Landkarte
Khajuraho Konark

Puri ପୁରୀ (Orissa)

Hochzeitswagen

Mit Blumen geschmückter Wagen für eine Hochzeit

Fischerdorf in Puri

Das Fischerviertel von Puri

Liebe Birgit,

ich bin ge­ra­de in Puri, einem kleinen Nest an der indi­schen Ost­küste. Es handelt ist um eine Touristen-und-Pilger-Stadt mit ent­sprechend wild ge­mischter Atmo­sphäre aus religi­öser Kon­templa­tion und Extase, aus touristi­schem Rummel und Nepp.

Puri ist die Heimat des Kults um Jagan­nath, einer Er­scheinungs­form Krishnas. Einmal im Jahr werden die über­lebens­großen Kult­figuren von Jagannath und seinen Ge­schwistern Subhadra und Balarama auf drei hölzerne Wagen (Ratha) mit hohen Rädern gepackt und durch die Stadt geführt; selbst für indi­sche Ver­hält­nis­se ist das ein Groß­ereig­nis, zu dem jähr­lich hundert­tausende Pilger strömen. Die riesigen, schwer steuer­baren Wagen ver­ursach­ten in der fer­neren Ver­gangen­heit sogar töd­liche Un­fälle, und bis heute gibt es in der engli­schen Sprache des Aus­druck jugger­naut für je­man­den, der sich un­kontrol­liert im Ver­kehr bewegt. Ich finde es recht passend, anti­soziale Verkehrs­sitten mit einem Wort indi­scher Herkunft zu benennen.

Golden Beach Puri

… und das Tier entstieg dem Meer — aber was für ein Tier?

Den Rest des Jahres lebt Puri von seinen spiri­tuel­len An­geboten (etwas respekt­los als “guru shop­ping” be­zeich­net) in den zahl­losen Ashrams, und natür­lich von den Stränden aus fein­körnigem gold­gelbem Sand und dem blauen Wassern des Golfs von Bengalen. Tra­ditio­nell sind die Hindus zwar auf Süß­wasser abon­niert (jeder zweite Fluß oder See hat irgend­eine heilige Quali­tät), aber der Strand­urlaub nach west­lichem Vorbild macht der Mittel­schicht ganz offen­sicht­lich Spaß, auch wenn dem Meer kein spiri­tuel­ler Wert zu­geschrie­ben wird.

Es gibt noch immer ein ur­tümli­ches und hygie­nisch kata­stropha­les Fischer­dorf, von wo aus die Fischer morgens auf ihren Booten hinaus­segeln, um die lokalen Fisch­restau­rants zu bedienen — wer jedoch ein Duft­spektrum außer­halb des Be­reiches zwischen ver­rot­tendem Fisch und mensch­lichen Ex­kremen­ten sucht, der sollte tun­lichst weiter nörd­lich baden. Wasser­scheu wie ich bin, habe ich es aber bei einem Spazier­gang über den schönen aber leider schatten­losen Golden Beach be­lassen, wo man für in- und aus­ländi­sche Touristen auch so typisch maritime At­traktio­nen wie Kamel­reiten anbietet.

Puri (Orissa) Jagannath-Tempel

Der Jagannath Mandir in der Abenddämmerung

Puri (Orissa) Jagannath-Tempel

Die Westmauer des Jagannath-Tempels

Das archi­tektoni­sche Glanz­stück des Ortes ist der Jagannath Mandir, ein riesiger Tempel­komplex, der ganz im traditio­nellen, vor­islami­schen Stil errichtet ist. Von einer meter­hohen Mauer umzäunt, besteht der Komplex aus einer Anzahl kleinerer und größerer Tempel, zwischen denen stets ge­schäf­tige Brahmanen umher­huschen und die zahl­reichen Besucher ab­fangen, um ihnen (ver­mut­lich für gutes Geld) eine maß­geschnei­derte Zeremonie in irgend­einem Tem­pel­chen an­gedei­hen zu lassen. Kom­munale Feiern spielen ja im Hin­duis­mus eine ge­ringe­re Rolle als z. B. im Christen­tum und sind auf Feier­tage be­schränkt; statt­dessen sucht der Gläubige in­divi­duell sein Heil, indem er Rituale nach Bedarf durch­führen läßt. Die wirt­schaft­liche Bedeu­tung eines großen Tempels darf man nicht unter­schätzen: Hier finden tausende Menschen Arbeit und Brot, so soll allein die Tempel­küche des Jagannath-Tempels 400 An­gestell­te haben.

