Die Spra­chen Indiens und seiner Nach­bar­länder

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Die Spra­chen Indiens und seiner Nach­bar­länder

Dem aufmerk­samen Rei­sen­den bietet Indien eine un­ermeß­liche Menge an ver­schiedenen Kul­turen und Spra­chen. Dieses Doku­ment soll eine Orien­tierung in der indi­schen Sprach­verwir­rung bieten und be­handelt alle sprach­lichen Grup­pen des indi­schen Sub­konti­nents, also Indiens und seiner Nachbar­länder Sri Lanka, Bangla­desh, Paki­stan, Nepal und Bhutan, die ja mehr oder min­der eine kultu­relle Ein­heit („Groß­indien“) bilden.

Eine soviel ich weiß einzig­artige Be­sonder­heit der lin­guisti­schen Land­schaft Indiens be­steht darin, daß ver­schie­dene Sprachen häu­fig mit ver­schie­denen Schriften ge­schrie­ben werden. Außer dem Latein­alphabet und dem modi­fizierten ara­bischen Alphabet gibt es eine große Anzahl ein­heimischer indi­scher Schriften, von denen mehr un­gefähr zehn heute in offi­ziel­ler Ver­wendung sind. Dazu kommen noch einige histori­sche Schriften, die oft erst im 19. oder 20. Jahr­hundert an den Rand gedrängt wurden oder sogar ganz ver­schwanden; in manchen Fällen laufen aktuelle Re­vitalisierungs­projekte. Diese indischen Schriften haben zwar eine gemein­same Struktur, aber die Buchstaben­formen weichen ganz erheblich voneinander ab.

Eine genaue Zählung der Sprachen liefert oft starke Verzer­rungen: Ein solches Unter­nehmen hängt nämlich von der in vielen Fällen will­kürlichen Einteilung in „Sprachen“ und „Dialekte“ ab. Besonders die Minder­heiten­sprachen, die fast alle ohne Schrift­form sind und in Gebieten mit schlechter Transport-Infra­struktur gesprochen werden, lassen sich in fast beliebig viele Dialekte unterteilen, die wahlweise auch als eng verwandte Sprachen gesehen werden können. Die Tabelle auf der rechten Seite schlüsselt die Sprachen nach Verwandt­schaft und Land auf; jede Tabellen­zelle gibt die Anzahl der Sprachen und Sprecher (in Millionen) an. Die Zahlen stammen aus dem Ethnologue, der für eine sehr liberale Definition von „Sprache“ bekannt ist und daher die Minder­heiten­sprachen zahlenmäßig extrem über­repräsentiert (das ist besonders bei den sino–tibeti­schen Sprachen offensichtlich).

Die linguistische Diversität ist von Land zu Land sehr unterschiedlich; so hat Nepal knapp doppelt so viele Einwohner wie Sri Lanka, aber zwanzigmal mehr Sprachen. Läßt man aus der Rechnung koloniale Relikte und Zeichensprache weg, kommt man sogar zu einem Verhältnis von 1:40. Ähnlich auch innerhalb Indiens: In Assam findet man knapp hundert Sprachen, während das sechzigmal größere Uttar Pradesh nur 55 davon hat.

Die allermeisten Sprachen des Subkontinents gehören einer von vier großen Sprachfamilien an (drei davon haben viele weitere Vertreter außerhalb der Region); dazu kommt jedoch noch eine kleine Anzahl von isolierten, unklassifizierten oder schlecht erforschen Sprachen, die gewöhnlich von winzigen Gemeinschaften gesprochen werden und deshalb vom Aussterben bedroht sind.

Indo–Europäische Sprachfamilie

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Die indo–europä­ischen Sprachen dominieren Europa, das südliche und westliche Zentral­asien und das nördliche Süd­asien. Diese Sprach­familie ist besser als jede andere erforscht und wird in eine Anzahl wohl­definierter Zweige (z. B. Germanisch, Romanisch, Keltisch, Slavisch) untergliedert. Außer den kolonialen Relikten Englisch, Portu­giesisch und Französisch gehören alle süd­asiatischen Vertreter der Familie dem indo–iranischen Zweig an, der sich wiederum in die vier Unterzweige gliedert: Zwei davon (Iranisch und Indo–Arisch) beherbergen die große Mehrheit aller indo–iranischen Sprachen, und dazu kommen noch zwei kleine, nicht besonders gut erforschte Untergruppen: Nuristani fast ausschließlich in Afghani­stan (zwei Spachen mit zusammen sechstausend Sprechen in Pakistan) und Dardisch im westlichen Himalaya.

