Landkarte
Tezpur Siehe auch Kohima 2, Tura, Aizawl Agartala

Shillong (Meghalaya)

Christmas decoration in a shop in Shillong, Meghalaya (India)

Merry Christmas!

Christmas shopping in Shillong, Meghalaya (India)

Volkssport Weihnachtsshopping

Christmas trees for sale in Shillong, Meghalaya (India)

Christbaum-Verkauf

Liebe Birgit,

auf den Straßen kann man Weih­nachts­bäume kaufen, alle Leute sind mit Christ­mas Shop­ping be­schäf­tigt, aus den mit Santa-Claus-Figuren ge­schmück­ten Läden schallen Klänge wie Feliz Navidad und Es wird scho glei dumper (letz­teres natür­lich auf Eng­lisch, als When Darkness is Falling), und Teen­ager-Mäd­chen fla­nieren in figur­betonenden Stretch-Hosen und mit recht westlich anmuten­der Kriegs­bemalung fröhlich schnat­ternd umher. Kann das Indien sein?

Khasi Memorial Monoliths in Shillong, Meghalaya (India)

Nur noch ein paar Monolithen erinnern an die vorchristlichen Epoche der Khasi

Das ist Shil­long: Hill station, Ver­waltungs­zentrum des kolonialen Assam und heute Haupt­stadt des 1970 neu geschaf­fenen Bundes­staates Megha­laya. Trotz massiven Zuzugs von Indern aus allen Teilen des Landes stellen auch heute noch die Khasi die Be­völkerungs­mehrheit. Dieser Berg­stamm hat hat starke eigen­ständige Traditionen, vor allem ein matri­lineares Clan­system, lebt aber zugleich fest im 21. Jahr­hundert: Die Alpha­betisierung liegt angeblich bei über 90%, viele sprechen Englisch, und nicht zuletzt scheint auch das Wissen um die subtilen Unter­schiede zwischen Österreich und Australien weit verbreitet. Die Khasi-Sprache, entfernt verwandt mit dem Khmer in Kambodscha, führt ein gesundes Leben und wird weithin benutzt — schon 1995, als ich zum ersten Mal hier war, gab es Tages­zeitungen in Khasi, und mittler­weile ist es auch offizielle Verwaltungs­sprache im Ostteil Meghalayas.

Presbyterian Chruch in Shillong, Meghalaya (India)

… ist auch innen geschmackvoll.

Presbyterian Chruch in Shillong, Meghalaya (India)

Die presbyterianische Kirche …

Die Khasi ga­ben im 19. Jahr­hundert zum über­wiegen­den Teil ihre animisti­sche Religion auf und konver­tierten zum Christen­tum, wobei Presby­terianer und Katholi­ken die mit Abstand größten Kon­fessionen sind. Deshalb ist Shillong der beste Ort, um in Indien Weih­nachts­atmo­sphäre zu schnup­pern (alle anderen Gegen­den mit christ­licher Mehr­heit fallen ja unter das ge­fürch­tete re­stricted area permit). Die Atmo­sphäre erinnert in Berlin im Advent: Alles ist auf den Straßen und mit Shopping beschäf­tigt, oder snackt an irgend­einem Straßen­stand oder in einer Kneipe. Das Familien­vermögen wird von den Frauen verwaltet, und daher sind es auch vornehmlich Damen jedes Alters, die mit dicken Einkaufs­taschen die Straßen verstopfen und hektisch von einem Laden zum nächsten eilen. Selbst die Kinder tragen hier den Familien­namen der Mutter, und der Ehemann ist nicht viel mehr als ein gern gesehener Gast im Haus seiner Frau bzw. deren Familie. Viele Inder schütteln über diese Zustände den Kopf und meinen mitleidig, den Khasi-Männern bleibe eigentlich nur der Alkoholismus, und in der Tat ist die Dichte an schummrigen Bars ganz enorm.

Catholic cathedral in Shillong, Meghalaya, India

… zeigt innen und außen dieselbe Stilsicherheit.

Catholic cathedral in Shillong, Meghalaya, India

Auch das katholische Monstrum …

Die Lebens­art ihrer Be­woh­ner ist die bedeu­tendste Sehens­würdigkeit in Shillong. Man kann sich natürlich die Kirchen an­sehen, wobei die protestan­tischen auch hervor­ragend ins briti­sche Hinter­land passen würden. Ganz im Gegen­satz dazu ist die katholi­sche Kat­hedra­le (ja, es gibt wirk­lich einen Bischof hier!) eine zu einem blauen Klotz gegos­sene Auf­forderung zum Fremd­schämen, zumindest, wenn man gleich­zeitig Katholik und nicht ganz und gar stil­verdorben ist. Die in giftigem Schwefel­gelb gehaltete Innen­einrichtung ist dann ein weiterer Schlag in die Magen­grube, ebenso wie die in typisch katholischer Humor­freiheit aufge­stellten Tafeln, wonach das Herum­lungern auf dem Kirchen­gelände verboten sei. Sonst gibt es noch Museen, Gärten und ein paar archi­tektonische Hinter­lassen­schaften der Engländer.

