History of Middle-earth

Hinweis

Diese Seite beschäftigt sich mit posthumen Veröffentlichungen des englischen Autors John Ronald Reuel Tolkien, des Schöpfers des bekannten Romans Der Herr der Ringe. Wenn Sie nicht wissen, wer das ist, dann werden Sie das auch auf dieser Seite nicht erfahren (lesen Sie lieber die FAQ).

Wenn Sie Tolkien zwar kennen, aber das posthum veröffentlichte Werk Das Silmarillion nicht gelesen haben, dann sind Sie hier aller Wahrscheinlichkeit nach auch falsch. Diese Seite befaßt sich im wesentlichen mit der Entstehungsgeschichte von Das Silmarillion und behandelt Tolkiens diesbezügliche Schriften zwischen den Jahren 1916 und 1972, seinem Todesjahr.

Wenn Sie Das Silmarillion kennen, vielleicht auch Nachrichten aus Mittelerde (engl. Unfinished Tales) gelesen haben und mehr wissen wollen, dann sind Sie hier richtig.

Einleitung

Die History of Middle-earth (HoME) ist eine insgesamt zwölf Bände umfassende Buchserie, in der zuvor unveröffentlichtes Material Tolkiens in chronologischer Reihenfolge publiziert wird. Die Art der Texte ist dabei ziemlich unterschiedlich, man findet ausführliche Erzählungen, komprimierte Zusammenfassungen, Gedichte und Essays, daneben Wörterbücher und linguistische Erläuterungen zu den von Tolkien erfundenen Sprachen. Alle Titel sind bereits erschienen:

Wie man sieht, ist nur ein Bruchteil übersetzt.

Die Entstehungsgeschichte des Der Herr der Ringe hat mich weit weniger in ihren Bann geschlagen als die des Materials aus dem Ersten und Zweiten Zeitalter. Deshalb bespreche ich zur Zeit die Bände The Return of the Shadow, The Treason of Isengard, The War of the Ring überhaupt nicht und Sauron Defeated sowie The Peoples of Middle-Earth nur zu dem Teil, der sich mit den Ereignissen vor dem Ringkrieg beschäftigt. Die restlichen Bände der Serie, The Book of Lost Tales I, The Book of Lost Tales II, The Lays of Beleriand, The Shaping of Middle-earth, The Lost Road, Morgoth's Ring und The War of the Jewels werden dagegen einigermaßen vollständig behandelt; ob ich mich je zum Rest aufraffen werde, ist völlig ungewiß.

Wer ein Gefühl für den Stil dieser Bücher bekommen will, der sei auf die Leseproben am Ende dieses Dokuments verwiesen.


The History of Middle-earth, Volume I: The Book of Lost Tales, part I

Diese Erzählungen wurden von Tolkien etwa 1916 bis 1919, also während des Ersten Weltkriegs geschrieben. Eingebettet in eine Rahmenhandlung – der Seefahrer Ælfwine kommt zufällig in das Land Tol Eressea und hört dort Geschichten über die Vergangenheit der Elben – findet man hier die allererste Version von dem, was später zum Silmarillion wurde: Erzählungen aus den Ältesten Tagen, von den Valar und dem Kampf der Noldoli gegen Melko.

Auch wenn die meisten der wirklich wesentlichen Elemente des Silmarillions bereits vorhanden sind, so finde ich doch die Unterschiede in Perspektive und Stil ganz überwältigend. Erstens einmal, die Lost Tales sind, entsprechend der Rahmenhandlung, viel ausführlicher und wortreicher formuliert. Damit einher geht, daß sie vom Leser viel intensiver empfunden werden: Die Vernichtung der Zwei Bäume durch Melko ist nicht (wie in Das Silmarillion) eine betrübliche Tat, die zu Reflexionen über den Niedergang aller Dinge einlädt, sondern eine ganz konkret erlebte Katastrophe: Die Verwirrung der Valar, ihre planlose Suche nach Melko, ihre Trauer und Verzweiflung, ihre mehrfachen vergeblichen Versuche einer Wiederbelebung bis hin zum eindringlichen Bild von Vána, die den toten Stamm Laurelins mit ihrem goldenen Haar umschlingt und hemmungslos weint (und durch diesen Tau der Liebe gibt der Baum schließlich sein letztes Lebenszeichen), das alles wird seitenlang geschildert (Leseprobe ).

Während in Das Silmarillion die Metaphysik und Theologie ziemlich klar sind, bleibt der Leser in den Lost Tales diesbezüglich eher im unklaren. Elbische Wiedergeburt, das Geschick der Menschen und die Macht der Götter werden viel weniger rationalisiert oder gelehrt dargestellt; fast kommentarlos werden die Hallen von Mandos (für die Elben) und die Hallen von Nienna (für die Menschen) eingeführt. Das macht einen primitiven, unmittelbaren Eindruck, etwa so, wie wenn man das nordische Sigurdlied aus der Edda mit dem hochmittelalterlichen Nibelungenlied vergleicht.

Band I der Lost Tales enthält den valinorischen Teil der Mythologie: Die Musik der Ainur, das Kommen der Valar in die Welt, die Ankunft der Elben, die Flucht der Noldoli aus Valinor und die Entstehung von Sonne und Mond. Von der Ankunft der Noldoli in Mittelerde und dem Erwachen der Menschen gibt es ganz knappe Outlines.

Weiters enthält The Book of Lost Tales I zwei lange Wörterlisten der beiden Sprachen Qenya (einer Vorläuferin von Quenya aus dem Der Herr der Ringe) und Gnomisch, woraus sich langsam und über Umwege Sindarin entwickeln sollte.

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The History of Middle-earth, Volume II: The Book of Lost Tales, part II

Der zweite Band beschäftigt sich mit den Taten der Elben und Menschen in Mittelerde und enthält vier Erzählungen: Beren, Túrin, der Untergang Doriaths und der Kampf um Gondolin (sowie rohe Outlines von Earendel).

Während Tolkien sein ganzes Leben lang an ständig neuen Versionen der Geschichten von Beren und Túrin schrieb, sind die letzten beiden Erzählungen nie wieder aufgegriffen worden; vom Sturm Gondolins schrieb Tolkien in den 30ern (Quenta Noldorinwa, The Shaping of Middle Earth) noch ein paar Absätze (die ziemlich unverändert in Das Silmarillion auftauchen) und zum Verhängnis Doriaths gibt es, ebenfalls in der Quenta Noldorinwa, einen kurzen Abriß, der später durchgestrichen und mit So nicht! gekennzeichnet wurde, sowie ein paar Nebensätze (!) in der Tale of Years (The War of the Jewels). Deshalb sind diese beiden Erzählungen, unabhängig von ihrem literaturhistorischen Wert, für jeden Tolkien-Fan interessant.

Was über den Stil in The Book of Lost Tales I gesagt wurde, gilt auch für The Book of Lost Tales II. Es fehlt die spätere psychologische Raffinesse (besonders bei der Erzählung von Túrin auffällig), aber die Eindringlichkeit läßt nichts zu wünschen übrig. Farbige Schilderungen und unglaublicher Detailreichtum zeichnen vor allem die Geschichte um Gondolin aus; es heißt, daß Tolkien bei dieser Geschichte von seinen eigenen Kriegserlebnissen inspiriert wurde (Leseprobe).

In diesen beiden Bänden heißt das Volk der Noldor Noldoli, und häufig werden sie auch Gnomen genannt. Die Konzeption, daß Gnom und Noldo verwandte Worte sind hat Tolkien nie aufgegeben (vgl. Das Silmarillion Kap. XVII, ... und nach ihm [Felagund] benannten sie [die Menschen] sein Volk Nómin, die Weisen), aber die Verwendung von Gnom für Noldo wird in späteren Schriften immer seltener, wahrscheinlich um der Assoziation mit einem mißgebildeten Zwerg zu entgehen.

Das Wort Gnom bzw. Noldo ist nur eines von vielen Beispielen für eine ganz besondere linguistische Illusion, die Tolkien vor allem in seinen späteren Werken ganz offen aufbaute: Daß elbische Lehnwörter zu einem sehr frühren Zeitpunkt in menschliche Sprachen übernommen wurden und daß daher elbisches Vokabular bereits in der indoeuropäischen Grundsprache vorhanden war. Wörter wie Gnom sind verwandt mit lateinisch co-gno-sco ich erkenne oder griechisch γνῶσις (gnosis) Erkenntnis und leiten sich letztlich von einer indoeuropäischen Wurzel GNO- her, die im Kontext der Tolkienschen Schöpfung auf Urelbisch ñole Wissen zurückgeführt werden kann. Eine ähnliche Illusion baute Tolkien auch in morphologischer Hinsicht auf: So könnte das Deklinationssystem des Quenya plausiblerweise einem gemeinsamen Vorfahren der indoeuropäischen und der uralischen Sprachen (zu deren finno-ugrischem Zweig das Finnische gehört) Modell gestanden sein.

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The History of Middle-earth, Volume III: The Lays of Beleriand

Ein Lay ist ein Heldenlied, eine lange Erzählung in Versen. Abgesehen von einigen Fragmenten enthält The Lays of Beleriand nur zwei Texte: Das Lay of the Children of Húrin und das Lay of Leithian. Beide sind in zwei Versionen vorhanden, wovon die ältere viel weiter reicht, die jüngere aber ausführlicher ist.

Das Lay of the Children of Húrin beschreibt die traurige Geschichte von Túrin: Der Fluch Morgoths über seinen Vater, die Jugend Túrins in Doriath, seine Flucht und Karriere als Räuber, der Verrat an die Orks, seine Rettung (und versehentliches Erschlagen von Beleg: Leseprobe) und seine Ankunft in Nargothrond bis zur unterdrückten Liebe mit dem Elbenmädchen Failivrin.

Das Gedicht ist in einem alliterativen Metrum gehalten: Jede Zeile besteht aus zwei Versfüßen, und mindestens eine betonte Silbe in jedem Fuß (zumeist am Wortanfang) beginnt mit demselben Buchstaben. Ein sehr archaisches Englisch mit vielen Wörtern in seltener, veralteter oder sonstwie ungebräuchlicher Bedeutung macht das Lesen selbst für einen native English speaker nicht ganz einfach, aber der Leser wird durch viel sprachliche Schönheit entschädigt.

Zwei kurze Auszüge des Lay of Leithian sind im Silmarillion enthalten (der Singstreit zwischen Finrod und Sauron und Berens Abschied von Lúthien). In seiner ersten (längeren) Version reicht das Lied bis zur Flucht von Beren und Lúthien von Angband, die zweite ist allerdings interessant, weil sie erst nach der Veröffentlichung des Der Herr der Ringe geschrieben wurde, als sich Geographie und Charaktere bereits wesentlich geändert hatten; sie endet aber bereits vor Nargothrond.

In dieser Version des Lay of Leithian findet man auch ein schönes Sindarin-Gedicht; Lúthien singt es, kurz bevor sie Beren trifft:

[Ein elbisches Gedicht]

Ir ithil ammen Eruchín
menel-vîr síla díriel
si loth a galadh lasto dîn
ar Hîr Annûn Gilthoniel
le linnon im Tinúviel!
Tolkien schrieb keine Übersetzung dazu, doch ist es ziemlich klar, was es ungefähr heißen muß:
Wenn (?) der Mond auf uns, die Kinder Erús, scheint
ein himmlisches Juwel aus Silber
dann stehen Blume und Baum schweigend
Oh Herr (Herrin?) des Westens, Sterne entzündend,
zu Dir singe ich, die Nachtigall!
Es wurde bereits viel darüber gestritten, ob das Gedicht an Varda (Sternenentzünderin, dafür spricht die Anrede hîr annûn) oder einfach an den Mond (dafür spricht Zeile 1 und auch der Kontext des Lay) gerichtet ist.

Obwohl vom Englisch her etwas einfacher als das Lay of the Children of Húrin hat auch das Lay of Leithian seine Tücken, die vor allem in dem recht starren Metrum (ein paarreimiges Couplet aus vierfüßigen jambischen Zeilen) begründet sind. (Leseprobe)

Beide Lieder erreichen einen Grad an Detailreichtum, der in keiner späteren Arbeit über diese Themen wieder erreicht wird. Obwohl vieles, was darin gesagt wird, in explizitem Gegensatz zu Behauptungen späterer Quellen steht, bleibt noch mehr unwidersprochen; und ich glaube, daß Tolkien bei der Abfassung der späteren Silmarillion-Versionen viele dieser Details noch genau im Kopf hatte und sich davon leiten ließ. Wenn man nach der Lektüre der Lays (oder auch der Lost Tales) Das Silmarillion wieder liest, dann findet man vieles wieder von den an der Oberfläche verlorengegangenen Details wieder.

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The History of Middle-earth, Volume IV: The Shaping of Middle-earth

Als Tolkien sich um eine Veröffentlichung des Lay of Leithian bemühte, schrieb er als Erklärung für den mythologischen Hintergrund eine sehr knappe Zusammenfassung (ca. 20 Seiten), den Sketch of Mythology. Zu diesem Zeitpunkt (1926) hatte sich die Mythologie seit den Lost Tales bereits stark verändert, war aber in den Lays nicht explizit erläutert worden. Im Sketch werden nun praktisch alle Elemente des Silmarillion eingeführt: Die Noldorprinzen, die Chronologie von Beleriand und die Drei Häuser der Menschen haben ihren Auftritt, wobei das Haus von Haleth allerdings nur eine Seitenlinie des Hauses von Hador ist. Von nun an wird sich die weitere Entwicklung kontinuierlich ohne weitere große Sprünge vollziehen.