Fast alle der weithin bekannten Sprachen Indiens gehören in die indo–arische Gruppe, allen voran die offizielle Staat­sprache Hindi. Die Heimat des Hindi liegt in der GangesYamuna-Tiefebene, aber die meisten Sprachen des Nord­westens (inclusive Pakistans) sind dem Hindi so ähnlich, daß nur eine aus­geprägte Schrift­tradition sie davor bewahren kann, als „Dialekt“ klassifiziert zu werden: Marathi, Gujarati und Panjabi haben eine eigene Schrift, und Marathi kann eine riesige Schrift­tradition und zumindest eine eigene Ortho­graphie vorweisen; daher werden sie immer als selbständige „Sprachen“ gesehen. Aber andere Vertreter wie Bhojpuri, Rajasthani und Dogri stehen stark im Schatten des Hindi.

Einige der Sprachen aus der Hindi-Gruppe werden im arabischen Alphabet geschrieben; das trifft vor allem auf Urdu zu, das sich ansonsten von Hindi kaum unterscheidet. In Pakistan verwendet man auch für Panjabi das arabische Alphabet (trotzdem kommt niemand auf den Gedanken, indisches und pakistanisches Panjabi als verschiedene Sprachen anzusehen). Das sprachlich recht eigenständige Sindhi wird in Pakistan immer und in Indien meistens mit arabischen Zeichen geschrieben (es hat aber in Indien nur wenige Sprecher), wobei jedoch eine Anzahl spezifischer Sonderzeichen gebraucht wird.

Weiter östlich dominiert nicht Hindi sondern das etwas weitläufiger verwandte Bangla, das meist unter der englischen Bezeichnung Bengali bekannt ist; dazu kommen als engere Verwandte mit allgemein wahrgenommener Eigenständigkeit noch Oriya und Asamiya [sprich: Ôxômiya], häufiger als Assamesisch bezeichnet. Weitere verwandte Sprachen im nordöstlichen Indien und in Bangladesh sind Maithili (Bihari) und Silati [sprich: Silôti], das auf Englisch komischerweise Sylheti genannt wird; beide genießen geringes Prestige und gelten als „Dialekte“, wobei Maithili manchmal auch ganz verkehrt als Dialekt von Hindi angesehen wird.

In Zentral­indien dominieren ebenfalls indo–europä­ische Sprachen: Im Westen Marathi und, als südlichster Vertreter der Gruppe, Konkani und im Osten Oriya; im Land dazwischen spricht man dagegen Hindi. Viele, und regional die meisten, der nicht­städtischen Bewohner des zentral­indischen Berg­landes gehören jedoch ethnischen Minder­heiten an und sprechen Lokal­sprachen, die verschiedenen Familien angehören können (Zwei- und Mehr­sprachigkeit ist aber sehr verbreitet).

Im Süden des Sub­kontinentes fehlen indo–europä­ische Sprachen fast ganz; die wichtigste Ausnahme dazu ist Singhala, die Mehrheits­sprache in Sri Lanka. Eigenartiger­weise scheint es aus dem Nord­westen zu stammen und zeigt am ehesten Beziehungen zu Gujarati; die Vorfahren der heutigen Singhalesen besiedelten die Insel vor mehr als 2000 Jahren, und seither hat sich die Sprache stark verändert. Die National­sprache der Malediven, Dhivehi, ist eng mit Singhala verwandt und hat auch eine Handvoll Sprecher in Indien.

In Pakistan und Kashmir findet man auch einige indo–europä­ische Sprachen, die zwar in den indo–iranischen Zweig gehören, aber nicht in die indo–arischen Gruppe fallen: Im Himalaya sind das die dardischen Sprachen, von denen Kashmiri der bedeutendste Vertreter (und der einzige mit Schrifttradition) ist. Der große iranische Zweig ist in Südasien vor allem durch Balochi (südliches Pakistan) und Pashto (an der Grenze zu Afghanistan) vertreten.

