Landkarte
Belur und Halebid Siehe auch Mount Abu, Ranakpur, Girnar Udupi

Sravanabelagola ಶ್ರವಣಬೆಳಗೊಳ (Karnataka)

View onto Chandragiri seen from Vindhyagiri, in Sravanabelagola, Karnataka (India)

Der Chandragiri, gesehen vom Vindhyagiri

Staircase  ascent to Vindhyagiri, in Sravanabelagola, Karnataka (India)

Aufstieg auf den Vindhyagiri

Colossal statue of Gommateshwara (Bahubali) at Vindhyagiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Die Statue von Gomateshwara auf dem Gipfel des Vindhyagiri

Liebe Birgit,

stell Dir vor: Aus einer ganz flachen Ebene er­heben sich zwei kleine, mit rund­lichen Granit­felsen be­deckte Hügel. Da­zwischen liegt ein quadrati­scher Wasser­speicher, um den sich die Häuser eines Dorfes drän­gen. Der ganze Ort ist heilig, und beide Hügel werden von Tempel­komplexen ge­krönt; den gan­zen Tag lang pil­gern bar­füßige Inder über in den Stein ge­hauene Treppen zu den Tempel­anlagen hinauf. Das ist Sravana­belagola.

Der Ort ist ge­wisser­maßen ein lebendes Fossil, denn hier ist ein Stück Ver­gangen­heit lebendig ge­blie­ben: Etwa ein Drittel der Ein­wohner, so erzählte man mir, be­ken­nen sich noch zum Jainis­mus. Von dieser Religion war hier schon öfters länger oder kürzer die Rede. Noch vor tausend Jahren waren die Jains über ganz Indien ver­breitet und konnten den Hindus und Bud­dhisten ernst­haft numeri­sche Kon­kurrenz machen; ihre Theo­logie und Philo­sophie prägte das zeit­genössi­sche indi­sche Denken und wirkt bis heute fort. Und doch ist die Anzahl der Jains heute auf etwa ein Crore Gläu­bige ge­schrumpft (davon knapp die Hälfte in Indien, die anderen in der Diaspora), die vor­wiegend im (Nord)­westen leben und selbst dort nur 1–2% der Bevölkerung stellen.

Chandragiri Jain Temple Complex, Sravanabelagola, Karnataka, India

Der Tempelkomplex auf dem Chandragiri; im Vordergrund der Manastambha

Monolithic Gate Akhanda Bagilu at Vindhyagiri hill, Sravanabelagola, Karnataka, India

Das Eingangstor (Akhanda Bagilu) zum Komplex am Vindhyagiri

Sravana­belagola ist einer der be­deu­tend­sten Jain-Wall­fahrts­orte, viel­leicht noch be­liebter als die großen Tempel­komplexe in Raja­sthan und Gujarat. Eine riesige, knapp 20 m große mono­lithische Statue von Gomat­eshwara, einem legendären Sohn des ebenso legendären Ersten Furt­bereiters Adinath, steht auf dem Vindhya­giri, dem höheren der beiden Hügel, und blickt mit ent­spanntem Gesicht auf das Dorf herab. Nicht zuletzt be­trei­ben die bekannter­maßen bildungs­verses­senen Jains hier auch Schulen und Colleges, die vor­wiegend jainisti­sche Schüler und Schülerinnen aus allen Teilen Indiens anziehen.

Jain Idol in Sri Parshanatha Basti, Chandragiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Sri Parshvanatha am Chandragiri

Mandapa in Jain temple Kattale Basti, Chandragiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Mandapa im Kattale Basti (Chandragiri)

Priest (Purohita) at the base of Sri Gommateshwara (Bahubuli) Jain statue, Vindhyagiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Purohita am Fuß der Gomateshvara-Statue

Ein Jain-Trust be­treibt eine An­sam­mlung von Guest Houses, in denen es sich ganz gut und bil­lig woh­nen läßt; aller­dings be­rei­tete mir die florie­rende Kaker­laken-Popu­lation einiges Kopf­zerbechen. Zwar führe ich stets etwas Kaker­laken-Kreide mit mir, aber deren Ein­satz ist in einem ganz dem Ahimsa-Prinzip gewidmeten Hotel­betrieb moralisch eher frag­würdig. Ein Jain-Priester (Purohita) erklärte mir sogar, er verwende nicht einmal Mosquito Coils, obwohl diese Stink­spiralen die Blut­sauger ja eher vertreiben als vergiften. Ge­plagt von der Angst­vorstel­lung, mor­gens von einem zehn­stim­migen Chor mit “La Cucaracha” in mei­nem Bett ge­weckt zu werden, setzte ich die Kreide dann doch ein, und ach­tete darauf, am Ab­reise­tag so rasch auszu­checken, daß man die Be­sche­rung erst nach meinem Fort­gang be­mer­ken würde.