Das Lay wurde vom Verlag abgelehnt, der Sketch stieß jedoch auf vorsichtiges Interesse. Tatsächlich schrieb Tolkien von nun an hauptsächlich Prosa: Er ging vom Sketch aus und expandierte diesen stufenweise, wobei er den hohen, distanzierten und kompakten Schreibstil beibehielt. Das letzte Glied in dieser Kette aufeinanderfolgender Expansionen ist Das Silmarillion.

Um 1930 entstand die Quenta Noldorinwa, die Geschichte der Noldor, die erste Expansionsstufe des Sketch. Parallel dazu verfaßte Tolkien, als Hilfsmittel gedacht, eine Landkarte von Beleriand und sehr knappe Annalen, die Annals of Valinor und Annals of Beleriand. Die Quenta Noldorinwa ist die letzte von Tolkien je fertiggestellte Silmarillion-Version.

Ebenfalls in Zusammenhang mit der Quenta Noldorinwa schrieb Tolkien ein kurzes kosmologischens Werk, Ambarkanta, der Bau der Welt. Obwohl sehr interessant, ist die Ambarkanta nicht ohne weiteres auf die Kosmologie der späteren Silmarillion-Versionen übertragbar (der scholastisch-trockene Stil wird in der Leseprobe deutlich).

Die Mehrteilung des Silmarillion-Materials in eine Erzählung, zwei Annalen und verschiedenes gelehrtes Beiwerk bedeutet eine Abkehr von der ursprünglichen Konzeption einer Reihe von Erzählabenden (Lost Tales), zugunsten der Idee, das Material sei aus verschiedenen schriftlichen Quellen erhalten (als Autoren fungieren von allem Rúmil, der Weise aus Valinor, Pengolodh, ein Noldo aus Beleriand, und der etwas schattige Quennar Unótimo). Diese neue Betrachtungsweise bedingt auch den größeren erzählerischen Abstand (die Ereignisse des Silmarillions liegen für seine Verfasser bzw. Kompilatoren in weiter Ferne), der Das Silmarillion zu einem auf den ersten Bissen oft schwerverdaulichen Buch machen.

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The History of Middle-earth, Volume V: The Lost Road

Nach Fertigstellung der Quenta Noldorinwa und der damit assoziierten Werke wendet sich Tolkien der Atlantis-Sage zu und konstruiert, aus seiner Mythologie heraus, einen Hintergrund dafür. Der erste Versuch, einen Zugang zu Atalante, der Niedergefallenen Insel, zu finden, ist jedoch kurios: The Lost Road ist eine Art Zeitreisegeschichte, in der ein Vater und sein Sohn auf rätselhafte Weise durch die Geschichte reisen sollen – es gibt eine lange Vorgeschichte in der Gegenwart über das Auftauchen von Sprachfragmenten und Bildern aus Númenor im Geist von Vater und Sohn und ein unvollendetes Kapitel, das in Númenor zur Zeit des letzten Königs spielt (und den moralischen Verfall des Reiches gut einfängt, siehe auch die Leseprobe), aber alles dazwischen (geplant war insbesondere ein Langobarden-Kapitel) wurde nie geschrieben.

Parallel dazu entstehen zwei Versionen von The Fall of Númenor, Vorläufern der Akallabêth (Das Silmarillion). Diese beiden Erzählungen knüpfen an den Krieg des Zornes in der Quenta Noldorinwa an (The Shaping of Middle-earth) und sind Tolkiens erste Schriften über etwas nach dem Ersten Zeitalter (dieser Begriff selbst ist allerdings viel jünger). Die Geschichte der untergegangenen Insel wird in Sauron Defeated weiterentwickelt und in The Peoples of Middle-earth zum Abschluß gebracht.

Mitte der Dreißiger greift Tolkien wieder zur Feder, um eine neue Silmarillion-Version zu erzeugen, die nun Quenta Silmarillion heißt. Als Unterstützung dazu schreibt er auch neue Annalen, aber nur diese kommen auch zu Ende, die Quenta Silmarillion bricht nach dem Tode Túrins ab. Außerdem entsteht die erste Version der Ainulindale, denn die Musik der Ainur war seit den Lost Tales (Teil 1) nicht wieder behandelt worden.

Oberflächlich finden sich nur noch recht wenig Unterschiede zwischen dem publizierten Silmarillion und der Quenta Silmarillion. Tatsächlich fehlt der Quenta aber noch einiges in der psychologischen Feinheit und Subtilität des späteren Werkes, und Details der Chronologie sind ziemlich wirr (siehe dazu auch Morgoth's Ring).

Für alle Freunde von Sprachen ist The Lost Road wahrscheinlich das beste Stück in der History of Middle-earth: Die Lhammas (in drei Versionen) beschreiben Herkunft der inzwischen unzähligen elbischen Sprachen (Quenya und Buch-Quenya und Noldorin und Exil-Noldorin und Lembisch und Doriathrin und Ilkorin und ...) und ihre Beziehungen untereinander. Die Etymologies sind eine umfangreiche Sammlung elbischer Wurzeln, das heißt, jeder Elemente, aus denen sich Wörter zusammensetzen, und enthalten auch ein riesiges Vokabular (leider fehlt es an der Grammatik).

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The History of Middle-earth, Volume VI: The Return of the Shadow

The History of Middle-earth, Volume VII: The Treason of Isengard

The History of Middle-earth, Volume VIII: The War of the Ring

In diesen drei Bänden präsentiert Christopher Tolkien die ursprünglichen Entwürfe zu Tolkiens Hauptwerk, Der Herr der Ringe. Dabei reicht The Return of the Shadow im wesentlichen bis nach Bruchtal, The Treason of Isengard bis nach Rohan und The War of the Ring enthält dann die in Gondor spielenden Kapitel.

Ich habe bereits in der Einleitung dieses Dokuments festgestellt, daß mich die Geschichte des Herrn der Ringe bei weitem nicht so fasziniert wie die des Silmarillions. Das Material aus dem Ältesten Tagen ist vielfältig und in seiner Entstehungsgeschichte abwechslungsreich: Die ausführlichen, aber in ihrer Mythologie sehr ursprünglichen Lost Tales; die wunderschön ausformulierten Lays; der extrem komprimierte Sketch und seine nachfolgend stufenweise erweiterten Quenta-Versionen; unterstützende Texte wie die Ambarkanta oder die Lhammas. Ein Thema, der Kampf der Eldar und Edain gegen Morgoth, wird dabei nicht nur zeitlich entwickelt, sondern aus verschiedenen Perspektiven und in wechselndem Detailreichtum dargestellt. Demgegenüber erscheint mir Der Herr der Ringe als auskonvergierter Endpunkt einer zielgerichteten Entwicklung, im Lauf derer die Handlung immer weiter ausgeschmückt, verbessert und vertieft wurde.

Der Herr der Ringe läßt kaum Fragen über den Ringkrieg offen, und daher können die früheren Versionen und Entwürfe des Werkes auch keine Fragen beantworten. Demgegenüber hat wohl kein Leser Das Silmarillion fertiggelesen und danach das Gefühl gehabt, nun alles über die Juwelenkriege zu wissen. Nach dem Studium der History of Middle-earth kann man Das Silmarillion mit neuen Augen lesen und sieht viele Szenen nun detailreicher und plastischer, in einem neuen Zusammenhang; Der Herr der Ringe hat mir diesbezüglich leider kein entsprechendes Aha-Erlebnis beschert.

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The History of Middle-earth, Volume IX: Sauron Defeated

Außer dem Abschluß des Herrn der Ringe (Frodos Weg zum Orodruin und seine Rückkehr ins Auenland) enthält dieser Band den zuvor unveröffentlichten Epilog, in dem Samweis 1436 AZ, also einige Jahre nach dem Verschwinden Frodos, anläßlich eines Briefes von König Aragorn mit seinen Kindern über den Ringkrieg spricht und ihre Fragen zu diesem Thema beantwortet. Dieser Brief ist übrigens das längste Sindarin-Dokument des Corpus und daher für Sprachinteressierte besonders wichtig. Die im Tengwar-Text unterstrichenen Eigennamen sind in Transkription und Übersetzung kursiv wiedergegeben.

[Ein elbischer Brief]

Elessar Telcontar: Aragorn Arathornion Edhelharn, aran Gondor ar Hír i Mbair Annui, anglennatha i Varanduiniant erin dolothen Ethuil, egor ben genediad drannail erin Gwirith edwen. Ar e aníra ennas suilannad mhellyn în phain: Edregol e aníra tírad i cherdir Perhael (i sennui Panthael estathar aen) Condir i Drann, ar Meril bess dîn, ar Elanor, Meril, Glorfinniel, ar Eirien sellath dîn; ar Iorhael, Gelir, Cordof, ar Baravorn, ionnath dîn.

A Pherhael ar am Meril suilad uin aran o Minas Tirith nelchaenen uin Echuir.

Tolkien schrieb auch eine Übersetzung dazu:
Aragorn Streicher der Elbenstein, König von Gondor und Herr der Westmark, wird am achten Tag des Frühlings, oder in der Auenland-Zeitrechnung am zweiten April, zur Brücke des Baranduin kommen. Und er wünscht, dort alle seine Freunde zu treffen. Ganz besonders wünscht er Herrn Samweis (der besser Ganzweis genannt werden sollte), den Bürgermeister des Auenlandes, zu treffen; und Rose, seine Frau; und Elanor, Rose, Goldlöckchen und Margerite, seine Töchter; und Frodo, Merry, Pippin und Hamfast, seine Söhne.
An Samweis und Rose die Grüße des Königs aus Minas Tirith, am einunddreißigsten Tag der Regung was der einundzwanzigste Februar in ihrer Zeitrechnung ist.
Besonders bemerkenswert sind die Sindarin-Namen von Sams Kindern und das Wortspiel mit Samweis' Name (Sindarin perhael enthält per- halb, so wie in Peredhel Halbelbe). Mit Regung ist eine der Jahreszeiten des Dûnedain-Kalenders gemeint (siehe den Appendix in Der Herr der Ringe).

Der Epilog wurde von Tolkien schließlich ersatzlos gestrichen – meiner Meinung nach eine gute Entscheidung, denn da er wieder ganz unter einfachen Hobbits spielt, schließt er stilistisch ganz an die ersten Kapitel an und schlägt sich entsprechend mit der in gehobener Sprache geschilderten Abreise der Ringträger und Hochelben. Trotzdem hat der Epilog seine Meriten und ist zweifellos lesenswert, und sei es nur, weil er das Familienleben der Hobbits beleuchtet (Leseprobe).

Der Rest von Sauron Defeated enthält eine Menge Material über Númenor, teilweise in extrem überraschender Form. Es finden sich die dritte Version von The Fall of Númenor (schließt eng an die vorherigen Versionen aus The Lost Road an) sowie zwei Versionen The Drowning of Anadûnê und die bemerkenswerten Notion Club Papers.

In den beiden Versionen von The Drowning of Anadûnê präsentiert Tolkien eine scheinbar radikal geänderte Mythologie, in der die Geschichte der Versunkenen Insel aus der Perspektive ungelehrter Menschen erzählt wird, die nichts von Eru, den Valar und den Eldar wissen, sondern nur von unsterblichen Wesen, deren Motive sie nicht durchschauen und die in einer Welt leben, deren Krummheit sie nicht begreifen können. Da der Leser natürlich aus anderen Quellen bereits die wirkliche Mythologie kennt, entsteht beider Lektüre von The Drowning of Anadûnê ein Eindruck von schwindendem Wissen und vom unwiderruflichen Verfall der einstmals hohen Kultur von Westernis.

Die Bedeutung dieser beiden Erzählungen liegt dennoch weniger in ihrem Inhalt, der teilweise eine geradlinige Entwicklung von The Fall of Númenor und teilweise eine bewußte Verfremdung der Mythologie entsprechend der gewählten Perspektive ist; wichtig für das Folgende ist jedoch, daß Tolkien hier erstmals mit einer númenórischen Sprache liebäugelt und alle Eigennamen von Personen oder Plätzen in der Sprache Númenors (dem Adûnaischen) angegeben sind (Leseprobe).

Die Notion Club Papers sind schließlich ein einzigartiges und sehr bemerkenswertes Werk, das eine Variation der für die Erzählung The Lost Road geplanten Zeitreisegeschichte darstellt. Zwei Mitglieder eines literarischen Clubs (in dem Kenner der Biographie Tolkiens problemlos den Club der Inklings wiedererkennen werden) entdecken in ihren Träumen Fragmente zweier unbekannter Sprachen und erfahren in Bruchstücken die Geschichte einer großen Katastrophe.

Die Geschichte beginnt recht langatmig mit zahlreichen Diskussionen über Fantasy-Literatur und ihre (schriftstellerischen) Gesetze und endet überhastet und etwas abrupt; das Lesevergnügen steigt, wenn man einige der anderen Clubmitglieder wiedererkennt. Auch wenn die Atlantisgeschichte in diesem Werk nicht weiterentwickelt wird, so ist doch die gepflegte Londoner Clubatmosphäre ein spannender Kontrast zu Tolkiens sonstigen Schriften.

Sprachinteressierte werden sich besonders über eine, allerdings sehr früh aufgegebene, Grammatik der adûnaischen Sprache freuen – der einzigen derartigen Grammatik, die Tolkien je über eine seiner Sprachen schrieb. Es werden Fragen der Phonologie und Sprachentwicklung (Entlehnungen aus dem Quenya) behandelt, weiters geht Tolkien auf die Wortbildung aus zwei- und dreikonsonatigen Wurzeln ein und beschreibt ausführlich die Deklination adûnaischer Substantive.