Die indo–iranischen Sprachen kamen im Zuge der „arischen Einwanderung“ vor knapp 4000 Jahren nach Indien und breiteten sich seither immer weiter aus; die Benennung „arisch“ geht auf die Selbstbezeichnung dieser Einwanderer zurück, die uns im Form des Rigveda ein Zeugnis ihrer Einwanderung, Frühgeschichte und Spiritualität hinterlassen haben. Man darf dabei nicht den Fehler machen, sprachliche und genetische Herkunft zu verwechseln: Es gibt vielfache Hinweise auf “language shifts”, wobei autochthone Stämme die vedische Kultur und Sprache annahmen, und man findet sogar heute noch Stämme mit überwiegend autochthoner Genetik aber indo–arischer Muttersprache, etwa die Bhil in Zentralindien und die Chakma in Bangladesh.

Dravidische Sprachfamilie

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Die dravidi­schen Sprachen haben ihren Schwerpunkt in Südindien: Kannada, Telugu, Tamil und Malayalam sind Verwaltungs- und Mehrheits­sprache in je einem Bundesstaat; Tamil ist auch eine offizielle Sprache in Sri Lanka. Eine fünfte dravidische Sprache, Tulu (an der indischen Westküste), hat eine recht beschränkte Tradition als Schrift­sprache und zur Zeit keinen offiziellen Status.

Es verbleiben etwa 20 kleinere und 40 sehr kleine dravidische Sprachen, die über Süd- und Mittel­indien verstreut sind (Gondi, Waddar) und nur von kleinen Gruppen gesprochen werden. In Nordindien gibt es nur wenige Vertreter; der wichtigste davon ist Kurukh, dessen nördliche Ausläufer bis nach Nepal reichen. Ein weiterer geographischer Ausreißer, Brahui, ist in Pakistan beheimatet. Die in diesem Absatz erwähnten Sprachen haben je um die zwei Millionen Sprecher, alle anderen dravidische Sprachen bleiben dagegen weit unter der Millionengrenze.

Das Verteilungsmuster der dravidische Sprachen außerhalb Südindiens zeigt viele kleine „Inseln“ in einem „Meer“ von nicht verwandten Sprachen und wird vielfach so gedeutet, daß die dravidischen Sprachen früher weiter verbreitet waren und ihre Sprecher durch spätere Einwanderer in den Süden verdrängt wurden, wobei kleine „Reliktpopulationen“ im schwer zugänglichen Bergland übrigblieben. Allerdings ist diese Interpretation nicht zwingend, das dasselbe Muster bei Einwanderung kleiner Gruuppen entstehen würde. So wird z. B. seit einigen Jahren mit guten Gründen angenommen, daß die Brahui erst seit höchstens einem Jahrtausend in Pakistan leben.

Die dravidische Familie ist auf Südasien beschränkt; es ist allerdings nicht genau bekannt, wann und wie die Draviden den Subkontinent betreten haben. Diese Frage ist politisch aufgeladen, da der südindische Lokal­patriotismus gerne an eine uralte dravidische Kultur im heutigen Siedlungs­bereich glauben will; ein harter Beweis für die Anwesenheit von Draviden vor der „arischen Einwanderung“ ist aber sehr schwer zu finden.

Es fehlte nicht an Versuchen, Verwandt­schaft des Dravidischen zu anderen lebenden oder toten Sprachen nachzuweisen, aber die meisten dieser Theorien gelten als sehr spekulativ bis unplausibel. Am ehesten findet die sogenannte „elamo-dravidische“ Hypothese Anhänger, die eine enge Verbindung zwischen Dravidisch und der ansonsten nicht klassi­fizierbaren elamischen Sprache postuliert. Elamisch wurde bis zum 1. Jahr­tausend v. Chr. in Persien gesprochen.

Austroasiatische Sprachfamilie

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Austroasiatisch ist eine Sprach­familie mit dem Schwer­punkt Südost­asien: Sie umfaßt Khmer, Viet­name­sisch und eine große Anzahl von Minder­heiten­sprachen, davon am wichtigsten das Mon in Burma. All diese gehören dem Mon–Khmer-Zweig an, der in Indien nur wenige Ver­treter hat: Khasi in Nordost­indien und Bangla­desh, und außerdem noch die meisten der stark bedrohten Sprachen der Nikobaren-Inselgruppe.

