Brennende Lichter zu Divali
Lichterreihe in der Altstadt von Kathmandu
Auch die Stiege in meinem Hotel ist festlich beleuchtet
Brennende Lichter zu Divali
Liebe Birgit,
ich bin nun wieder in Kathmandu und vertreibe mir die Wartezeit auf das Indien-Visum mit gutem Essen, Altstadt-Spaziergängen und Exkursionen in die Umgebung. Also alles wie gehabt. ☺
Lichterreihe in der Altstadt von Kathmandu
Das Indien-Visum versprach zunächst einmal, ein ziemliches Debakel zu werden, weil mir die Botschaft kein zweites Sechs-Monats-Visum ausstellen wollte. Also fragte ich herum, ob irgendjemand Rat wüßte, besuchte einige Travel Agents und wedelte mit Bündeln von Hundert-Rupien-Scheinen, in der Hoffnung, daß das irgendjemanden zu einer Höchstleistung motivieren könnte. Durch Vermittlung des Hotelbesitzers kam ich dann zu einem Reisebüro mit exzellenten Kontakten in die indische Botschaft, und dann war mir Lakshmi hold.
Auch die Stiege in meinem Hotel ist festlich beleuchtet
Lakshmi ist eine Dame mittleren Alters, deren Kleidung, Schmuck und Make-up wahrscheinlich halb soviel wie meine Travel-Ausrüstung gekostet hat; angeblich arbeitet sie in der indischen Botschaft, aber das hielt sie nicht ab, zur besten Arbeitszeit im Reisebüro zu erscheinen, mir ein Formular zu reichen (typisch indisch: Bei der Identität gibt man seinen eigenen Namen und den des Vaters an) und mir zu erklären, daß ich in einer Woche mein Visum bekommen würde.
Lichter und Farbstaub
Lichter und Blüten
Bunte Süßigkeiten
Lichter und Farbstaub
Am nächsten Tag mußte ich in der indischen Botschaft auftauchen, zwei Stunden warten und unter Lakshmis Aufsicht ein weiteres Formular ausfüllen; außer mir „betreute“ sie zwei weitere Touristen. 90 Euro kostete der Spaß, dreimal soviel wie die offizielle Visumsgebühr, und plötzlich war mir klar, wer ihre exklusive Garderobe finanziert. Selten paßte ein Name besser zur Person, denn Lakshmi ist ja die Göttin des Reichtums (für sie) und des Glücks (für mich).
Lichter und Blüten
Zur Zeit wird im ganzen indischen Kulturraum das Diwali- oder Dipawali-Fest gefeiert. Entsprechend sind die Tempel wieder geöffnet, gelegentlich trifft man auf trommelwirbelunterstützte Prozessionen, und abends werden alle Hauseingänge mit bunten Figuren aus Farbpulver (Rangoli), kleinen Opfergaben und brennenden Kerzen geschmückt. Das Fest wird deshalb auch oft als „Lichterfest“ bezeichnet; die Lichter symbolisieren dabei innere Erkenntnis.
Bunte Süßigkeiten
Mit Kerzen und Bimara geschmückter Buddha
Anläßlich des Dipavali-Festes haben sich über Nacht in der Altstadt viele Verkaufsstände mit diversen Süßigkeiten materialisiert. Dort bekommt man das ganze Spektrum der indischen Spezialitäten wie Barfi, Pera, Jalebi, Laddu und wie sie alle heißen. Teilweise findet man sie dann abends als Opfergaben neben den flackernden Öllichern.