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The History of Middle-earth, Volume X: Morgoth's Ring

Die Veröffentlichung des Der Herr der Ringe brachte es mit sich, daß Tolkien mit Fragen über die nun teilweise enthüllte Kosmologie und Metaphysik seiner Welt bombardiert wurde. Da in Der Herr der Ringe recht wenig darüber gesagt wurde, hatte Tolkien jedoch die Möglichkeit, noch große Veränderungen am Hintergrund vorzunehmen, und tatsächlich regten ihn viele Anfragen, die er erhielt, zu ausgedehnten Spekulationen an. Für das Verständnis von Tolkiens Schöpfung ist Morgoth's Ring der wahrscheinlich wichtigste Band der History of Middle-earth.

Morgoth's Ring enthält die Ainulindale in einer Form ganz ähnlich der im Silmarillion. Große kosmologische Veränderungen kennzeichnen diese Version: So wird vor dem eigentlichen Schöpfungsakt erstmalig die Vision erwähnt, die die Ainur von der noch nicht geschaffenen Erde haben. Außerdem wird das Weltall (Ea) nun wesentlich vergrößert, so daß Arda (wie Tolkien schreibt, entspricht dieser Begriff ungefähr dem Sonnensystem) nur einen kleinen Teil von Ea ausfüllt.

Tolkien fühlte, daß er seinen Schöpfungsmythos mit modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Übereinstimmung bringen mußte, um ihn plausibel präsentieren zu können. Daher schrieb er eine neue Version, in der die Sonne von Anfang an Teil der Schöpfung war und in der die Beiden Bäume daher eine weniger wichtige Stellung einnehmen. Später gab er die Arbeit an dieser Version wieder auf, aber es scheint, als ob er diesen Gedankengang nur vorübergehend nicht weiterverfolgte, nicht aber völlig beiseite schob.

Weiters finden sich die Annals of Aman und die Quenta Silmarillion (spätere Fassung, von Christopher Tolkien als Later Quenta bezeichnet) bis zur Ankunft der Noldor in Mittelerde. Die Annalen vergrößern unser Wissen über die Chronologie der Zeit vor dem Aufgang der Sonne gewaltig und sind sehr ausführlich über den Aufstand der Noldor in Aman (herrlicher Stil!). Das publizierte Silmarillion schöpfte aus beiden Quellen (Annalen und Quenta).

In die Later Quenta eingestreut finden sich zwei Texte von höchstem Interesse: Laws und Customs among the Eldar beschreibt Heiratsitten, Kindererziehung, Wiedergeburt etc., während Finwe and Míriel den theologischen Hintergrund der eigenartigen Geschichte von der Wiederverheiratung Finwes beleuchtet. Eine lange Diskussion unter den Valar betrifft Fragen der Gerechtigkeit, der wahren und der (durch Melkor) zerstörten Natur der Dinge anläßlich dieses Falls (von dem gesagt wird, daß die Valar ihn sehr ernst nahmen, da er der erste Tod im Segensreich war).

Das Kernargument dabei ist, daß wenn es Finwe nach dem Tod Míriels gestattet würde, erneut zu heiraten, so würde damit der Tod Míriels faktisch anerkannt, obwohl für Elben Tod nicht Bestandteil ihrer Natur sei – das kann man so interpretieren, daß die Valar mit einer solchen Erlaubnis Ilúvatars ursprüngliche Pläne ad absurdum führen. Aber Manwe dekretiert (Leseprobe) schließlich, daß Kompromisse in Arda Marred (die durch Melkor in ihrer Struktur gestörten Welt, engl. mar heißt beschädigen oder vereiteln, Quenya Arda Hastaina) nötig und am wenigsten schlimm seien. Dadurch werde zwar das Böse akzeptiert, aber das sei unvermeidlich, da es nur in Erus Macht liege, die Welt neu zu erschaffen (Arda Envinyanta, wenn die zweite Musik der Ainur erklingen wird).

Modewörter, die seit Morgoth's Ring in jeder Diskussion um Tolkien eingebracht werden, sind hroa (Körper) und fea (Geist, Seele; die Beziehung von hroa und fea wird mit Haus und Bewohner verglichen). Ein fea, dessen hroa zerstört ist, lebt in den Hallen von Mandos, bis Mandos ihm erlaubt, entweder wiedergeboren zu werden (diese Alternative betrachtet Tolkien jedoch zunehmend argwöhnischer und läßt sie vielleicht sogar ganz fallen) oder ihm einen neuen hroa schafft; in beiden Fällen muß der fea sein altes Leben weiterführen. Hauslose fear, die sich weigern, in Mandos Hallen zu kommen, werden als Ursache von Geistererscheinungen plausibel gemacht.

In der Athrabeth Finrod ah Andreth lernen wir Andreth kennen, eine Nachfahrin von Beor dem Alten. Sie führt ein philosophisches Gespräch mit Finrod Felagund über die Sterblichkeit der Menschen und die Unsterblichkeit der Elben. Sie behauptet, Menschen seien nicht immer sterblich gewesen, sondern so geworden durch die Bosheit Melkors; Eru habe die Menschen, so ihre Behauptung, für ewigwährendes Leben als Doppelwesen aus hroa und fea erschaffen. Finrod argumentiert dagegen, daß nach der übereinstimmenden Meinung aller elbischen Lehrmeister der fea des Menschen nicht dauerhaft für die materielle Welt (arda) geschaffen sei. Diese für ihn unumstößliche Wahrheit erzeuge aber einen Widerspruch zu Andreths Behauptung, denn hroa (erdgebunden) und fea (bestimmt für jenseits der Kreise der Welt) des Menschen können nicht auf ewig miteinander verbunden bleiben.

Anders, so Finrod, sei die Situation bei den Elben: Denn ihre fear seien viel stärker auf die materielle Welt, auch auf die eigenen hroar, hin ausgerichtet. Deshalb sehen die Elben Arda als ihre Heimat an und seien mit der Schöpfung besonders eng verbunden. Wegen ihrer Diesseitsorientierung haben die Elben auch gewisse Meisterschaft über die Natur, wie sie Menschen niemals erreichen könnten: Arda, so sagen die Elben, sei ihr Zuhause, während die Menschen hier nur Gäste seien. Deshalb komme den Elben innerhalb Ardas Unsterblichkeit zu, aber, so fügt Finrod traurig hinzu, es wäre schwer vorstellbar, wie die Elben den Tag, an dem die Schöpfung wieder rückgängig gemacht würde, überleben könnten. Arda muß aber zeitlich begrenzt sein, weil nur Eru ewig währen kann.

Die Behauptung von der menschlichen Unsterblichkeit erscheint Finrod zuerst völlig unglaubwürdig; da Andreth jedoch darauf besteht, daß es seit alters her eine derartige Überlieferung in ihrem Volk gäbe, wird er dann doch hellhörig. Aus den Überlieferungen ergibt sich, daß Eru die ursprünglich unsterblichen Menschen mit Sterblichkeit bestrafte, nachdem sie von ihm abgefallen waren und zu Melkor beteten. Finrod hält die Geschichte eines Falls der Menschen und einer Bestrafung durch Eru für plausibel, da die Elben an den Menschen immer schon einen Schatten, eine Art seelischer Wunde, diagnostiziert hatten. Deshalb ist er nicht abgeneigt, zumindest diesen Teil von Andreths Geschichte zu glauben.

Schwierigkeiten bereitet ihm aber die zweite Behauptung Andreths, daß nämlich die Menschen vor dem Fall unsterblich gewesen wären, da sein Argument über die Inkompatibilität von hroa und fea immer noch zutrifft. Schließlich erkennt Finrod, daß das Paradoxe tatsächlich möglich sei, wenn nämlich der fea des Menschen seinen hroa mitnimmt in eine andere Welt jenseits der Welt, wodurch der hroa von dem Einfluß Melkors (dem alle Materie unterliegt) geheilt werden könnte. Damit, so Finrod, wäre es immerhin denkbar, daß Materie auch außerhalb der materiellen Schöpfung (Arda) existiert – was auch eine Möglichkeit für das Überleben der Elben eröffnet. Wenn Menschen wirklich zu einem solchen Schicksal geschaffen wären, dann wären sie, so schließt er, tatsächlich mächtige Kinder Ilúvatars, und umso bedauerlicher sei ihr schrecklicher Fall.

Anklänge an katholische und besonders gnostische Philosophie sind unverkennbar. Finrod hat am Ende eine Vision, die man als Vorwegnahme der Geburt Christi ansehen kann: Eru als Schöpfer, der seine eigene Schöpfung betritt, um das in die Schöpfung eingebaute Übel (das katholische Konzept der Erbsünde) zu besiegen.

Es ist schwierig, diesen Teil der Athrabeth abschließend zu beurteilen. An der Oberfläche scheinen sich unüberwindbare Widersprüche zur offiziellen Metaphysik im Silmarillion aufzutun: Wird nicht die Sterblichkeit der Menschen im Silmarillion als Gabe bezeichnet, mit der Eru die Menschen auszeichnete? Wie sollte sich der Fall der Menschen zeitlich abgespielt haben? Ist das alles nicht nur eine Erfindung númenórischer Schöngeister, die aus Angst vor dem eigenen Sterben diese skurrile Mischung aus einem Neidpamphlet gegen die Eldar und einer Apologie des Menschseins verfaßt haben? Tolkien war sich offenbar selbst nicht sicher; in den umfangreichen Anmerkungen schreibt er, daß dieses Gespräch kaum historisch in dieser Form stattgefunden habe und daß Spuren von späterer Bearbeitung (im Zweiten und Dritten Zeitalter) nachweisbar sein. Es scheint, als ob Tolkien das von ihm selbst aufgestellte Argument in Zweifel ziehen wollte.

Trotzdem ist es möglich, Andreths Argumenten in der Athrabeth zu folgen. Im Sinne einer solchen Spekulation wäre Erus Gabe an die Menschen der Tod gewesen – aber nicht der Tod, wie wir ihn heute kennen, sondern die Möglichkeit, aus freiem Willen Arda zu verlassen, und zwar als intaktes Doppelwesen aus hroa und fea. Seit dem Fall der Menschen hat Tod die heutige Bedeutung: Der Sterbende muß das Trauma einer Trennung von Geist und Körper erleben, und er kann seinen Körper nicht mehr ins nächste Leben mitnehmen. Schwierigkeiten macht mir jedoch die Chronologie der Menschheitsgeschichte: Wie könnten der ursprüngliche unsterbliche Zustand, der Fall und der lange Weg nach Beleriand alle in die kurze Zeit von drei Jahrhunderten gepackt werden? Immerhin sagt Andreth, daß diese Ereignisse sich vor vielen Generationen zugetragen haben – der Fall der Menschheit muß sich wohl im Zeitraffertempo abgespielt haben.

Die Athrabeth hat jedoch noch eine zweite, persönliche Komponente: Im Zuge der Diskussion erkennen wir immer mehr Bitterkeit aus Andreths Worten, deren Ursache uns nicht klar ist. Erst später bringt Finrod sie behutsam dazu, darüber zu sprechen: Sie hatte eine kurze Romanze mit Aegnor (Bruder Finrods) gehabt, und blieb deshalb unverheiratet. Finrod erklärt ihr, daß Aegnor sie nicht als zu niedrig abgelehnt habe, und zeigt einige Unterschiede in der Mentalität zwischen Elben und Menschen auf. Letztlich sagt er ihr sogar voraus, daß sie Aegnor überleben würde (das Gespräch fand im Jahr 409 statt, als Andreth 48 Jahre alt war; Aegnor fiel in der Dagor Bragollach, 455). Mit bitteren Reden und von kultivierter Verzweiflung über das Schicksal durchsetzt, ist die Athrabeth ein literarischer Höhepunkt in Tolkiens Schriften (Leseprobe).

Morgoth's Ring schließt mit etlichen kurzen Essays über verschiedene, sehr interessante, Themen (Myths Transformed). Leider sind diese Dokumente nicht im mindesten konsistent, so bieten sich dem interessierten Leser die folgenden Erklärungen für den Ursprung von Orks:

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The History of Middle-earth, Volume XI: The War of the Jewels

The War of the Jewels steht zu Morgoth's Ring etwa im selben Verhältnis wie The Book of Lost Tales II zu The Book of Lost Tales I: Die Schriften in Morgoth's Ring und The War of the Jewels sind fast gleichzeitig entstanden und werden nur aus editorischen Gründen in einen valinorischen und einen beleriandischen Teil unterteilt.

Der zweite Teil der Later Quenta bringt relativ wenig Fortschritte gegenüber der Quenta Silmarillion in The Lost Road. Das Volk von Haleth entsteht in seiner endgültigen Form und die Chronologie des ersten Zeitalters wird so verlängert, daß nun vier Generationen von Menschen vor der Dagor Bragolloch leben (in der Quenta Silmarillion war Barahir ein Sohn Berens, d.h. bereits die erste in Beleriand geborene Generation erlebte den Fall Fingolfins). Ausführliche Stammbäume mit Geburts- und Todesdaten erklären die mittlerweile ordentlich komplexen Verwandschaftsverhältnisse zwischen den drei Häusern am Ende des Ersten Zeitalters (das, was sich im Anhang des Silmarillions findet, ist nur ein kleiner Teil der ganzen Geschichte!). Auch die Chronologie der Gründung von Nargothrond und Gondolin wird verändert. Sowohl die Later Quenta als auch die damit assoziierten Grey Annals enden mit dem Tod Túrins.