Der zweite Zweig dieser Familie heißt Munda. Alle Munda-Sprachen sind im zentral­indischen Gebirge (Dekkan) beheimatet, werden von meist kleinen ethnischen Minder­heiten gesprochen und haben keine nennens­werte Schrift­tradition. Seit einigen Jahren ist Santali die Amts­sprache des neu­gegründeten Bundes­staates Chhattis­garh, aber die Alpha­betisierung schreitet nur sehr langsam voran.

Die Vergangenheit der Munda-Sprachen ist wegen fehlender Schrift­zeugnisse nicht gut bekannt; es spricht jedoch vieles dafür, daß Munda-Sprecher bereits vor der „arischen Einwanderung“ in Indien lebten, und zwar wesentlich weiter im Norden und Westen als heute. Einer spekulativen jedoch gut begründbaren Theorie zufolge sprachen die Träger der Industal­kultur, die Anfang des 2. Jahr­tausends unterging, ein Munda-artiges Idiom. Die traditionelle Ansicht, die Industal­kultur wäre dravidisch­sprachig gewesen, kann jedenfalls nicht erklären, warum der Rigveda in seinem ältesten Teil kaum dravidische aber dafür eine große Anzahl Munda-ähnlicher Fremdwörter enthält.

Sino–tibetische Sprachfamilie

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  Himal51 1.31 0.2791 523 0.5139 7
    Tibet.42 0.81 0.2743 223 0.589 3.5
    Kiranti7 0.448 348 3
  KC61 37 0.0263 3
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  LB2 0.023 0.54 0.5
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Die sino–tibeti­sche Sprach­familie ist die zweit­größte der Welt. Sie umfaßt Chinesisch und eine enorme Anzahl kleinerer bis kleinster Sprachen, die im nörd­lichen Südost­asien, in der süd­lichen Hälfte Chinas und im ganzen Himalaja gesprochen werden. Die Gliederung der sino–tibeti­schen Sprachen ist extrem umstritten: Man kann zwar kleinere, offen­sichtlich verwandte Gruppie­rungen identifizieren, aber diese lassen sich nicht zueinander in Beziehung setzen.

Die im Himalaja ein­heimischen Sprachen werden, ungeachtet der echten aber unbekannten Ver­wandt­schafts­verhältisse, gerne zu einem Zweig zusammen­gefaßt. Ihre wichtigste Unter­gruppe ist die Tibetische; sie umfaßt außer dem eigentlichen Tibetisch noch eine Anzahl weiterer, eng miteinander verwandter Sprachen wie Dzhongka, die National­sprache Bhutans, Sherpa (in Nepal), Lehskad (in Ladakh im Nordwesten Indiens) und Balti im paki­stanischen Himalaja. Im Ostnepal dominieren die Kiranti-Sprachen, von denen Limbu am bekanntesten ist. Nepalbhasa, die Sprache der Newar im Kathmandu-Tal, läßt sich keiner anderen Gruppe eindeutig zuordnen; in der Tabelle rechts wird es dem Kiranti-Zweig zugeschlagen (und trägt dort 800000 Sprecher bei).

Eine ebenfalls riesige Anzahl von meist sehr kleinen sino–tibeti­schen Sprachen findet man im Grenzgebiet von Indien, Burma und Bangladesh; auf der süd­asiatischen Seite betrifft das in Ostrand von Nordost­indien und das Bergland von Bangladesh (die Chittagong Hill Tracts). Diese Sprachen sind sehr schlecht erforscht, was nicht zuletzt daran liegt, daß Ausländer diese Gebiete nur schwer besuchen können.

Die meisten dieser Sprachen fallen in die umstrittene Kuki–Chin-Familie, die mit Mizo und Meitei-lon (Manipuri) auch zwei offizielle Verwaltungs­sprachen stellt; kleiner Minderheiten­sprachen sind Karbi und Hmar. Eine zweite Gruppe wird als Bodo–Garo-Familie bezeichnet und umfaßt mit Bodo den westlichsten Vertreter der nordost­indischen sino–tibeti­schen Sprachen (in West-Assam; mit 1.5 Millionen Sprechern auch die größte sino–tibeti­sche Sprache Südasiens); in diese Gruppe gehören auch Garo (in Meghalaya) und Kokborok (in Tripura). Vor allem in Bangladesh findet man auch Vertreter aus der ebenfalls umstrittenen Lolo–Burmesischen Gruppe, z. B. Marma.