Mit Kerzen und Bimara geschmückter Buddha
Beleuchteter Shiva-Schrein
Singende Kinder
Mit Kerzen und Bimara geschmückter Buddha
Auch auf den Obstmärkten hinterläßt das Fest seine Spuren: Eine seltsame zitronenartige Frucht namens Bimara, die ich vorher noch nie gesehen hatte, wird überall verkauft. Sie erinnert stark an die mediterrane Zitronatzitrone, aus der man das als Backzutat bekannte Zitronat herstellt: Sie hat ungefähr Zitronengestalt, ist aber wesentlich größer, an der Oberfläche oft warzen- bis krokodilsartig rauh und hat unter der dicken Schale ein strohiges, wenig saftiges Fruchtfleisch. Scheiben von Bimara werden oft am Boden vor den kleinen Schreinen am Straßenrand abgelegt.
Beleuchteter Shiva-Schrein
Über die Newar-Speisen habe ich Dir ja in meinen letzten Briefen aus Kathmandu schon viel geschrieben, und ich denke, ich lasse meine Berichte aus Nepal nun mit einigen weiteren chinesischen Erlebnissen ausklingen, denn nach wie vor pendle ich täglich zwischen der autochthonen Newar-Küche in der Altstadt und den chinesischen Restaurants im Touristenghetto Thamel.
Singende Kinder
Mein bevorzugtes Restaurant, das Hotel Chengdu (Chengdu Binguan 成都宾馆), hat während meiner Abwesenheit die Speisekarte überarbeitet; der Hotelbesitzer, der mich besonders in sein Herz geschlossen zu haben scheint (offenbar bin ich der erste westliche Dauergast), erzählte mir, daß er ständig daran arbeitet, mehr Speisen anzubieten und die bereits vorhandenen zu optimieren. Daran zeigt sich die chinesische Einstellung zum Essen, die von Genußfreude dominiert wird und in einem guten Koch fast einen Künstler sieht, und auch das typisch chinesische Perfektionsstreben.
风味辣子鸡, Huhn mit Wind-Geschmack
Beides hat übrigens Kim Stanley Robinson im spektakulär guten ersten Kapitel seines alternate-history-Romans The Years of Rice and Salt wunderbar beschrieben, und zwar aus der staunenden Perspektive eines einfachen Mongolen, den es in das Peking der frühen Míng-Zeit verschlägt und der nur darüber staunen kann, mit welcher fast wissenschaftlichen Akribie die zahlreichen Restaurants versuchen, ihre Konkurrenz geschmacklich zu übertrumpfen.
风味辣子鸡, Huhn mit Wind-Geschmack
蜀香回锅肉, doppelt gekochtes Schwein
风味木耳, Pilzsalat mit Windgeschmack
Auf der neuen Karte fielen mir eine Reihe von Einträgen mit der Zeichenkombination 风味 auf, die sich nach heftiger Recherche als Fengwei oder „Wind-Geschmack“ erschloß. Das war alles recht pikant, aber ich konnte keinen gemeinsamen Nenner ausmachen: So war Fengwei la ziji 风味辣子鸡 ein wunderbar scharfes Hühnerfleisch mit grünen Paprikaschoten; nach chinesischer Sitte wird das Fleisch nicht entbeint, sondern man soll die kleinen Knochen zerbeißen und mitessen. Dagegen erwies sich Fengwei Mu-er 风味木耳 als kalter Salat aus jenen knackigen Pilzen, die bei uns als „chinesische Morcheln“ bekannt sind, garniert mit sauer eingelegten roten Chilies.
鹵水豆腐, in Gewürzbrühe gekochter Doufu
蜀香回锅肉, doppelt gekochtes Schwein
Auch das „Doppelt gebratene Schweinefleisch“ gab es in einer neuen Variante Shuxiang Huiguo rou 蜀香回锅肉, wörtlich „zurück-in-den-Topf–Fleisch mit Geschmack von Shu“, wobei Shu der Name eines alten Königreiches auf dem Gebiet des heutigen Sichuan ist. So wie die Grundversion war auch dieses trocken, ölig und aromatisch, allerdings mit knusprig frittierten Stücken von Doufu (der bei uns eher unter seinem japanischen Namen Tofu bekannt ist). Unbedingt nötig für den authentischen Geschmack sind übrigens die fermentierten „schwarzen Bohnen“, Douchi 豆豉, die beim Zerbeißen einen salzigen und hocharomatischen Geschmack hinterlassen.