The Wanderings of Húrin ist eine (natürlich auch) unvollendete Erzählung, die Húrins Weg von Thangorodrim über Hithlum, Brethil, Nargothrond bis nach Doriath beschreiben hätte sollen. JRRT ist nur bis nach Brethil gekommen. Während die Einleitung relativ langatmig erzählt wird, steigert sich das Tempo gewaltig, sobald Húrin nach Brethil kommt. Er findet seine verhungernde Frau am Grab seiner Kinder, und wird als Landstreicher verhaftet und vom neuen Führer (Tolkien verwendet den Ausdruck Halad, pl. Haladin nicht mehr für das Volk, sondern nur für den gewählten Führer) der Waldmenschen, Hardang, schäbig behandelt, worauf er ihn tätlich angreift. Aber Manthor, ein angesehener Mann aus der Haus der Haladin, steht ihm bei und erwirkt bei einer Volksversammlung Húrins Freispruch von allen ihm zur Last gelegten Verbrechen. Es bricht eine Revolte gegen Hardang aus, er und Manthor fallen. Alle Charaktere sind psychologisch ausgezeichnet dargestellt, und der ganzen Handlung wohnt eine erstaunliche Bitterkeit und Schärfe inne, die enorme dramatische Spannung auch ohne viel Aktion aufbaut. Außerdem wird die Sozialstruktur der Menschen von Brethil genau geschildert (Leseproben).

Die Tale of the Years ist eine sehr knappe chronologische Beschreibung des ersten Zeitalters ganz analog zu dem, was man in den Anhängen des Der Herr der Ringe über das Zweite und Dritte Zeitalter findet. Sie existiert in fünf oder sechs Versionen, ab der zweiten unvollständig, und das ist ein Jammer, weil alle Ereignisse nach dem Jahr 500 (Túrin stirbt 499) nur durch die Tale of the Years erfaßt sind – der Untergang Doriaths, der Fall Gondolins, der Zweite Sippenmord, der Angriff auf die Hafen am Sirion und der Krieg des Zorns sind seit der Quenta Noldorinwa (The Shaping of Middle-earth) von 1930 offengeblieben.

Der Untergang Doriaths ist wahrscheinlich der schlimmste Fall, und die Geschichte im Silmarillion ist im wesentlichen von Christopher Tolkien geschrieben worden (die Mitwirkung der Ents im Kampf gegen die Zwerge wird in einem Brief 1963 erwähnt, aber die Tale of the Years führt die Vernichtung des Zwergenheeres auf die Streitkräfte von Curufin und Celegorm zurück).

Leider läßt sich aus den verschiedenen Versionen der Tale of the Years kein stimmiges Bild gewinnen, praktisch alle wichtigen Daten nach der Geburt von Earendil (500 oder 503) variieren erratisch. Doch scheinen die Geburt von Elros und Elrond (532) und das Ende des Ersten Zeitalters (590) ganz gut zur Aussage aus Nachrichten aus Mittelerde zu passen, wonach Elros 422 (Zweites Zeitalter) im Alter von 500 Jahren gestorben sei.

The War of the Jewels enthält dann einen vor allem linguistisch interessanten Teil, Quendi and Eldar, in dem Bezeichnungen für Sprache oder Elben in verschiedenen Sprachen erläutert werden. Dabei kürzt Tolkien den sprachlichen Wildwuchs der 30er Jahre dramatisch zusammen, sodaß Sindarin (wenn auch in verschiedenen Dialekten) als einzige Sprache in Beleriand übrigbleibt, allerdings unterscheidet er zwischen verschiedenen Sprachen in Valinor (Quenya und Telerin). Zentral dabei ist die neue Konzeption, daß die Noldor in Beleriand durch den Befehl Thingols gezwungen waren, Quenya aufzugeben und Sindarin zu sprechen. Weiters gibt es die erste und einzige Aufstellung von Wörtern der Sprache der Valar (in den 30ern lehrte Orome die Eldar bei Cuiviénen zuerst Valisch, ehe sie dann diese Sprache nach eigenen Vorstellungen veränderten; in Quendi and Eldar wird jedoch explizit gesagt, daß das Elbische und das Valische nichts gemeinsam haben). Die beiden Worte Ezellohar und Máhanaxar sind Beispiele für valische Fremdwörter in elbischen Sprachen, aber auch die Namen der meisten Valar sind dem Valischen entnommen und nur in der Form dem Quenya angepaßt worden.

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The History of Middle-earth, Volume XII: The Peoples of Middle-earth

Mit diesem Band findet die History of Middle-earth ihren Abschluß. Außer umfangreichen Erläuterungen über die Anhänge in Der Herr der Ringe finden sich Angaben über die Enstehung der Akallabêth, die an die beiden Bände The Lost Road und Sauron Defeated anschließen.

Außer nur für Spezialisten interessanten Änderungen an den Namen liegen nur wenige Unterschiede zwischen The Drowning of Anadûnê und der in Das Silmarillion publizierten Version der Akallabêth. Wichtig sind gewisse Änderungen in der Genealogie, so daß sich die ganze Geschichte des Abfalles der Númenórer in mehreren Generationen abspielt, und auch der weitsichtige König Tar-Palantír taucht erstmals auf. Der Charakter des letzten Königs, Ar-Pharazôn, wird näher beleuchtet, und aus kurzen Noten wird klar, daß Tolkien ihn nachträglich in einigen Dingen menschlicher zeichnen wollte: In der Jugend habe er in Geist und Körper an die Edain aus der Altvorderenzeit erinnert, und seine Jugendfreundschaft mit Amandil habe trotz gegenteiliger Ansichten die Elbenfreunde lang vor Verfolgung bewahrt. Auch die Geschichte seiner gewaltsamen Verheiratung mit Tar-Míriel weicht zugunsten einer psychologisch fundierteren Darstellung, in der sich Míriel in jungen Jahren in den attraktiven Ar-Pharazôn verliebt und dazu sogar ihre Verlobung löst, doch er zeigt an ihr erst nach dem Tode ihres Vaters Interesse. Nach der Heirat überläßt sie ihm freiwillig die Königswürde.

Weitere Texte in The Peoples of Middle-earth beschäftigen sich mit dem Ersten Zeitalter. Of Dwarves and Men ist ein langer Essay mit vielen neuen Informationen über die Zwerge und ihre Beziehungen zu den Menschen, der jedoch teilweise mit dem Anhang in Der Herr der Ringe überlappt. Fast nur zuvor weitgehend unbekannte Fakten enthüllt dagegen der zweite Teil des Essays über die Menschen, besonders die Drei Häuser der Atani. Die Passage über die Drúedain in Nachrichten aus Mittelerde stammt aus diesem Essay, in dem auch gesagt wird, daß die Dunländer aus Der Herr der Ringe tatsächlich ein Rest des Volkes von Haleth sind, dessen bittere Feindschaft mit den Dúnedain des Dritten Zeitalters in der númenórischen Eroberungs- und Kolonialisierungspolitik des Zweiten Zeitalters begründet lag.

Höchst interessant für alle Elbenfreunde ist ein Text mit dem Titel The Shibboleth of Feanor. Darin werden die Charaktere der Noldorprinzen in Aman weiter vertieft; ein Abschnitt über Galadriel aus diesem Werk ist bereits aus den Nachrichten aus Mittelerde bekannt.

Der Text baut auf der Idee auf, daß die Sprachen der Elben Lautverschiebungen erleiden. Während jedoch bei menschlichen Sprachen die kurze Lebensdauer der Sprecher solche Verschiebungen erleichtert, stellen sich die Elben aktiv und bewußt von einer Aussprache auf eine andere um. So wurde etwa der ursprüngliche Laut þ (etwa wie englisches th in thin) durch s verdrängt, weswegen es in der Orthographie des Quenya mit súle (eigentlich þúle) und silmen zwei verschiedene Buchstaben für den Laut s gibt. Die Umstellung vollzog sich in Míriels Lebenszeit, und anders als die meisten anderen Noldor, insbesondere Finwe, gewöhnte sie sich selbst nie die neue Aussprache an und nannte sich stets Míriel þerinde. Feanors Entfremdung von Finwe und der Haß auf seine Stiefmutter Indis findet in seinem Festhalten an der altertümlichen Aussprache ein äußeres Zeichen; auch seine Anhänger machten sich diese zu eigen. Das Wort shibboleth (aus dem Alten Testament, Buch der Richter 12:6) bezeichnet im heutigen Englisch eine besondere Sprachverwendung, in der sich eine Gruppe von der Mehrheit unterscheidet.

Außer diesen Details über Feanors Rebellion enthält The Shibboleth of Feanor auch eine Erklärung, wie die Namen der Noldorprinzen aus dem Quenya in ihre aus den anderen Texten bekannten Sindarin-Formen übertragen wurden. Viele Tolkien-Linguisten hatten sich zuvor über die Bedeutung einiger Namen den Kopf zerbrochen; in der Shibboleth werden etliche offene Fragen geklärt; ein kurzer, aber sehr informativer Abschnitt beschäftigt sich mit den Namen von Feanors Söhnen (Vater- und Mutternamen in Quenya und die zumeist von den Mutternamen abgeleiteten Sindarin-Formen).

Auch einige neue Namen und Charaktere werden genannt; allerdings sind die Verwandtschaftsverhältnisse nicht ganz mit denen in Das Silmarillion kompatibel, da Orodreth nicht als Sohn Finarfins (und damit Bruder von Finrod Felagund, Angrod, Aegnor und Galadriel) geführt wird. Es gibt auch noch andere Hinweise darauf, daß Tolkien sehr spät den Entschluß faßte, Orodreth lieber eine Generation später als Sohn Angrods auftreten zu lassen und auch die Abstammung Gil-Galads in diese Linie zu verlegen, doch wurden die Änderungen nie konsistent in Das Silmarillion eingearbeitet.

Außer einigen kurzen, zumeist nur linguistisch interessanten, Essays enthält The Peoples of Middle-earth weiters noch zwei unvollendete Erzählungen, die höchstes Interesse verdienen: The New Shadow und Tal-Elmar, beide leider bereits im Frühstadium aufgegeben.

The New Shadow wird in Tolkiens Briefen erwähnt, wo er schreibt, daß er einmal eine Erzählung aus dem Vierten Zeitalter begonnen habe, über die rasche Sättigung der Menschen mit dem Guten, so daß die Gondorianer einen an Satanismus erinnernden Sauron-Kult betrieben und Revolutionen planten; er habe die Sache aber rasch aufgegeben, weil sie des Schreibens nicht wert sei. Auf den wenigen Seiten, über die sich die Erzählung erstreckt, entwickelt sich die Handlung in Form eines Zwiegespräches zwischen dem alten Borlas, der den Ringkrieg noch miterlebt hat, und dem jungen Saelon über ethische Werte und rechtes Handeln (Leseprobe). Die Geschichte bricht in dem Moment ab, als Borlas sich entschlossen hat, die Einladung Saelons zu einer Veranstaltung der Sauronisten (die Sauron nun Herumor, den Herrn der Dunkelheit, nennen) anzunehmen.

Tal-Elmar schließlich spielt zur Zeit der númenórischen Besiedelung der Westküste Eriadors im Zweiten Zeitalter. Einzigartig ist, daß die Handlung aus der Perspektive der kulturell tieferstehenden nichtnúmenórischen Bewohner der Küstengebiete erzählt wird.

Tal-Elmar ist ein junger Mann aus diesem Volk, dessen Großmutter Elmar jedoch eine númenórische Kriegsgefangene gewesen war. In Tal-Elmar lebt viel von ihrem Erbe wieder auf, er unterscheidet sich äußerlich und innerlich von seinen Stammesgefährten. Als eines Tages Schiffe aus dem Westen vor der Bucht seines Stammes landen, wird er geschickt, um die vermuteten Feinde auszukundschaften, doch noch während er sich den Schiffen nähert, beginnt er zu fühlen, daß er am Strand auf Freunde treffen wird. Ab der Begegnung Tal-Elmars mit den Seefahrern aus Númenor entwickelt sich die Erzählung zu einem hastigen stream of consciousness des Autors, doch ist klar, daß Tal-Elmar als Freund aufgenommen wird. Danach bricht der Text ab.

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Leseproben

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Ich habe mich bemüht, aus jedem Buch eine oder zwei charakteristische Stellen auszuwählen, die zusammen ein möglichst breites Spektrum abdecken sollen. Die deutschen Übersetzungen stammen bei den Lost Tales von den deutschen Ausgaben (Klett-Kotta), die anderen habe ich selbst geschrieben. Bei den Gedichten gebe ich außerdem das englische Original an, da in diesem Fall durch die Übersetzungen (die sich auch ziemlich grauslich lesen) ein wesentlicher Teil des Lesevergnügens wegfällt. Hinweise auf Übersetzungfehler sind willkommen (E-Mail).

Die ausgewählten Stellen sollen stilistisch und inhaltlich ein möglichst breites Spektrum abdecken. Ich nehme dabei an, daß der Leser das Silmarillion bereits kennt und verzichte daher aus Zitate, die diesem bereits sehr ähneln; allerdings führe ich mitunter Silmarillion-Stellen zum Vergleich an.