Die Naga-Sprachen sind ein interessanter Sonder­fall: Es gibt ungefähr zwanzig Naga-Stämme, die eine kulturelle aber keine linguistische Einheit bilden: Nach aktuellem Wissens­stand gehören die meisten Naga-Sprachen in die Kuki–Chin-Familie, einige aber in die Bodo–Garo-Familie. Um miteinander zu kommunizieren, verwendeten die Naga traditionell eine Art verein­fachtes Assamesisch („Naga-Kreolisch“), heute aber über­wiegend Englisch.

Über die Geschichte der sino–tibeti­schen Sprachen in Indien ist wenig bekannt; aber es gibt Hinweise, daß sie bereits vor der arischen Einwanderung in Nordindien gesprochen wurden. Das dürfte vor allem Nepalbhasa und die Kiranti-Sprachen betreffen; Tibetisch scheint dagegen ein jüngerer Zuwachs zu sein. Die Vertreter im extremen Nordosten sind kaum erforscht, aber man muß wohl mit häufiger Migration über die heutige burmesische Grenze rechnen.

Weitere Familien und isolierte oder nicht klassifizierte Sprachen

Die fünfte, jedoch sehr marginale Sprachfamilie Indiens ist die Kradai-Familie, die ihren Schwerpunkt in Südostasien (Shan, Thai, Lao) und Südchina hat. Der bedeutendste Vertreter auf indischem Boden war das Ahom: Die Ahom waren Einwanderer aus Burma, die ein Königreich in Nordostindien begründeten (der Name des Bundesstaates Assam ist von diesem Stamm abgeleitet), aber im Lauf der Zeit nahmen sie die assamesische Sprache ihrer Untertanen an, und ihr Sprache ist heute nur schriftlich erhalten. Zur Zeit scheint es nur drei lebende Kradai-Sprachen in Indien zu geben: Khamti, Phake und Aiton mit zusammen etwa 15000 Sprechern im nordöstlichen Assam (Jorhat, Dibrugarh) und in Arunachal Pradesh.

Mit viel gutem Willen läßt sich sogar noch eine sechste Sprachfamilie identifizieren: Knapp 50000 Srilankaner sprechen eine Kreolsprache, die auf Malaysisch beruht und mit vielen tamilischen Elementen angereichert ist. Damit könnte man sie in die austronesische Sprachfamilie einordnen, allerdings ist es eher üblich, Kreolsprachen überhaupt nicht näher zu klassifizieren.

Diese vier bis sechs Sprachfamilien decken nicht die gesamte linguistische Breite des Subkontinents ab: Indien ist wahrscheinlich seit mehr als 50000 Jahren besiedelt, und zahllose Sprachen und Familien wurden vom Wind der Geschichte verweht. Aber trotzdem sind Spuren erhalten geblieben, manche subtil und andere sehr offensichtlich. Zu den offensichtlichsten gehören isolierte Sprachen, also solche, die nur mit sich selbst verwandt erscheinen und daher eine eigene Sprachfamilie konstituieren (so wie das Baskische in Europa); etwas weniger offensichtlich sind in historischer Zeit ausgestorbene Sprachen (ein Trend, der sich leider auch in der Zukunft fortsetzen wird). Die subtileren Fälle betreffen Substratsprachen, also solche, von denen sich einzelne Merkmale in heute lebenden Sprachen erhalten haben; und manche Sprachen sind überhaupt nur als verstreute Eigennamen oder Fremdwörter in antiken Schriften erhalten.

Die bekannteste isolierte Sprache des Subkontinents ist Burushaski, das im pakistanischen Hunza-Tal von einem knappen Lakh Menschen gesprochen wird und nicht unmittelbar gefährdet ist. Burushaski ist gut untersucht und definitiv mit keiner bekannten Sprache verwandt. Auch Nepal hat eine solche Sprache zu bieten: Kusunda galt seit den 70er Jahren als ausgestorben, aber am Anfang des 21. Jahrhunderts tauchte überraschend eine einzelne Sprecherin auf. Ihre Familie (knapp 10 Menschen) wurde daraufhin ausgiebig studiert, und es hat sich bestätigt, daß die Sprache keine weiteren Verwandten hat.

