tem­peln sind sehens­wert: Dort er­ste­hen die Hindus unter anderem Opfer­gaben, die sie dann im Tem­pel an die Brah­manen weiter­reichen (und diese wahr­schein­lich in der Nacht an die Händler zurück­verkau­fen), und man sieht aller­hand phan­tasie­voll ko­stümier­te Ge­stalten, die sich als Bettler mit reli­giösem An­strich Ver­dienst­quellen er­schließen, wie es sie nur in Indien geben kann.

Ein extrem ab­sur­des Er­leb­nis war die Be­geg­nung mit den Redak­teuren einer Lokal­zeitung. Auf dem Rück­weg von der Be­sichti­gung des total ver­fal­lenen Palastes Mubarak Mandi traf ich auf einige Männer, die ent­spannt auf einem Flach­dach in den Abend hinein faulenz­ten. Die Typen for­derten mich auf, zu ihnen auf­zu­steigen, und er­wiesen sich als die Re­dak­tion des Revolver- und Käse­blattes Kattu Satya (die „beißende Wahr­heit“). Es stellte sich heraus, daß sie für den nächsten Tag noch zu viel Platz in ihrer Zeitung hatten, und so mußte ich ihnen ein Inter­view geben. Dieses drehte sich merk­würdiger­weise gänz­lich um die mili­tanten Muslim-Extremisten in Paki­stan, und nicht etwa um das profane Thema des Tourismus in Jammu (daß wäre wohl nicht „beißend“ genug gewesen). Mit ein paar schnell ab­gesonder­ten Binsen­weis­heiten erwarb ich mir blitz­artig den Ruf eines aus­ländi­schen Islamis­mus-Ex­perten. Ich war mir bis zum Schluß nicht sicher, ob das alles als Witz gemeint gewesen war, aber am nächsten Tag er­schien das „Inter­view“ in der Print- und Online­ausgabe. In­cred­ible India!

Ich logiere in der Soma Lodge gleich am Bus­bahnhof. Der Name verweist nicht auf die in den Veden be­schrie­bene Droge, sondern auf den Besitzern, Herrn Soma, der mir als eine Art Fremden­führer den Weg zu allen inter­essanten Sehens­würdig­keiten der Stadt beschrieb und mich sogar mit selbst­gekochten Lecker­bissen verwöhnte, aber dazu später mehr.

Traffic scene with goats in Jammu in front of Panjtirthi Manir Hindu Temple (North Western India)

Der Verkehr vor dem Panjtirthi Mandir ist tierisch unübersichtlich

Camel on the Road, in Jammu (North West India)

Kamele sieht man im Nordwesten Indiens fast täglich

Jammu hat ein bis zwei Mil­lio­nen Ein­wohner, viele davon Flücht­linge aus dem Hoch­tal von Kashmir, wo es mittler­weile kaum noch Hindus gibt. In der Stadt drängen sich die Häuser dicht an dicht, mit winzigen Gäßchen da­zwischen. Diese wären meiner Meinung nach sogar für einen Fahrrad­fahrer zu schmal, selbst wenn sie nicht mit Unrat, flie­gen­den Händlern und schwatzen­den Nach­barn brechvoll an­gefüllt wären. Die indi­sche Realität sieht das natürlich ganz anders, und so be­wälti­gen wild hupende Motorrad­fahrer im Minuten­abstand diesen Hindernisparcour.

Noch schlim­mer sieht es auf den weni­gen Straßen aus, die breit genug für mehr­spuri­gen Motor­verkehr gebaut sind. Da die Geh­steige (die gibt es wirk­lich, auch wenn man sie ledig­lich für über­dachte Ab­wasser­kanäle halten möchte!) ohne­hin mit Händlern und parken­den Fahr­zeugen ver­stopft sind, teilen sich hastige Fuß­gänger, übel­launige Kamele, blökende Schafe und un­gedul­dige Fahrzeug­lenker die schmale Fahr­bahn. Das wirkt dann ein bißchen so, als ob ein paar Tausend LSD-Junkies im Horror­trip wenig erfolg­reich ver­suchen, sich als un­schuldige Verkehrs­teilnehmer zu tarnen. Regel­mäßige Verkehrs­schilder mit Auf­schriften wie “Speed thrills but kills” setzten da keinen wirk­samen Kontrapunkt.

Local Dhaba restaurant at Bus Stand in Jammu, North Western India

In solchen improvisierten Kneipen (Dhaba) bekommt man die besten Hülsenfrüchte

North West Indian Food: Chana Masala (spicy chickpeas)

Restaurant-Kichererbsen mit viel scharfem Öl

Kulinarisch ist Jammu nicht heraus­ragend, aber guter Durch­schnitt. Der riesige und quirlige Bus­bahnhof ist voller kleiner Re­stau­rants mit vege­tari­scher Standard-Hindu-Küche, und im mu­slimi­schen Viertel be­kommt man auch kash­mirische Fleisch­gerichte zu kosten. Dabei ist vor allem die Aus­wahl an ver­schie­denen Hülsen­früchten (Dal) ist be­merkens­wert: Linsen, Bohnen und Erbsen in großer Viel­falt, die meist einfach in Wasser gekocht und vor dem Ser­vieren in einer Fett-Gewürz-Mischung (Tarka) ge­schwenkt werden. Dazu brät man Zwiebel, Knoblauch, Ingwer, grüne Chilies und trockene Gewürze (vor allem Kreuz­kümmel) in Öl an, rührt einen Schöpf­löffel der gekochten Hülsen­früchte ein und läßt ein oder zwei Minuten andicken.