Leseprobe The Book of Lost Tales, part I

In Das Silmarillion werden besonders die valinorischen Kapitel entfernt und in weniger emotionaler als erhabener Sprache geschildert. So heißt es beispielsweise über die Entstehung von Sonne und Mond (Kap. XI):
Doch Niennas Tränen halfen nicht, die tödlichen Wunden zu heilen, und lange Zeit sang Yavanna allein in den Schatten. Doch als alle Hoffnung schwand und ihr Lied erstarb, da trug Telperion zuletzt eine große silberne Blüte an einem blattlosen Ast, und Laurelin trug eine einzige goldene Frucht.
Mit dieser entrückten Darstellung vergleiche man die folgende Szene: Sie beschreibt zuerst Yavannas fruchtloses Bemühen, die beiden Bäume wieder zu entzünden, und darauf Vánas Erfolg. Da in den Lost Tales Laurelin der ältere der beiden Bäume war, treibt er auch zuerst wieder aus.
Darum bat Manwe schließlich Yavanna, ihre Zauberkraft anzuwenden, und sie sträubte sich, doch das Klageschrei des Volkes ließ ihr gar keine andere Wahl, und sie erbat sich ein wenig von dem weißen und dem goldenen Glanz; doch davon wollten Manwe und Aule nur zwei kleine Phiolen entbehren; wenn nämlich, so sagten sie, diese alte Arznei die Kraft hätte, die Bäume zu heilen, stünden sie bereits in Blüte, denn Vána und Lórien hatten freigebig ihre Wurzeln begossen. Darauf stand Yavanna traurig in der Ebene, ihr Leib erzitterte und ihr Gesicht war sehr bleich, so heftig bäumte ihr ganzes Wesen sich auf im Kampf gegen das Schicksal. Die Phiole mit dem goldenen Glanz hielt sie in ihrer rechten, die mit dem silbernen Glanz in ihrer linken Hand, und sie stand zwischen den Bäumen und hob die Phiolen in die Höhe, und aus jeder stiegen rote und weiße Flammen wie Blumen empor, die Erde bebte und tat sich auf, und eine Fülle von Blumen und Pflanzen sprang zu ihren Füßen daraus hervor, weiße und blaue zu ihrer Linken, und rote und goldene zu ihrer Rechten, und die Götter waren still vor Verwunderung. Da schritt sie vor, warf eine Phiole in den goldenen und die andere in den silbernen Baum, sang die Lieder vom unvergänglichen Wachsen und ein Lied von der Wiederbelebung nach Tod und Vergehen; und plötzlich verstummt sie. Sie stand in der Mitte zwischen den Bäumen, tiefste Stille breitete sich aus, dann ertönte ein lautes Geräusch, und niemand wußte, was geschah, aber Palúrien lag ohnmächtig am Boden; doch viele sprangen ihr bei und hoben sie auf, und sie zitterte und war voller Furcht.

Umsonst, o Kinder der Götter, rief sie, ist all meine Stärke! Denn seht, auf euren Wunsch habe ich meine Kraft wie Wasser auf die Erde gegossen, und wie Wasser hat die Erde sie mir aufgesaugt – sie ist dahin, und ich kann nichts mehr tun. Und die Bäume standen noch immer unbelaubt und starr, und alle, die um sie waren, weinten bei Yavannas Anblick, doch Manwe sagte Weint nicht, o Kinder der Götter, als sei der Schaden nicht zu beheben, denn viele gute Taten bleiben noch zu tun, die Schönheit auf der Erde ist nicht vergangen, und auch die Pläne der Götter sind nicht umsonst gewesen; aber trotzdem verließ das Volk kummervoll den Ort, nur Vána blieb zurück, umschlang den Stamm von Laurelin und weinte.

Nun brach die Zeit der geringsten Hoffnung an und der tiefsten Dunkelheit, die jemals auf Valinor fiel; und noch immer weint Vána, sie schlingt ihr goldenes Haar um Laurelins Stamm, und ihre Tränen tropfen sanft auf seine Wurzeln; und sowie der Tau ihrer zärtlichen Liebe den Baum anrührte – siehe! – da gebar dieser dunkle Ort plötzlich einen matten Lichtschimmer. Verwundert blickte Vána um sich, und wo ihre ersten Tränen hinfielen, trat aus Laurelin ein Schößling hervor, und er trieb Knospen aus Gold, und von ihnen ging ein Licht aus wie ein Sonnenstrahl, der unter einer Wolke hervorbricht.

Inhalt von The Book of Lost Tales, part I
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Leseprobe The Book of Lost Tales, part II

Mit einer schon fast schmerzenden Aufzählung von Gemetzeln, Straßenschlachten und Verwüstungen, von Zweikämpfen und gefallenen Helden und von unzähligen Drachen und Ungeheuern aus Angamandi erreicht die sehr früh (1916) während des Krieges geschriebene Erzählung The Fall of Gondolin eine dramatische Dichte, die in späteren Schriften unerreicht bleibt. Der fast nur aus Hauptsätzen bestehende Stil läßt den Leser die Handlung unmittelbar und temporeich erleben.

Im Silmarillion (Kap. XXIII) kann man lesen,

wie Ecthelion von der Quelle auf dem Platz vor der Königshause mit Gothmog, dem Fürsten der Balrogs, kämpfte und beide einander erschlugen;
und dieser Nebensatz klingt so wie die knappe Zusammenfassung einer viel ausführlicheren, zuvor geschriebenen Geschichte; und genau das ist er auch. Die Kompression ist nicht literarische Illusion, sondern tatsächlich literaturhistorische Realität.

Die folgende Szene spielt kurz vor dem endgültigen Fall der Stadt, als die Verteidiger zum Platz vor dem Königspalast gedrängt worden sind. Egalmoth ist der Führer des Hauses des Regenbogens und Ecthelion der Führer des Hauses von der Quelle, zwei der insgesamt elf edlen Geschlechter der Stadt. Ecthelion ist durch Kämpfe mit mehreren Balrogs (drei hat er bereits getötet) verwundet:

Aber jetzt haben die Männer Melkos ihre Streitkräfte vereinigt, und sieben Feuerdrachen rücken an, umgeben von Orks und geritten von Balrogs, und sie kommen von Norden, Osten und Westen zum Platz des Königs. Da gibt es an den Barrikaden ein Gemetzel und Tuor und Egalmoth gingen von einer Sperre zur nächsten, und Ecthelion lag bei der Quelle; und dieser Widerstand war der hartnäckigste und mannhafteste, und seiner wird gedacht in allen Liedern und in jeder Geschichte. Doch nach langem Kampf durchbrach zuletzt ein Drache die Barrikade im Norden – und dort hatte früher die Allee der Rosen begonnen, ein lieblicher Ort zum Schauen und Spazierengehen, doch nun ist dort nur noch eine Schneise aus Schwärze, erfüllt von Getöse.

Tuor stand dort, versperrte dem Untier den Weg, doch er war getrennt von Egalmoth, und die Feinde drängten ihn zurück bis zur Mitte des Platzes in der Nähe der Quelle. Dort wurde ihm schwach von der würgenden Hitze, und er wurde von einem großen Dämon niedergeschlagen, von Gothmog selbst, dem Fürsten der Balrogs und Sohn Melkos. Doch hört! Ecthelion, das Antlitz bleich wie grauer Stahl, der Schildarm schlaff, stellte mit gespreizten Beinen sich über ihn, als Tuor fiel; und der Gnom stach auf den Dämon ein, doch er traf ihn nicht tödlich, sondern wurde selbst am Schwertarm verwundet, so daß seine Waffe ihm aus der Hand glitt. Da sprang Ecthelion, schönster der Noldoli, Gothmog mit seinem ganzen Gewicht an, gerade als dieser mit seiner Peitsche ausholte, und Ecthelions Helm trug einen Sporn, und diesen rammte er dem Untier in die Brust und umschlang mit seinen Beinen die Lenden des Feindes; und der Balrog schrie gellend und fiel nach vorn; doch alle beide stürzten in das Becken der königlichen Quelle. Dort fand diese Kreatur ihre verdiente Strafe, und Ecthelion sank, gezogen vom Gewicht des Stahls, in die Tiefe, und so hauchte der Herr der Quellen nach einem feurigen Kampf im kühlen Wasser seine Seele aus.

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Leseprobe The Lays of Beleriand

Das Lay of the Children of Húrin mit seinem altertümlichen Metrum erlaubt ganz besonders emotional intensive Beschreibungen. Eine von literarischen Archaismen strotzende Wortwahl macht einen wesentlichen Teil des stilistischen Effekts aus.

Die folgende Stelle spielt in den sandigen Hügeln von Dor-na-Fauglith, dem späteren Anfauglith, in Sichtweite von Thangorodrim: Beleg hat den bewußtlosen Túrin aus dem Lager der Orks gerettet und versucht, dessen Fesseln mit dem Schwert zu lösen. Auch hier zum Vergleich erst dieselbe Szene aus Das Silmarillion (Kap. XXI)

Beleg zog sein Schwert Anglachel und schnitt damit Túrins Fesseln durch; doch das Schicksal war an diesem Tag stärker, denn die Klinge glitt ab, als er die Kettenglieder durchschnitt, und ritzte Túrins Fuß. Da erwachte Túrin plötzlich in Wut und Angst, und als er einen mit nackter Klinge über sich gebeugt sah, da sprang er mit einem lauten Schrei auf, im Glauben, die Orks seien wieder da, um ihn zu quälen; und als er so im Dunkel mit ihm rang, packte er Anglachel und erschlug Beleg Cúthalion, ihn für einen Feind haltend.

Doch als er aufstand, bereit, seine Haut so teuer wie möglich an die eingebildeten Feinde zu verkaufen, da leuchtete ein heller Blitz über ihnen auf, und in seinem Lichtschein sah er Beleg ins Gesicht.

Zum Unterschied von der späteren Geschichte wird die Verletzung Túrins im Lay nicht beim Aufschneiden der Fesseln, sondern durch ein Stolpern Belegs verursacht. Auch ist es im Gedicht eine blaue Lampe, die Flinding Fuilins Sohn (Vorläufer von Gwindor) mit sich führt, die das Licht zum Erkennen Belegs liefert. Obwohl aus der Túrin-Saga verschwunden, kommen diese blauen Lampen der Noldor auch in späteren Schriften Tolkiens vor (Voronwe hat eine in Tuor und seine Ankunft in Gondolin [Nachrichten aus Mittelerde]). Ebenfalls auch aus der Tuor-Geschichte bekannt ist der Begriff Glamhoth für die Orks.

In der Übersetzung habe ich mich bemüht, Zeile für Zeile getrennt zu behandeln, um einen Vergleich mit dem Original zu erleichtern; wenn daraus allerdings ein allzu verstümmelter Satz resultiert hätte, habe ich den deutschen Satz dann doch umgeordnet.

Als er in der Dunkelheit nach den Ketten an den Füßen
                  tastete
stolperte Beleg und mit der Schärfe seiner Klinge
verwundete er versehentlich das ermattete Fleisch
des wegmüden Fußes und sprudelndes Blut
benetzte seine Hand – zu dunkel war seine Magie:
Sodaß der tiefe Schlaf plötzlich verebbte.
In Furcht erwachte Túrin, und er erahnte eine Gestalt
die sich über seinen Körper beugte mit nacktem
                  Schwert.
Tod oder Folter glaubte er gekommen
denn oft hatten die Orks aus üblem Zeitvertreib
ihn boshaft gereizt und mit Messern verletzt
die sie geschickt warfen, und mit grausamen Speeren.
Siehe! Die Banden waren geborsten, die seine Hände
                  gebunden hatten
heiser seinen Schlachtruf ausstoßend
stürzte er sich heftig auf den eingebildeten Feind
und Beleg, der atemlos zur Erde fiel
lag unter ihm. Von Angst besessen
ergriff der Sohn Húrins dann das Schwert
das durch Hilfe des Schicksals bei seiner Hand lag
und stieß es in die Kehle; er durchbohrte sie
so daß das Blut im blutgetränkten Boden versickerte
eh Flinding wußte was die Nacht brachte
war alles vorüber. Mit Schwur und Verwünschung
forderte er die Orks auf, sich wohl zu hüten
oder sein Schwert zu kosten: Seht! Der Sohn Húrins
ist von seinen Fesseln frei!
Seine Einbildung zeigte ihm
den Lagerplatz der grausamen Glamhoth.
Flucht suchte er nicht, sondern sprang auf Flinding zu
mit seinem letzten Lachen, sein Leben teuer zu
                  verkaufen
an seine vermeintlichen Feinde; doch Fuilins Sohn
vom Staunen überwältigt wich zurück
und schrie Magie Morgoths! Verfluchter Wahn!
Mit Freunden kämpfst du!
 – dann fiel plötzlich
die in Blätter gehüllte Lampe herab und drehte sich
so daß ihr Licht mit flackernder Flamme
das Gesicht Belegs bleich beleuchtete.
For at the feet's fetters   then feeling in the dark
 
Beleg blundering   with his blade's keenness
unwary wounded   the weary flesh
of wayworn foot,   and welling blood
bedewed his hand –   too dark his magic:
that sleep profound   was sudden fathomed
in fear woke Túrin,   and a form he guessed
o'er his body bending   with blade naked.
 
His death or torment   he deemed was come
for oft had the Orcs   for evil pastime
him goaded gleeful   and gashed with knives
that they cast with cunning,   with cruel spears.
Lo! the bonds were burst   that had bound his
                  hands:
his cry of battle   calling hoarsely
he flung him fiercely   on the foe he dreamed,
and Beleg falling   breathless earthward
was crushed beneath him.   Crazed with anguish
then seized that sword   the son of Húrin,
to his hand lying   by the help of doom;
at the throat he thrust;   through he pierced it,
that the blood was buried   in the blood-wet mould;
ere Flinding knew   what fared that night,
all was over.   With oath and curse
he bade the goblins now   guard them well,
or sup his sword:   Lo! the son of Húrin
is freed from his fetters.
  His fancy wandered
in the camps and clearing   of the cruel Glamhoth.
Flight he sought not   at Flinding leaping
with his last laughter,   his life to sell
 
amid foes imagined;   but Fuilin's son
there stricken with amaze,   starting backward,
cried: Magic of Morgoth!   A! madness damned!
with friends thou fightest!
 –   then falling suddenly
the lamp o'erturned   in the leaves shrouded
that its light released   illumined pale
with its flickering flame   the face of Beleg.

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Leseprobe The Lays of Beleriand

Die folgende Stelle des Lay of Leithian (im vierten Canto), in der Lúthien Beren vor ihren Vater Thingol bringt, ist ziemlich identisch, wenngleich ungereimt, im Silmarillion (Kap. XIX) nachzulesen – ein Zeichen für die Bedeutung der Gedichte in der weiteren Entwicklung der Geschichten. Durch die gebundene Sprache wird allerdings eine emotionalere Erzählweise erzielt.