Die meisten der Jain-Tempel sind kleine, über­sicht­liche Struk­turen: Geschlos­sene, außen wenig ver­zierte Ge­bäude mit nur einem Ein­gang, einer kleinen Säulen­halle und ge­wöhn­lich nur einem Schrein, in dem ein Tirthan­kara-Kult­bild er­glänzt. Viele der Tempel gehören zur Digambara-Sekte, und daher sind die Tirthan­karas oft stehend und nackt abge­bildet. Vor vielen Tempeln finden sich Graffiti im Fels­boden oder sogar Stelen mit Ins­chriften, so daß die Tempel recht genau datiert werden können; sie sind bis zu 1000 Jahre alt. Aller­dings dürfte die Kult­stätte selbst viel älter sein; die Legende spricht von der Maurya-Epoche, also stolzen 2500 Jahren.

Die im wahr­sten Sinne des Wortes über­ragende Sehens­würdig­keit ist die große Statue von Gomat­eshwara (auch Bahu­bali ge­nannt), die in ihrem kleinen Innen­hof eines Tem­pels auf der Spitze des Vindhya­giri leider gar nicht rich­tig zur Gel­tung kom­men kann. Auch dieser Heilige ist nackt ab­ge­bil­det; zu seinen Füßen steht ein Puro­hita und spendet den Segen für die Pilger. In­schriften in ver­schie­denen Sprachen und Schriften bedecken die Um­gebung rund um die Füße des Kolosses.

Idol and protective Yakshas in Shasana Basti Jain temple, Chandragiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Kultbild im Shasana Basti, flankiert von Gomeda Yaksha und Yakshi Kushmandini Devi

Stone carving in Chandragupta Basti Jain temple, Chandragiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Durchbrochene Steinwand mit Relief im Chandragupta Basti

Die schöne­ren Tempel ste­hen je­doch auf dem Chandra­giri: Der große Parshva­natha Basti beher­bergt eine glänzende, fünf Meter hohe Statue des dreiund­zwanzigsten Furt­bereiters mit seiner kanoni­schen Haube aus einer sieben­köpfigen Schlange, und gleich vor dem Tempel strebt ein schlanker Mana­stambha himmel­wärts. Ein kleiner Tempel namens Chandra­gupta Basti erzählt in einem kunst­vollen Stein­relief die Geschichte des Maurya-Königs Chandra­gupta, der hier unter Anleitung des berühmten Jain-Lehrers Acharya Badrabahu meditierend der Welt entsagte. Und der zwei­stöckige Chavunda­raya Basti besticht durch eine relativ große Halle mit glatt­polierten, runden Säulen.

Das Heilig­tum in eine solchen Tempel besteht im Wesent­lichen nur aus einer Nische an der Stirn­seite mit einem schlichten Tirthan­kara-Kult­bild, das in den meisten Tempeln abends etwas ge­schmückt und mit Kerzen be­leuch­tet wird. Links und rechts von der Nische sind gewöhn­lich die „Schutz­geister“, abgebildet: Links der männ­liche (Yaksha) und rechts die weib­liche (Yakshini oder Yakshi). Es gibt ver­schie­dene solche Be­schützer, um die sich jeweils spezi­fische Legen­den ranken; manche werden von Jains fast wie Götter verehrt, obwohl die Jain-Religion ja eigentlich atheistisch ist (Parallen zum Buddhismus, besonders in seiner Maha­yana-Form, drän­gen sich auf). In den meisten Jain-Tempeln, die ich bisher gesehen habe, waren diese Yakshas nur als Relief gearbeitet, aber hier findet man volle Statuen dieser meist etwas klein und gedrungen dar­gestellten Wesen, die eine Viel­zahl ikono­graphischer Attri­bute in den Händen halten. Darunter auch etwas, was mich verdächtig an die „Mais­kolben“ von Somnathpur erinnerte.