鹵水豆腐, in Gewürzbrühe gekochter Doufu
Doufu hat ja nicht zu Unrecht den Ruf, eine „Orgie der Geschmacklosigkeit“ zu sein; aber die Chinesen verstehen sich darauf, diesem (euphemistisch gesagt) neutralschmeckenden Material etwas Aroma anzuhexen. Sehr interessant fand ich die Vorspeise Lushui Doufu 鹵水豆腐, für die der Bohnenkäse erst in Gewürzbrühe geköchelt, dann in Teig getaucht und abschließend frittiert wird. Lushui heißte eigentlich nur „Salzwasser“, aber in Wahrheit handelt es sich um eine echte Geheimwaffe der chinesischen Küche: Eine starke Fleischbrühe mit einer Riesenmenge an Gewürzen (Fenchel, Sternanis, Sichuanpfeffer, Zimt, Mandarinenschale, Cardamom), die fast ewig weiterverwendet werden kann, weil sie mit jedem Material, das darin gekocht wird, neuen Geschmack annimmt. In der englischsprachigen Kochliteratur ist sie auch als master sauce bekannt, und manchmal liest man auch auf Deutsch „Meistersauce“.
炸酱面, Beijing-Nudelsuppe
红烧肉, rotgekochtes Schwein
Das Kochen in gewürzter Brühe finde ich persönlich die chinesischste aller chinesischen Kochmethoden, da es in unzähligen Varianten praktiziert wird und für keine andere Küche so typisch ist. Bereits letztes Mal habe ich Dir ja von meiner chinesischen Lieblingsspeise Shuizhu Niurou 水煮牛肉 geschrieben, bei der eine extrem geschärfte Brühe als Kochmedium für dünne Scheiben von Rindfleisch dient. Ein Standardverfahren ist Hongshao 红烧, das „Rotschmoren“, bei dem eine Mischung aus Sojasauce und Brühe (mit Gewürzen) zum Einsatz kommt und das Gargut sich entprechend dunkelbraun („rot“) färbt. Hier in Kathmandu habe ich eine ungewöhnliche Variante davon bekommen, bei der weniger Sojasauce als die scharfe Chili–Bohnen-Paste Doubanjiang 豆瓣酱 für die Farbe verantwortlich war. Als Folge war die Kochflüssigkeit weniger salzig und das Gericht nahm eher den Charakter einer sehr herzhaften Suppe an, zumal außer dem kanonischen fetten Schweinebauch auch noch magenverträglichere Kartoffeln mitgekocht wurden.
炸酱面, Beijing-Nudelsuppe
Es wäre eine Sünde, bei einer Beschreibung der chinesischen Küche keine Nudelsupppen zu erwähnen. Am besten schmeckte mir Zhajiang Mian 炸酱面, eigentlich eine Spezialität der Nordküche von Beijing. Da ich es gerne pikant habe, wurde die zugrundeliegende Brühe mit etwas angebratenem Doubanjiang verstärkt und danach mit Reisnudeln, gerösteten Erdnüssen, gehacktem Büffelfleisch und einem Spiegelei serviert.
Laß mich mein Loblied auf die chinesische Küche mit einer Polemik beenden: Das Gros der Chinarestaurantbetreiber in Deutschland sollte wegen Verbrechen gegen die chinesische Kultur bastonadisiert, gevierteilt und mit Pfauenfedern zu Tode gekitzelt werden. Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit sie ihren Gästen die Freuden des echten China vorenthalten.
Damit ist Nepal am Ende; sobald ich mein Visum habe, hüpfe ich über die Grenze, und Du hörst von mir, wenn ich wieder indischen Boden unter den Füßen habe.
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