[...] und als der König ihn tief und langsam fragte:
Wer bist du, der du hierherstolperst? Wisse,
daß niemand ungebeten diesen Thron sucht
und diese steinernen Halle jemals wieder verläßt!

da antwortete er kein Wort, erfüllt mit Furcht.
Aber Lúthien antwortete an seiner Stelle:
Erblicke, mein Vater, einen der kam
verfolgt von Haß wie Feuer.
Siehe! Beren der Sohn von Barahir.
Welchen Grund hat er, deinen Zorn zu fürchten?
Feind unserer Feinde, ohne einen Freund,
dessen Knie sich vor Morgoth nicht beugen.


Laß Beren antworten, sagte Thingol.
Was willst du hier? Was führte hierher
deine wandernden Füße, oh wilder Sterblicher?
Wie hast du Lúthien behext
oder wie wagst du es, diesen Wald zu betreten
ohne zu fragen und heimlich? Guten Grund
solltest du jetzt nennen wenn du kannst
oder du siehst nie mehr das Tageslicht.


Dann blickte Beren in Lúthiens Augen
und sah darin das Licht sternenbedeckter Himmel
und von dort zog es seinen Blick langsam
zu Melians Gesicht. Wie von einem Netz
aus Verwunderung erwachte er sprachlos; sein Herz
zerbrach die Banden der Ehrfurcht
und füllte sich mit dem furchtlosen Stolz von alt;
in seinem Blick leuchtete ein kaltem Zorn.
Meine Füße hat das Schicksal, o König,
in Blut hierher über die Berge geführt
und ich fand hier, was ich nicht suchte
und die Liebe ist's, die mich hier bindet.
Deinen teuersten Schatz wünsche ich
weder Stein noch Stahl noch Morgoths Feuer
noch alle Macht der Elben
sollen das Juwel behalten, das ich haben möchte.
Denn schöner als die Kinder der Menschen
hast du eine Tochter, Lúthien.
[...] and when the king spake deep and slow:
Who art thou stumblest hither? Know
that none unbidden seek this throne
and ever leave these halls of stone!

no word he answered, filled with dread.
But Lúthien answered in his stead:
Behold, my father, one who came
Pursued by hatred like a flame!
Lo! Beren son of Barahir!
What need hath he thy wrath to fear,
foe of our foes, without a friend,
whose knees to Morgoth do not bend?


Let Beren answer! Thingol said.
What wouldst thou here? What hither led
thy wandering feet, O mortal wild?
How hast thou Lúthien beguiled
or darest thus to walk this wood
unasked, in secret? Reason good
'twere best declare now if thou may,
or never again see light of day!


Then Beren looked in Lúthien's eyes
and saw a light of starry skies,
and thence was slowly drawn his gaze
to Melian's face. As from a maze
of wonder dumb he awoke; his heart
the bonds of awe there burst apart
and filled with the fearless pride of old;
in his glance now gleamed an anger cold.
My feet hath fate, O king, he said,
here over the mountains bleeding led,
and what I sought not I have found,
and love it is hath here me bound.
Thy dearest treasure I desire;
nor rocks nor steel nor Morgoth's fire
nor all the powers of Elfinesse
shall keep that gem I would possess.
For fairer than are born to Men
A daughter hast thou, Lúthien.

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Leseprobe The Shaping of Middle-earth

Ambarkanta ist der Name eines kurzen kosmologischen Werkes, das Rúmil von Valinor zugeschrieben wird. Es folgt hier der Beginn, der sich mit dem Aufbau der Atmosphäre beschäftigt; in seinem gelehrten Stil ist es ein schöner Kontrast zu den vorherigen Kostproben.

Es muß angemerkt werden, daß die hier beschriebenen kosmologischen Vorstellungen nicht bis in das publizierte Silmarillion überlebt hat. Das Tor der Nacht hat im späteren Werk eine klar andere Qualität, was mit der grundlegenden Änderung einer zweidimensionalen, von einer Mauer umschlossenen Welt zu einer dreidimensionalen Schöpfung inmitten des Weltalls zusammenhängt.

Da Tolkien über die spätere Kosmologie nie mehr explizit geschrieben hat, ist die Frage, inwieweit die Ambarkanta-Konzeption (die auf halbem Weg zwischen den Lost Tales und dem Silmarillion steht) für das publizierte Silmarillion relevant ist, weitgehend ungelöst. Christopher Tolkien diskutiert dieses Problem in The Hiding of Valinor (The Book of Lost Tales I), natürlich im Kommentar zur Ambarkanta und anläßlich der letzten Version der Ainulindale (Morgoth's Ring), ohne allerdings zu einer Antwort zu kommen.

Um die ganze Welt herum laufen die Ilurambar oder die Mauern der Welt. Sie sind wie Eis und Glas und Stahl und über alle Vorstellung der Kinder der Erde kalt, durchsichtig und hart. Man kann sie weder sehen noch überschreiten, außer durch das Tor der Nacht.

Innerhalb dieser wölbt sich die Welt; über, unter und auf allen Seiten von ihr ist Vaiya, der Umschließende Ozean. Aber dieser ist eher wie das Meer unter der Erde, und wie die Luft über der Erde. In Vaiya unter der Erde lebt Ulmo. Über der Erde liegt die Luft, die Vista genannt wird und Vögel und Wolken trägt. Daher nennt man sie oben Fanyamar, oder Wolkenheim; und unten Aiwenóre oder Vogelland. Aber diese Luft liegt nur über Mittelerde und ihre eigentlichen Grenzen sind die Berge von Valinor im Westen und die Wälle der Sonne im Osten. Deshalb kommen Wolken selten nach Valinor, und die sterblichen Vögel überqueren nicht die Gipfel seiner Berge. Aber im Norden und Süden, wo es am meisten Kälte und Dunkelheit gibt und wo sich Mittelerde nahe bis zu den Mauern der Welt ersteckt, dort fließen Vaiya, Vista und Ilmen zusammen und vermischen sich.

Ilmen ist die Luft, die klar und rein ist, und es wird vom Licht durchdrungen, obwohl es selbst kein Licht gibt. Ilmen liegt über Vista, und es hat keine große Tiefe, aber es ist am tiefsten im Westen und Osten, und am wenigsten so im Norden und Süden. In Valinor ist die Luft Ilmen, aber Vista fließt von Zeit zu Zeit ein, besonders in Elbenheim, das zum Teil am östlichen Fuß der Berge liegt. Und wenn sich Valinor verdunkelt und diese Luft nicht vom Licht des Segensreich gereinigt wird, dann nimmt sie die Form von Schatten und grauen Nebeln an. Aber Ilmen und Vista mischen sich, da sie von ähnlicher Natur sind; doch wird Ilmen von den Göttern geatmet und vom Durchgang der leuchtenden Himmelskörper gereinigt, denn Varda hat die Bahnen der Sterne, und später die von Sonne und Mond, in Ilmen bestimmt.

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Leseprobe The Lost Road (and other writings)

Obwohl The Lost Road nur zu einem geringen Teil geschrieben wurde, ist es doch als erster Ansatz zur Atlantis-Sage ziemlich bedeutsam. Die folgende Szene spielt zu einem Zeitpunkt, als Saurons Einfluß auf den König schon so groß ist, daß die Geschichte Númenors nur noch verfälscht gelehrt werden darf und die Erinnerung an die Eldar bereits verblaßt ist. Valandil (Führer der Getreuen) erzählt seinem Sohn Herendil (wahrscheinlich der Vorläufer von Elendil dem Langen) von der Ankunft Saurons und dessen Bestreben, Númenor zu korrumpieren. Der Name Alkar (der Strahlende) für Morgoth taucht später nicht mehr auf; Tar-Calion bleibt aber der Name Ar-Pharazôns in Quenya (in The Lost Road ist das Konzept der adûnaischen Sprache erst in Spuren entwickelt).

Und siehe, was dann passierte, Schritt für Schritt. Zuerst enthüllte er nur Geheimnisse der Kunstfertigkeit und lehrte die Herstellung vieler nützlicher Dinge, und sie schienen gut. Unsere Schiffe bewegen sich nun ohne Wind und viele sind aus Metall gemacht, das verborgene Felsen zerschneidet. Und sie sinken weder bei Windstille noch bei Sturm; aber sie sind nicht mehr schön anzusehen. Unsere Türme werden immer stärker und wachsen immer höher, aber Schönheit lassen sie auf der Erde zurück. Wir, die wir keine Feinde haben, sind gerüstet mit unüberwindlichen Festungen – zumeist nach Westen. Unsere Waffen sind vermehrt wie für einen jahrhundertelangen Krieg, und die Menschen hören auf, Liebe und Sorge zur Herstellung anderer Dinge, zum Gebrauch oder zur Freude, aufzuwenden. Aber unsere Schilde sind undurchdringlich, unseren Schwertern kann nicht widerstanden werden und unsere Pfeile sind wie Donner und gehen meilenweit, ohne zu fehlen. Wo sind unsere Feinde? Wir haben begonnen, einander selbst zu erschlagen. Denn Númenor, das so groß war, scheint nun eng. Männer begehren daher das Land, das andere Familien schon lange besitzen. Sie benehmen sich wie Männer in Ketten.

Wovon Sauron Erlösung versprochen hat; er hat den König gebeten, seine Hand zu einem Reich auszustrecken: gestern war sie über dem Osten. Morgen – wird sie über dem Westen sein.

Wir hatten keine Tempel. Aber jetzt ist der Berg geschändet. Seine Bäume sind gefällt, und er steht nackt; und auf seiner Spitze ist ein Tempel. Es ist aus Marmor, und aus Gold, und aus Glas und Stahl, und ist wunderbar aber schrecklich. Niemand betet dort. Er wartet. Denn lang nannte Sauron nicht seinen Herrn bei dem Namen, der von alters her auf dieser Insel verflucht wird: Er sprach zuerst von dem Starken, von der ältesten Macht, oder dem Meister. Doch nun spricht er offen von Alkar, von Morgoth. Er hat seine Rückkehr vorausgesagt. Der Tempel soll sein Haus sein. Númenor soll der Sitz der Weltherrschaft werden. Inzwischen wohnt Sauron dort. Er überblickt unser Land von dem Berg, und er hat sich über den König aufgeschwungen, den stolzen Tarkalion aus dem Geschlecht, das von den Herren ausgewählt ist, aus der Nachkommenschaft von Earendel.

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Leseprobe Sauron Defeated

Der Epilog zum Herrn der Ringe existiert in zwei Fassungen, die sich im Aufbau, weniger jedoch im Inhalt unterscheiden. Die folgende Leseprobe stammt aus der ersten Fassung.

Samweis hat soeben wieder ein Kapitel aus dem Roten Buch vorgelesen, und seine älteren Kinder (Elanor, Frodo, Rosie, Merry, Pippin) unterhalten sich mit ihm über den Ringkrieg, während die jüngeren (Goldlöckchen, Ham und Margerite) bereits im Bett bzw. in der Wiege liegen.

Trotzdem glaube ich, es ist sehr traurig, daß Meister Elrond Bruchtal verlassen hat, und die Herrin Lórien, sagte Elanor, Was geschah mit Celeborn? Ist er sehr traurig?

Ich denke ja, Liebling. Elben sind traurig; und das ist es, was sie so schön macht, und warum wir nicht viel von ihnen sehen können. Er lebt in seinem eigenen Land, wie er es immer getan hat, sagte Sam. Lórien ist sein Land, und er liebt Bäume.

Niemand sonst auf der Welt hat einen Mallorn wie wir, nicht wahr? sagte Merry. Nur wir und der Herr Celeborn.

Ich glaube auch, sagte Sam. Bei sich war er auf diesen Baum ungeheuer stolz. Nun, Celeborn lebt unter den Bäumen, und auf eine elbische Art ist er glücklich, daran zweifle ich nicht. Sie können es sich leisten zu warten, ja, die Elben können das. Seine Zeit ist noch nicht gekommen. Die Herrin kam zu seinem Land, und nun ist sie dahin; und er hat immer noch das Land. Wenn er es müde ist, kann er es verlassen. Genauso auch Legolas, er kam mit seinem Volk und sie wohnen im Land auf der anderen Seite des Flusses, Ithilien, wenn man so sagen kann, und sie haben es sehr lieblich gemacht, sagt Herr Pippin. Aber eines Tages wird auch er über das Meer fahren, daran zweifle ich nicht. Jedoch nicht solange Gimli noch lebt.

Was geschah mit Gimli? sagte Klein-Frodo. Ich mochte ihn. Bitte, kann ich bald eine Axt haben, Papa? Und gibt es noch ein paar Orks?

Ich würde sagen, ja, wenn man weiß, wo man sie suchen muß. Aber nicht im Auenland, und du wirst keine Axt zum Kopfabschlagen bekommen, Frodo. Wir machen keine solchen. Doch Gimli, er kam herunter, um mit dem König in der Stadt zu arbeiten, und er und sein Volk arbeiteten so lange, daß sie sich daran gewöhnten und stolz auf ihre Arbeit wurden, und am Ende siedelten sie sich in den Bergen westlich hinter der Stadt an, und dort wohnen sie immer noch. Und Gimli geht einmal pro Jahr zu den Glitzernden Höhlen.

Und geht Legolas auch Baumbart besuchen? fragte Elanor.

Das kann ich nicht sagen, Liebling, sagte Sam. Ich habe nicht gehört, daß irgendwer seit diesen Tagen einen Ent gesehen hat. Vielleicht Herr Merry oder Herr Pippin, aber wenn, dann haben sie es geheim gehalten. Ents sind sehr verschlossen.

Und haben sie nie die Entfrauen gefunden?

Hmm, wir haben hier keine gesehen, oder?

Nein, sagte Klein-Rosie, aber ich halte Ausschau nach ihnen wenn ich in den Wald gehe. Ich hätte so gerne, daß die Entfrauen gefunden würden.