Sitaphala fruit (akin to Hoysala “maize cobs”) in the hands of Yaksha/Yakhsi protective spirits, in Jain temples (Shasana Basti, Chavundaraya Basti, Kettale Basti), Chandragiri hill, Sravanabelagola, Karnataka (India)

Sitaphalas in den linken Händen von Schutzgeistern in einigen Tempeln am Chandra­giri: Links Gomeda Yaksha (Kattale Basti) und Sarwahna Yaksha (Chavundaraya Basti). Mitte und rechts die beiden Figuren aus dem Shasana Basti; der von Yakshi Kushmandini Devi gehaltene Sitaphala (rechts) sieht abweichend wie ein Pinienzapfen aus.

Sitaphala (Custard apple, Sugar apple, Annona squamosa) growing near Kumbhalgarh fort, Rajasthan (India)

Annonen wachsen in Indien verwildert und werden in verschie­denen Sprachen als Sitaphala bezeichnet. Diese hier war mir am Marsch nach Kumbhalgarh über den Weg gelaufen.

Diese Ob­jekte werden immer in der linken Hand ge­halten, in der­selben etwas ver­krampften Hand­haltung, wie ich sie auch in den etwas jün­geren Hoysala-Tempeln beob­achtet hatte. Sie sind noch bauchiger als jene (sehen also noch weniger nach Mais aus) und unter­scheiden sich in einem weiteren, ganz wesent­lichen Detail: Die „Körner“ sind meist nicht in Längs­reihen, sondern ent­weder in Quer­reihen oder in einem hexa­gonalen Muster an­ge­ordnet (diese beiden Alter­nativen sind topo­logisch äqui­valent und daher oft nicht klar unter­scheid­bar). Mais kann es also kaum sein; ich fragte die An­wesenden danach, und erhielt eine ein­deutige aber trotzdem unbe­friedigende Antwort: Sitaphala, die „Frucht der Sita“. Mein Sanskrit-Wörterbuch gibt dazu die Bedeutung „Rahmapfel, Annona squamosa“, und das ist auch die Bedeutung im modernen Kannada oder Hindi. Aller­dings ist auch diese Annone eine neu­weltliche Frucht, deren An­wesenheit im mittel­alterlichen Indien eine echte Über­raschung wäre (heute wächst sie allerdings vieler­orts verwildert). Allzu­groß ist die Ähnlich­keit aber ohne­hin nicht: Die Schuppen der Annone sehen nicht wirklich wie Samen­körner aus und sind auch viel größer.

Indian Food: Spicy Toast topped with Onion-Chili Masala

Toast

Indian Food: Alu Gede Ban (Potato Buns)

Alu Gede Ban

Indian Food: Mediocre Karnataka meals with North Indian Chapati and Raita

Hybrid aus Meals und Thali

Bei der Ver­pflegung stinkt Sravana­belagola selbst im Ver­gleich zu den nicht gerade heraus­ragenden Orten davor richtig ab. Damit will ich mich nicht über die voll­ständig vege­tarische Aus­rich­tung der Küche be­schweren; aber es schmeckt ein­fach nicht so recht. Offen­bar wegen der vielen nord­indi­schen Be­sucher ist das Essen nämlich ein rüder Mix aus Nord und Süd, und selbst die Meals werden mit Chapati ser­viert. Immer­hin konnte ich das dazu nutzen, um wieder einal ein bißchen Paneer zu essen. Der Wirt im größten (aber nicht un­bedingt besten) Restau­rant des Ortes, obwohl selbst Hindu, bot zu­sätz­lich zu den Kar­tof­feln trocken frit­tierte Koch­bananen an, weil Jains ja mit Wurzel­gemüsen so ihre Probleme haben.

Dafür konnte ich am Straßen­rand Neues probieren: Viele Händler ver­kaufen reich­lich euro­päisch aus­sehende Torten (Vor­sicht, Zucker­schock!) und auch einige pikante Snacks. Es handelt sich dabei um Sand­wiches oder Toast aus stark gesüßtem, perfekt plastisch defor­mier­barem Bade­schwamm-Brot. Der Belag ist aller­dings teil­weise über­raschend würzig und über­sticht die Süße spielend. Der in Butter­schmalz gebra­tene und mit einer Mi­schung aus ge­dünsteten Zwie­beln und Chilies belegte Toast schmeckte sogar richtig gut; etwas lahmer war dagegen der Alu Gede Ban (“potato bun”, mit Kartoffel­stücken gefülltes süßes Hefe­gebäck), der zu allem Überfluß vor dem Servieren in Tomaten­ketchup ertränkt wurde.

Besserung ist in Sicht: Nächste Woche fahre ich an die Küste, in das für seine vegetarische Küche berühmte Udupi.


Belur und Halebid Udupi

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