Indien hat zwei isolierte Sprachen: Nihali, eine kleine Minderheitensprache aus Maharashtra, zeigt zwar an der Oberfläche starke austroasiatische und dravidische Merkmale, scheint aber darunter einen nicht weiter klassifizierbaren Kern aufzuweisen. Allerdings ist diese These nicht unumstritten und wird sich wegen der starken Superstrate auch nicht einfach beweisen lassen. Und die stark bedrohte Shompen-Sprache der Nikobaren-Hauptinsel ist wahrscheinlich nicht mit den benachbarten Mon–Khmer-Sprachen verwandt (und auch nicht zu irgendwelchen anderen).

Verschiedene Forscher fanden bei eigentlich eindeutig einzuordnenden Sprachen unverständliche und unklassifizierbare Elemente; der Verdacht liegt nahe, daß die Vorfahren dieser Sprecher irgendwann einmal von einer heute unbekannten Sprache zu ihrer heutigen gewechselt sind, wobei sie einen Anteil des ursprünglichen Vokabulars beibehalten haben. Die ursprüngliche Sprache wird als Substratsprache bezeichnet. Das ist kein seltenes Phänomen (Deutsch hat z. B. ein Substrat, dem wir Worte wie Schaf verdanken), aber es erlaubt einen ungewöhnlich tiefen Blick auf die Sprachgeschichte.

Besonders voluminöse Substrate wurden in den dravidischen Sprachen des Nilgiri-Gebirges gefunden. Die Sprache der Tharu im Tarai ist schlecht untersucht, bietet jedoch interessante Aussichten, da die Tharu zwar einen Dialekt des Nepali sprechen, aber wahrscheinlich eine uralte, prä-arische Bevölkerungsgruppe darstellen. Auch die älteste bekannte Ethnie Sri Lankas, die Vedda, sprechen heute zwar eine Version von Singhala, haben sich aber eine Menge von nicht weiter analysierbarem Vokabular bewahrt.

Substrate sind aber nicht auf kleine Minderheitensprachen beschränkt: Selbst im Hindi gibt es ein auffälliges Substrat, das sich vorwiegend auf landwirtschaftliches Vokabular bezieht und das keiner bekannten Sprachfamilie zugeordnet werden kann (Spuren davon finden sich aber bereits im Rigveda). Die fragliche Sprache scheint vor etwa 3500 Jahren in der Ganges-Tiefebene gesprochen worden zu sein, und deshalb wird sie manchmal tentativ als „Gangetisch“ bezeichnet.

Zuletzt müssen auch noch die Sprachen der Andamanen erwähnt werden. Sie sind sehr schlecht erforscht und akut vom Aussterben bedroht: Von den 16 beschriebenen Sprachen sind nur noch 4 lebendig, und auch diese habe nur sehr kleine Sprecherzahlen. Die Sprachen fallen in zwei Gruppen: Großandamanesisch ist von ursprünglich 13 Sprachen auf eine einzige mit nur noch zehn Sprechern geschrumpft und steht folglich unmittelbar vor dem Aussterben. Die kleinandamanesische Gruppe enthält zwei Sprachen mit kleinen dreistelligen Sprecheranzahlen. Eine Verwandtschaft beider Gruppen ist beim vorhandenen Datenmaterial schwierig zu beurteilen.

Die zu den Andamanen gehörige Insel North Sentinel Island wird von Sentinelesen bewohnt, die jeden Kontakt zur Außenwelt ablehnen und daher weder mit Briten noch mit Indern jemals im Kontakt standen. Kaum jemand hat von ihnen mehr gesehen als die Spitzen ihrer Speere, mit denen sie Eindringlinge verjagen oder auch töten. Mittlerweile akzeptiert die indische Regierung diese Einstellung und verzichtet auf die Durchsetzung staatlicher Autorität auf der Insel, die folglich einzig ihren Bewohnern gehört (sie werden auf wenige hundert geschätzt). Die Sentinelesen gelten als die isolierteste Menschengruppe unserer Zeit, und manche vermuten, daß die seit Zehntausenden von Jahren fast ungestört auf ihrer kleinen Eiland leben.