Das wollte ich auch, sagte Sam, aber ich fürchte, das ist ein zu altes Problem, zu alt und zu tief, als daß Leute wie wir es lösen könnten, mein Liebling. Aber nicht noch mehr Fragen heute Nacht, zumindest nicht bis nach dem Abendessen.

Aber das wäre nicht gerecht, sagten wie aus einem Mund Merry und Pippin, die noch nicht zehn Jare alt waren. Wir müssen ja nachher gleich ins Bett gehen!

Sprecht nicht so zu mir, sagte Sam streng. Wenn es nicht gerecht ist, daß Ellie und Frodo nach dem Abendessen aufbleiben dürfen, dann ist es auch ungerecht, daß sie früher geboren sind, und es ist erst recht ungerecht, daß ich euer Vater bin und nicht ihr meiner. Also nicht mehr davon, macht eure Sachen und was in eurem Alter richtig ist, oder ich erzähle es dem König.

Sie hatten diese Drohung zuvor schon gehört, aber irgendetwas in Sams Stimme ließ sie heute etwas ernster klingen. Wann wirst du den König treffen? sagte Klein-Frodo.

Schneller als ihr denkt, sagte Sam.

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Leseprobe Sauron Defeated

The Drowning of Anadûnê wurde von Tolkien parallel zu den Notion Club Papers 1946 verfaßt und schildert die Katastrophe aus der Perspektive der verzweifelten und kulturell herabgesunkenen Überlebenden. Teilweise wird die Mythologie bewußt verzerrt und falsch dargestellt, um mit diesem literarischen Kunstgriff die Erbärmlichkeit und das Unwissen der überlebenden Númenórer zu betonen und den Schrecken der Zerstörung Númenors noch drastischer erscheinen zu lassen.

Von Aufbau und Inhalt ist das Werk durchaus bereits mit der publizierten Akallabêth zu vergleichen, wenngleich die Zahl der auftretenden Personen kleiner ist und ihre Charaktere noch nicht die spätere Profilierung zeigen. Die Beschreibung der Valar ist in The Drowning of Anadûnê relativ unklar; bereits die Anfangsworte

Vor dem Kommen der Menschen gab es bereits viele Mächte, die die Erde beherrschten, und das waren die Eru-bênî, die Diener Gottes. Vielfältig waren ihre Ränge; doch gab es einige darunter, die mächtige Herren waren, die Avalôi, an die sich die Menschen als Götter erinnern, und am Anfang war der größte von ihnen der Herr Arûn.
werfen mehr Fragen auf als sie beantworten: Warum wird nichts über die Elben gesagt? Wer ist Gott? Warum wird Melkor (Arûn) der Anführer aller genannt?

Die Elben werden tatsächlich einige Absätze später eingeführt, aber trotzdem bleibt ihre Position im System nicht einmal vage, sondern schlichtwegs falsch:

[... die Menschen fliehen vor Mulkhêr (Morgoth) ...]

Deshalb wandten sich die Herzen der Menschen dem Westen zu, wo, wie sie glaubten, das Land von Amân liege, und ein Platz zur Verweilen. Und man sagt, daß seit alters her dort ein schönes Volk wohnte, das auch heute noch in Mittelerde lebt, und die Menschen wußten nicht, woher es gekommen wäre. Doch manche sagten, daß das die Kinder der Avalôi seien und daß diese nicht stürben, denn ihre Heimat wäre das Segensreich weit von hier, wohin sie immer noch gehen könnten und woher sie gekommen seien, um den Willen von Amân in all den kleineren Dingen und Arbeiten der Welt zu erfüllen. Die Eledâi nannten sie sich in ihrer eigenen alten Sprache, aber von den Eruhîn wurden sie Nimrî, die Scheinenden, genannt, denn sie waren überaus schön anzusehen, und schön waren all die Werke ihrer Zungen und Hände. [...]

Beim Lesen dieser beiden Absätze erhält man den Eindruck, daß die Unterscheidung zwischen Valar, Maiar und Elben verschwimmt (obwohl die Elben als erstgeborene Kinder Erus den Menschen ungleich näher stehen als den Ainur), weil die Nûmenôrer Unsterblichkeit als trennende Eigenschaft überbewerten; daß sie die Rolle Gottes in der Welt nicht verstehen; und daß ihnen Melkor (Arûn, nach seinem Abfall nur mehr Mulkhêr genannt), dessen Macht sie am eigenen Leib verspüren mußten, eine greifbarere und faßbarere Person als Manwe (Amân) erscheint.

Ich sollte bei dieser Gelegenheit betonen, daß Tolkien zu diesem Zeitpunkt die Idee der Kinder der Valar bereits aufgegeben hatte; der Regreß auf diese primitiv-mythologische Konzeption ist nicht als vorübergehender Sinneswandel des Autors, sondern als literarisches Stilmittel aufzufassen.

Vor diesem erzählerischen Hintergrund ist die Fahrt Earendils zu sehen: Historisch ungenau, da der Krieg des Zornes nicht erwähnt wird, geographisch und chronologisch bis zur Unkenntlichkeit entstellt und kein Wort über die Silmarilli. Das Exil der Menschen wird nicht als eine Belohnung ihrer Kriegsdienste und Leiden während der Juwelenkriege dargestellt, sondern unvermittelt und zusammenhanglos erzählt. Fehlende Kausalität ist ein Zeichen primitiver Mythologien.

In diesen Tagen der Furcht gab es einen Mann, und sein Wagemut auf dem Meer war größer als der aller anderen Männer; und die Nimrî gaben ihm einen Namen und nannten ihn Earendil, der Freund des Meeres, Azrabêl in der Sprache der Eruhîn. Und es kam ins Herz von Azrabêl, daß er ein Schiff bauen wollte, schöner und schneller als jedes, daß die Menschen bisher gemacht hatten; und daß er über die tiefen Wasser hinwegsegeln und, vielleicht, bis zum Land von Amân gelangen könnte, und dort Hilfe für sein Volk erhalten würde. Und mit der Hilfe der Nimrî ließ er ein Schiff bauen, schön und stark; weiß waren seine Planken, und seine Segel waren weiß, und sein Bug war im Licht eines silbernen Vogels geschnitzt; und bei seiner Wasserung gab er ihm einen Namen und nannte es Rôthinzil, Schaumblüte, aber die Nimrî segneten es und nannten es ebenso in ihrer eigenen Sprache, Vingalôte. Dieses war das erste aller Schiffe der Menschen, das einen Namen trug.

Als zuletzt das Schiff fertig war, sagte Azrabêl Lebewohl zu seiner Frau und zu seinen Söhnen und all seinen Verwandten; denn er hatte sich vorgenommen, allein zu segeln. Und er sagte zu ihnen: Es ist wahrscheinlich, daß ihr mich nie wieder sehen werdet; und wenn es so kommt, dann verhärtet eure Herzen und laßt nicht ab vom Krieg, sondern haltet aus bis zum Ende. Wenn ich aber meinen Auftrag nicht verfehle, dann werdet ihr mich wohl auch nicht mehr wiedersehen, aber ein Zeichen werdet ihr erkennen, und neue Hoffnung soll euch gegeben werden.

Und es war zur Abendzeit, als Azrabêl aufbrach, und er segelte in die untergehende Sonne und verschwand aus der Sicht der Menschen. Aber der Wind trug ihn über die Wellen, und die Nimrî führten ihn, und er passierte die Meere des Sonnenlichtes, und die Meere des Schattens, und zuletzt kam er ins Segensreich und zum Land von Amân und sprach zu den Avalôi.

Doch Amân sagte, daß Eru den Avalôi verboten hatte, erneut mit Gewalt Krieg gegen das Königreich von Mulkhêr zu führen; denn die Erde war nun in der Hand der Menschen, zum Segen oder zum Verderben. Doch es war ihm erlaubt, den Eruhîn wegen ihrer Treue und der Reue ihrer Väter ein Land zu geben, in dem sie wohnen konnten, wenn sie wollten. Und dieses Land war eine mächtige Inseln in der Mitte des Meeres, auf die noch niemand seinen Fuß gesetzt hatte. Doch Amân wollte Azrabêl nicht erlauben, wieder zu den Menschen zurückzukehren, da er das Segensreich betreten hatte, wohin der Tod noch nicht gekommen war. Daher nahm er das Schiff Rôthinzil und füllte es mit einer silbernen Flamme, und er hob es über die Welt, damit es den Himmel befahren sollte, ein Wunder zu sehen.

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Leseprobe Morgoth's Ring

Anläßlich der Wiederverheiratung Finwes führten die Valar eine lange Diskussion um die richtige Art und Weise, mit dem Tod der Elben umzugehen, und um die Ursache dieses Übels. Aule und Nienna sehen die Elben als schuldlos an und meinen, der Tod sei als neues Ding (nicht aus der Musik der Ainur bekannt) von Eru selbst in die Welt getragen worden, während Yavanna und vor allem Ulmo eine Teilschuld bei den Elben erkennen, die vom Schatten Morgoths eben doch nicht ganz unbeeinflußt blieben.

Der Älteste König faßt zusammen:

Es ist Vernunft und Weisheit in allem, was gesagt wurde. Wahrlich, bei diesen Kindern stoßen wir immer wieder auf Geheimnisvolles, und der Schlüssel zu ihrem völligen Verständnis ist uns nicht gegeben. Teilweise sind diese Kinder wirklich eines, vielleicht sogar das wichtigste, dieser neuen Dinge, von denen Aule gesprochen hat(*). Doch kamen sie in die Beschädigte Arda, und es war ihnen bestimmt, die Beschädigung zu ertragen, obwohl sie zu Anfang von außerhalb Eas kamen. Denn diese neuen Dinge bekunden den Finger Ilúvatars, wie wir sagen: Sie können keine Vergangenheit in Arda haben, und sind nicht vorhersehbar, bevor sie auftreten, aber danach haben sie zukünftige Bedeutung, die man je nach Weisheit und Erfahrung vorhersehen kann, denn sie werden sofort Teil von Ea und Teil der Vergangenheit von allem, was danach folgt.

Daher können wir sagen, daß die Elben dazu vorgesehen sind, Tod auf ihre Weise zu kennen, da sie in eine Welt geschickt wurden, die Tod enthält und da sie eine Form haben, für die Tod möglich ist. Denn obwohl sie durch ihre grundsätzliche und unbeschädigte Natur rechtens als Geist und Körper zusammenleben, so sind diese doch zwei verschiedene Dinge, und ihre Trennung (die der Tod ist) ist eine Möglichkeit, die dieser Vereinigung notwendigerweise innewohnt.

(*) Das bedeutet, daß, obwohl sie im Großen Thema auftauchten, sie doch von Eru selbst eingeführt waren und nicht durch einen der Ainur vermittelt; und trotzdem waren sie den Ainur nicht gänzlich enthüllt.

Man vergleiche diese Rede mit den Worten Manwes über den Tod der Beiden Bäume in den Lost Tales!

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Leseprobe Morgoth's Ring

Die Athrabeth Finod ah Andreth ist beherrscht von einem bitteren Grundton: Andreth, eine Frau aus dem Geschlecht Beors, ist nach einer kurzen Romanze mit Aegnor, dem Bruder Finrods, enttäuscht und hat das Gefühl, von ihrem Geliebten verlassen und verstoßen zu sein. Nur widerstrebend spricht sie mit Finrod darüber. Ich habe diesen Teil der Athrabeth etwas gekürzt, um die Argumente zu straffen.

Andreth wird von Finrod wise-woman genannt; ich habe diesen Begriff (etwas abgeschwächt) als weise Frau übersetzt, man sollte sich aber wohl eher so etwas wie eine Heilerin oder Schamanin darunter vorstellen. Finrod nennt sie auch adaneth (weibliche Form zu Sindarin adan) Menschenfrau. Es fällt auch der Name von Finrods Bruder Aegnor in seiner Quenya-Form Aikanár (enthält náre, Feuer, so wie auch in Feanor); dieser Name ist mit Scharfe Flamme übersetzt. Finrod hat Andreth bis zu dieser Stelle mit dem höflichen you angesprochen, geht jetzt aber auf das vertraulichere thou über.

Ich habe nicht um Trost gebeten, sagte Andreth, Wozu sollte ich ihn brauchen?

Denn das Schicksal der Menschen hat dich als Frau getroffen, sagte Finrod. Glaubst du denn, ich wüßte es nicht? Ist er nicht mein geliebter Bruder? Aikanár, die Scharfe Flamme, schnell und stolz. Und es sind nicht viele Jahre seit ihr euch zuerst traft, und eure Hände sich in dieser Dunkelheit berührten. Damals warst du ein Mädchen, mutig und stolz, an jenem Morgen über den hohen Hügeln von Dorthonion.

Sprecht weiter, sagte Andreth, und sagt es: Die du nun eine weise Frau bist, alleine, und das Alter, das ihn nicht berühren wird, hat bereits das Grau des Winters in dein Haar gesetzt. Aber sagt nicht du zu mir, denn das tat er einst!

Wehe, sagte Finrod, das ist die Bitterkeit, die sich durch alle deine Worte gezogen hat.

[... Finrod spricht über Mitleid ...]

Dieses Wort wird dir mißfallen. Doch es gibt zwei Sorten Mitleid: Eines ist das Erkennen von Verwandtschaft, und es ist nahe an der Liebe; das andere ist das Erkennen von Unterschieden im Geschick, und es ist nahe am Stolz. Ich spreche vom ersteren.

Erzählt mir von keinem, sagte Andreth, ich will beide nicht. Ich war jung, und ich schaute auf seine Flamme, und jetzt bin ich alt und verloren. Ich war jung und seine Flamme ergriff mich, aber er wandte sich ab, und er ist immer noch jung. Bemitleiden Kerzen Motten?