Doch die ho­hen Tempel­tore stehen leider nur Hindus offen, für alle an­deren heißt es „Ich muß leider draußen bleiben“. Wir Fehl­gebore­ne müs­sen daher entweder auf das nächste Leben hoffen oder nach Alter­nativen suchen. Rund um den Tempel herum stehen genug mehr­stöckige Häuser, die man zum Schießen von Er­innerungs­photos er­klim­men kann — nicht wenige An­rainer haben das als lukratives Geschäft erkannt. Beson­ders frech verhält sich eine state­gisch sehr günstig gelegene Biblio­thek, deren An­gestellte (vermut­lich auf Pro­visions­basis) kultur­interes­sier­te Aus­länder von der Straße fangen, auf die Dach­terrasse führen und danach mit einem offen­bar ge­fälschten donation book un­sinnig hohe Spenden er­pressen wollen, natür­lich mit dem treu­herzig vor­gebrach­ten Hin­weis, daß man damit auch einen Bei­trag zur Bil­dung der Massen leiste. Auch Hotels und Sou­venir­läden ver­suchen sich an diesem Gewerbe.

Potol Curry

Schmackhafter Curry mit Wachskürbis (Parval)

Potato Chips

Chips, also soviel wie Pommes frites.

Tomato Chutney, Orissa, India

Tomaten-Chutney mit schwarzem Chili

Vegetable Market in Puri (Orissa)

Gemüsemarkt in Puri

Das kulinari­sche Angebot Puris richtet sich primär an Hindu-Pilger, von denen der Haupt­teil wohl aus dem be­nach­bar­ten Bengalen stammt. Daher gibt es viele Restau­rants, die mit zwiebel- und knob­lauch­freier benga­lischer Küche werben: Dort bekommt man dann mildes Linsen­püree, mit der bengali­schen Gewürz­mischung Panch Phoron zubereitete Gemüse­curries und dazu Reis und ein pikant–süßes Chutney, das häufig un­gefähr so schmeckt wie Tomaten­ketchup mit Zucker, Curry­blättern und Senf­körnern; im besten Fall ist es herr­lich fruchtig und glänzt mit halb­verkohl­ten Chilies zwischen den Tomaten­stückchen. Ebenfalls dabei sind Chips, also knusprig gebratene dünne Kartoffel­scheiben oder -streifen, zwischen denen sich manchmal einige Bitter­melonen­scheiben ver­stecken, die wirk­lich sehr ge­wöhnungs­bedürftig bitter schmecken.

Das benga­lische Knob­lauch­tabu ist übri­gens ein Über­bleibsel der vor­islami­schen Epoche, als Knob­lauch und Zwiebel in ganz Indien als höchst unrein galten und ihr Verzehr inner­halb der Stadt­mauern nicht geduldet war, wie ein chinesi­scher Besucher namens Xuan Zang 玄奘 im 7. Jahr­hundert auf­zeich­nete. Die Zwiebel­gewächse wurden erst durch die Moslems richtig ver­breitet und sind daher manchen Brahmanen bis heute eher suspekt geblieben; die Sanskrit-Literatur sagt ihnen nach, ihr inten­siver, die Sinne reizender Ge­schmack passe nicht zu einem reinen Leben, da er be­stimme Gelüste stärke. Warum Pfeffer und Chili nie unter dieses Tabu fielen, konnte mir keiner erklären.

Fleisch ist dagegen ein deutlich seltener gesichtetes Phäno­men. Während Fisch­curries in Puri fast überall zu haben sind, findet man Huhn oder Lamm nur auf wenigen Speise­karten. Statt­dessen prägt die Auf­schrift „100% Pure Veg“ das Stadt­bild, womit aus­gesagt ist, daß vegeta­risch und ent­sprechend den hin­dusti­schen Rein­heits­regeln gekocht wird. Nach einer liberalen Phase in den 80ern und 90ern scheint das Land jetzt wieder kon­servativer zu werden und mehr Augen­merk auf religiöse Traditionen zu legen.

Vor dem Tempel ist nach dem Tempel — morgen mache ich mich vom Acker und ziehe in das nur 20 km entfernte Konark, wo man eine der be­eindruckendsten Tempel­ruinen Nord­indiens besichtigen kann.


Khajuraho Konark

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