North West Indian Food: Butter Chana (boiled chickpeas with liquid butter)

Hausmannskost-Kichererbsen mit mächtig viel Butter

North West Indian Food: Mushroom Curry

Pilz-Curry

Mein Hote­lier, Herr Soma, wurde von mir mit einigen kuli­nari­schen Fragen ge­löchert und er­bot sich dann, mir einige (von seiner Frau) selbst­gekoch­te Speziali­täten zu ser­vieren (als Brah­mane lebt er natür­lich vege­tarisch). Be­son­ders im Ge­dächt­nis blieben die Pilze, die mit viel Knob­lauch, Kreuz­kümmel und Koriander in einer Un­menge Butter­schmalz (Ghee) ge­dünstet und mit ge­hackten Tomaten ab­gelöscht waren. Die Pilze, so er­klärte er mir, stam­men aus Zucht­betrieben und seien das ganze Jahr über, beson­ders aber im Winter, verfügbar.

North West Indian Food: Sweet Pullao

Süßer Pulav

North West Indian Food: Gajarela (Gajar Halva) carrot dessert

Gajarela (Milch–Karotten-Pudding)

Urban cow (stray cattle) in Jammu, North West India

Eine Großstadtkuh döst am Mittelstreifen einer „Hauptstraße“.

North West Indian Food: Pullao (spicy vegetable rice with paneer cheese)

Pullao mit Gemüse- und Paneerstückchen

Außer­dem über­zeugte er mich mit einem vege­tari­schen Reis­gericht (Pullao), aus herr­lich lockerem Basmati-Reis mit Erbsen und ge­preßtem Frisch­käse (Panir). In der zurück­halten­den Würzung verließ er sich im wesent­lichen auf frischen Ingwer und jede Menge Kreuz­kümmel. An meinem letzten Tag über­raschte er mich auch mit einem süßen Pullao mit Trocken­früchten, der durch sein starkes Fenchel­aroma etwas un­orthodox aber sehr an­genehm schmeckte. Auch sein nach Cardamom duften­der Karotten­pudding (Gajarela) ließ die Geschmacks­knospen schnurren; Gajarela besteht aus ge­raspel­ten und in Butter­fett gedünsteten Ka­rot­ten, die mit Milch und viel Zucker ein­gekocht werden, wobei sich zu­sätz­lich noch ein Karamel­aroma entwickelt.

Alle die­se Spei­sen waren heftig ge­buttert, ent­weder, weil sie in Ghi ge­braten waren, oder weil vor dem Ser­vieren noch ein Stück Butter darunter ge­rührt worden war. Butter wird ja aus Milch gemacht, und die Milch kommt von der Kuh, und die Kuh ist heilig; wen wundert es da, daß der Verzehr von Butter als ver­dienst­voll gilt? Wegen des hohen Preises ist es aller­dings kaum möglich, Butter als einziges Fett zu ver­wenden: Ghi kostet etwa 4 Euro pro Kilo­gramm, und das ist in einem Land, in dem ich ein Hotel­bett um 3 Euro bekomme, einfach zuviel. Deshalb spielen Pflanzen­fette, hier in Nord­indien vor allem Sesam- und Senföl, die domi­nieren­de Rolle bei der Fett­versorgung der Bevölkerung.

Es mag ja hunder­te Mil­lio­nen Kühe in Indien geben, aber wer die aus­gemer­gel­ten Ge­stal­ten am Straßen­rand ge­sehen hat, der wundert sich über jeden Tropfen Milch, den die armen Viecher zu geben in der Lage sind. Die indi­schen Stadt­kühe haben ein hartes Karma: Ab­fall gibt es zwar genug, aber ob es sich um ein ver­dau­liches Stück Pappe oder doch um eine Plastik­flasche handelt, merken die geistig wenig wendi­gen Paar­hufer erst nach fünf­minüti­gem Kauen. Da sie herren­los sind, werden sie von Free­lancern ge­molken, die die Milch dann an kleine Betriebe ver­kaufen, die daraus Joghurt, Butter oder Frisch­käse herstellen.

Nächste Woche fahre ich nach McLeod Ganj, auch “Little Lhasa” genannt. Dort ist der Sitz der tibetischen Exilregierung.

P.S.: Da ich mit diesem Reise­brief ziem­lich un­zufrie­den war, habe ich ihn (als einen von sehr wenigen) später etwas über­arbeitet und er­weitert. Es soll mir ja nicht so gehen wie dem Besitzer dieses Gemäuers in Jammu, der sich gegen eine Sünde der Ver­gangen­heit (in diesem Fall ortho­graphi­scher Natur) nur noch mit einer Mauer­begrünung zu helfen weiß.

WELLCOME: An orthographic error that is difficult to fix, seen in Jammu (North West India)

Was machen wir bloß mit dem überzähligen L? Farbe reicht nicht, also muß es die Schling­pflanze richten.


Srinagar Dharamsala

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