Oder Motten Kerzen, wenn der Wind sie ausbläst?, sagte Finrod. Adaneth, ich sage dir, Aikanár, die Scharfe Flamme, liebte dich. Deinetwegen wird er nie die Hand einer Braut aus seinem eigenen Geschlecht ergreifen, sondern bis zum Ende allein leben und an den Morgen in den Hügeln von Dorthonion denken. Doch allzu rasch wird seine Flamme im Nordwind verlöschen! Den Elben ist in vielen nicht zu weit entfernten Dingen Voraussicht gegeben, allerdings selten zur Freude, und ich sage dir: Du wirst lang leben nach dem Maß deines Geschlechtes, und er wird vor dir dahingehen und er wird nicht zurückkehren wollen.

Da stand Andreth auf und streckte ihre Hand zum Feuer: Warum wandte er sich dann ab? Warum verließ er mich, als ich noch einige gute Jahre vor mir hatte?

Wehe!, sagte Finrod, Ich fürchte, die Wahrheit wird Dir nicht gefallen. Die Eldar haben eine Denkweise, und ihr eine andere; und beide beurteilen die anderen nach der eigenen Art – bis sie es lernen, was aber nur wenige tun. Nun ist es die Zeit des Krieges, Andreth, und in solchen Tagen heiraten Elben nicht und gebären keine Kinder, sondern bereiten sich auf den Tod vor – oder auf die Flucht. Aegnor hat (wie ich) wenig Vertrauen, daß diese Belagerung von Angband lange anhalten wird; und was wird dann aus diesem Land werden? Nach dem Willen seines Herzens hätte er Dich gerne genommen und wäre mit Dir weit weg geflohen, in den Osten oder Süden, aber damit hätte er sein Geschlecht verraten und Deines ebenso. Liebe und Treue binden ihn an seines; und was ist mit Dir? Du hast selbst gesagt, daß die Flucht kein Entkommen innerhalb der Grenzen der Welt ermöglicht.

Für ein Jahr, einen einzigen Tag mit der Flamme hätte ich alles aufgegeben: Familie, Jugend und die Hoffnung selbst: Ich bin Adaneth, sagte Andreth.

Das wußte er, sagte Finrod, und er verzichtete und griff nicht nach dem, was auf seiner Hand lang: Er ist Elda. Denn solcher Tausch wird mit Schmerzen bezahlt, wie man sie sich nicht vorstellen kann, bis sie da sind; und die Elben sagen, daß er aus Unwissenheit, nicht aus Mut, gewagt wird. Nein, adaneth, wenn es zwischen Deinem und meinem Geschlecht jemals eine Ehe geben kann, dann nur zu einem großen Zweck des Schicksals. Kurz wird sie aber sein, und am Ende schwer. Ja, am wenigsten grausam von allem wäre noch, daß der Tod sie bald beendet.

Aber das Ende ist immer grausam – zumindest für die Menschen, sagte Andreth. Ich hätte ihm keine Sorgen bereitet, wenn meine Jugend einmal dahin gewesen wäre. Ich hätte seine hellen Füße nicht gefesselt, wenn ich nicht mehr neben ihm laufen könnte.

Vielleicht nicht, sagte Finrod. So empfindest Du jetzt. Aber hast Du auch an ihn gedacht? Er wäre nicht vor Dir gelaufen. Er wäre an Deiner Seite geblieben und hätte Dich gestützt. Mitleid hättest Du dann in jeder Stunde gehabt, unentrinnbares Mitleid. Er wollte Dich nicht so beschämen. Andreth adaneth, die Liebe der Eldar lebt viel in der Erinnerung, und wir (wenn nicht auch ihr) wollten lieber eine Erinnerung an etwas Schönes aber Unvollendetes, als eine, die ein trauriges Ende nimmt. Nun wird er deiner immer in der Morgensonne gedenken, und dieses letzten Abends beim Wasser des Aeluin, in dem er das Spiegelbild deines Gesichtes sah, mit einem Stern gefangen in deinem Haar – immer, bis der Nordwind die Nacht über seine Flamme bringt. Ja und danach, wenn er im Haus von Mandos sitzt, in der Halle des Erwartens, bis zum Ende Ardas.

Und woran soll ich mich erinnern?, sagte sie. Und wenn ich gehe, zu welchen Hallen werde ich dann kommen? In eine Dunkelheit, die sogar die Erinnerung an die Scharfe Flamme erstickt? Sogar die Erinnerung an die Abweisung. Das wenigstens.

Finrod seufzte und stand auf. Die Elben kennen keine heilenden Worte für solche Gedanken, adaneth.

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Leseprobe The War of the Jewels

In The Wanderings of Húrin stellt Tolkien uns den Charakter Húrins genauer vor: nach 28 Jahren Folter verbittert, enttäuscht aber trotzdem stolz und auf eine gewisse Art edel. Es wird klar gemacht, daß Húrin vom Schatten Morgoths schwer gezeichnet und wenig mehr als ein Werkzeug des Dunklen Herrschers ist, doch tragischerweise ohne seine bewußte Mitarbeit.

Die erste Stelle, die ich hier präsentieren möchte, spielt vor der Versammlung der Waldmenschen von Brethil. Da Hardang (der Halad der Waldmenschen) selbst der Kläger ist, wird der Vorsitz an einen gewissen Avranc übergeben, einen Grenzwächter, der Húrin sehr feindlich gesinnt ist (und der eigentlich nach dem Befehl Manthors, seines Vorgesetzten, Dienst an der Grenze tun sollte). Manthor hat soeben erwirkt, daß sein Mandant Húrin ohne Fesseln auftreten kann, und dieser beginnt seine Verteidigungsrede.

Hier bin ich!, sagte er, und ich will euch meinen Namen sagen. Ich bin Húrin Thalion, der Sohn von Galdor Orchal, Herr von Dorlómin und einstens Heerführer in der Streitmacht von Fingon, dem König des Nordreiches. Laßt es niemanden wagen, das zu bezweifeln! Das sollte genug sein. Ich werde mich vor euch nicht verteidigen. Tut wie ihr wollt! Und ich will auch nicht mit dem Emporkömmling, dem ihr es erlaubt, auf dem hohen Stuhl zu sitzen, lange Worte wechseln. Laßt ihn lügen, wie er will!

Im Namen der Herren des Westens, was für eine Art Volk seid ihr, oder seid ihr geworden? Während die Dunkelheit überall um euch hereinbricht, sitzt ihr geduldig hier und hört diesen fahnenflüchtigen Wächter, wie er ein Todesurteil für mich beantragt – weil ich den Kopf eines ungezogenen jungen Mannes beschädigt habe, ob in einem Stuhl oder nicht? Er hätte eben lernen sollen, wie man mit Älteren umgeht, bevor ihr ihn zu eurem Führer gewählt habt.

Tod? Bei Manwe, hätte ich nicht zwanzig und acht Jahre lang Folter erduldet, wenn ich so wäre wie bei der Nirnaeth, ihr würdet es nicht wagen, mir hier gegenüberzusitzen. Aber ich sei nicht mehr gefährlich, so höre ich. Ich sei im Krieg zerbrochen und zahm gemacht. Zahm! Seid euch nicht zu sicher!

Nachdem Húrin freigesprochen und Hardang in einer blutigen Revolte abgesetzt und getötet worden ist, machen sich einige auf, die Leiche Morwens, die immer nach beim Grab ihrer Kinder liegt, zu bestatten. Am Rückweg wird Manthor von einem Pfeil getroffen. Húrin verabschiedet sich von ihm:
Aber du hast dein Ziel verfehlt, Verwandter. Du warst ein starker Freund, und doch denke ich, daß du auch für dich so eifrig in diesem Fall warst. Manthor hätte würdiger im Stuhl der Anführer gesessen.

Du hast ein scharfes Auge, Húrin, alle Herzen zu durchblicken bis auf dein eigenes, sagte Manthor. Ja, deine Dunkelheit hat auch mich angesteckt. Nun, wehe, sind die Haladin am Ende, denn diese Wunde ist tödlich. War das nicht dein wahrer Auftrag, Mann aus dem Norden: Unglück über uns zu bringen, und damit dein eigenes aufzuwiegen? Das Haus Hadors hat uns besiegt, und wir sind unter seinen Schatten gefallen: Brandir und Hunthor und Hardang und Manthor. Ist das nicht genug? Willst du nicht gehen und dieses Land verlassen, eh es zugrundegeht?

Ich will, sagte Húrin, aber wenn der Brunnen meiner Tränen nicht schon ganz versiegt wäre, dann würde ich um dich weinen, Manthor; denn du hast mich vor Unehre bewahrt, und du hattest Liebe für meinen Sohn.

Dann, Herr, nütze in Frieden das bißchen mehr Leben, das ich dir gewonnen habe, sagte Manthor. Bring deinen Schatten nicht über andere!

Warum, muß ich nicht immer noch in der Welt umherwandern?, sagte Húrin. Ich will weitergehen, bis mich der Schatten überholt. Leb wohl!

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Leseprobe The Peoples of Middle-earth

Das winzige Fragment der Erzählung The New Shadow spielt etwa ein Jahrhundert nach dem Ringkrieg (die Chronologie ist etwas wirr, da der Ringkrieg einerseits weniger als ein Menschenalter zurückliegt und andererseits Aragorn bereits tot ist). In Gondor stehen die Zeichen auf Wohlstand, aber dieser führt zu einem gewissen Werteverfall bei der Jugend. Der alte Borlas hat vor langer Zeit einmal ein Kind namens Saelon, das ihm unreife Äpfel zum Spiel gestohlen hatte, zur Rede gestellt und seine Handlungsweise als eines Orks würdig bezeichnet; nun, Jahre später, unterhalten sich die beiden wieder über diesen Vorfall.

Philosophisch Interessierte werden die Szene leicht wiedererkennen: In den Confessiones des großen katholischen Philosophen und Kirchenlehrers Augustinus stellt dieser seine Jugendsünde, Früchte ohne Not gestohlen zu haben, in den schwärzesten Farben dar und weist insbesondere darauf hin, daß nicht der Diebstahl an sich, sondern die Unnotwendigkeit desselben (er war nicht hungrig gewesen, und zu Hause hätte er sogar bessere Früchte gehabt) das eigentlich moralisch Verwerfliche der Handlung darstellt.

Ähnlich entwickelt sich die Diskussion auch bei Tolkien. Borlas stellt klar, daß es keine Entschuldigung für den Diebstahl unreifer Äpfel (der dem Besitzer und dem Baum Schaden, dem Dieb aber keinen Vorteil bringt) gebe. Saelon wendet ein, daß Menschen Bäume auch abholzen und ihnen somit noch viel größeren Schaden zufügen: Wären Bäume die Richter, würden sie dann Menschen über Orks stellen, oder wenigstens über Geschwüre und Gallen?. Borlas erwidert:

... Wenn das kleinste Kind eines Waldbewohners die Kälte des Winters spürt, so ist der stolzeste Baum nicht gekränkt, wenn man ihn bittet, sein Fleisch zu geben, um das Kind mit Feuer zu wärmen. Doch das Kind darf den Baum nicht etwa im Spiel beschädigen, oder aus Bosheit seine Rinde verletzen oder seine Zweige brechen. Und ein guter Förster wird, wenn er kann, zuerst totes Holz oder einen alten Baum benützen; er wird keinen jungen Baum fällen und verrotten lassen, nur wegen seiner Freude am Spiel mit der Axt. Das ist orkisch.

Aber es ist wie ich sagte: Die Wurzeln des Bösen liegen tief, und von weither kommt das Gift, das in uns wirkt, so daß viele solche Dinge tun – zeitweise, und dann werden sie wirklich wie die Diener Melkors. Doch die Orks taten diese Dinge zu allen Zeiten; mit Freude brachten sie Schaden über alle Dinge, die ihn erleiden konnten, und nur Mangel an Kräften, nicht etwa Weisheit oder Mitleid, hielten sie zurück. Doch wir haben genug darüber gesprochen.

Warum! sagte Saelon. Wir haben kaum begonnen. Ihr dachtet nicht an Euren Obstgarten, und auch nicht an Eure Äpfel noch an mich, als Ihr vom Wiederaufkeimen des Dunklen Baumes spracht. Woran Ihr dabei gedacht habt, Herr Borlas, kann ich trotzdem erraten. Ich habe Augen und Ohren, und andere Sinne, Herr. Seine Stimme wurde leiser und war kaum noch unter dem Murmeln eines plötzlichen kühlen Windes in den Blättern zu vernehmen, als die Sonne hinter dem Mindolluin versank. Ihr habt also den Namen gehört? Kaum lauter als einen Atemzug sprach er ihn aus: Von Herumor?

Borlas blickte ihn mit Staunen und Furcht an. Sein Mund machte zitternde Bewegungen, aber kein Laut kam daraus.

Ich sehe daß Ihr habt., sagte Saelon. Und Ihr seid verwundert, daß ich ihn auch gehört habe. Aber Ihr seid nicht mehr verwundert als ich es war, als ich sah, daß der Name auch Euch erreicht hat. Denn, wie ich sage, ich habe scharfe Augen und Ohren, aber die Euren sind nun sogar für den täglichen Gebrauch schwach, und die Angelegenheit wurde so geheim gehalten, wie es die Geschicklichkeit vermochte.

Wessen Geschicklichkeit?, sagte Borlas, plötzlich und mit Zorn. Seine Augen mochten trübe sein, aber nun leuchteten sie vor Ärger.

Nun, die die den Ruf des Namens gehört haben, natürlich, erwiderte Saelon ungerührt. Es sind noch nicht viele, im Vergleich zum ganzen Volk von Gondor, aber ihre Zahl wächst ständig. Nicht alle sind seit dem Tod des großen Königs zufrieden, und es fürchten sich nun weniger.

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Zu Gernot Katzer's Tolkienseite.