Leider ist vieles der kolonialen Bau­substanz dem heftigen und ziemlich unge­bremsten Wachstum der Stadt zum Opfer gefallen. Als ich Shillong zum ersten Mal sah, war es gemütlich und ver­schlafen; heute ist es so quirlig wie Delhi und Hyderabad, und teurer als beide zusammen: Ich zahle 300 Ru für einen fenster­losen Raum im Schuh­schachtel-Format mit Gemeinschafts­dusche; in fast zwei Jahren Indien mußte ich nur ein einziges Mal so tief in die Tasche greifen, und damals bekam ich 20 m² in einem Bungalow dafür. Außerdem ist es saukalt, sogar im Hotel­zimmer: Nach Sonnen­untergang (also ab 16:30 Uhr) spürt man den Winter und die 1500 Höhenmeter schon recht deutlich.

Christas Eve service at the English Presbyterian Church, Shillong, Meghalaya (India)

Heiligabend in der presbyterianischen Kirche

Christmas illumination in Shillong, Meghalaya (India)

Shillong im Farben- und Lichterrausch

Besonders bitter war die Kälte am Heiligen Abend. Um 20 Uhr spazierte ich durch die Stadt, deren Beleuch­tung selbst mit einer Doppel­dosis Magic mushroom nicht farben­froher hätte aus­fallen können. Männer und Frauen in Läden, in denen ich den letzten Tagen zu tun hatte, riefen mir ein “Merry Christ­mas” entgegen, während ich mich durch die Massen zur presbyteriani­schen Kirche kämpfte, wo ich Zeuge einer sehr musikali­schen Feier mit einer flam­menden Predigt wurde, die die Menschen zu mehr Lebens­freude (ob das in Indien wirk­lich nötig ist?) und christ­lichem Froh­sinn aufrief. An­schließend plauderte eine Dame aus dem Ältesten­rat etwas mit mir und ver­riet mir, daß sie Öster­reich liebe, seit sie den Film The Sound of Music gesehen habe. Sie wirkte etwas ent­täuscht, als ich ihr erklärte, daß dieser in Öster­reich fast unbekannt sei.

Indian Food: Chana Masala (spicy dry chickpeas)

Die extrem pikanten Chana Masala

Khasi pub in Shillong, Meghalaya (India)

In einer Khasi-Kneipe

Indian Food: Beef Bhuna (Beef stew/korma)

Beef Bhuna

Entweder war ich 1995 ein blindes Huhn, oder die Ver­pfle­gung ist viel bes­ser ge­wor­den. Damit meine ich weniger die vielen Restau­rants, die mit farben­frohen Werbe­tafeln das Straßen­bild ver­un­zieren und sich vor allem an die Ober­schicht Shillongs und die reich­lich vor­handenen Inlands­touristen wenden (beson­ders beliebt sind „China“-Restau­rants, aber ich konnte keine finden, deren Karte chine­sisch aus­sieht). Die billigen Mikro-Restau­rants am Straßen­rand sind schon inter­essanter: Gleich gegen­über von meinem Hotel gibt es phäno­menal gute Chana Masala, die fast genauso aus­sehen und schmecken wie die Newari-Kicher­erbsen im Kath­mandu-Tal, und auch das geschmorte Rind­fleisch namens Beef Bhuna ist be­merkens­wert (auf den Speise­karten wird Beef übrigens immer als B. abgekürzt, offenbar aus kultureller Sensibilität gegenüber den Hindus). Aber der Star im Angebot ist natürlich die Khasi-Küche, und es wundert mich, daß ich 1995 kein Restaurant dieser Art gefunden habe.

Indian / Khasi food: Brinjal (Aubergine), Muli (Radish), Tung-tap (chili paste), Meatball, Achar and a piece of boiled pork belly.

Naturroter Reis mit einer frittierten Auberginenscheibe, mariniertem Rettich, Tung-Tap, einem Fleischbällchen und Achar; in der Mitte ein Stück gekochter Schweinebauch.

Indian / Khasi food: Achar soh phie (Chinese strawberries in a spicy chili oil)

Achar Soh Phie

Indian food: Selection of sweets, including spiced bread with cystallized fruits

Früchtebrot und andere süße Sachen

Indian / Khasi Food: Jadoh (pork biryani) with spicy Tungtap chutney (contains Naga Jolokia chili)

Jadoh mit Stücken Schweinebauch und Tung-Tap (links oben)

In der ganzen Stadt fin­det man kleine, recht unauf­fäl­lige Läden, in denen koch­kundige Frauen lokale Küche an­bie­ten; sie werden fast nur von Khasi be­sucht (aus­ländi­sche Touristen habe ich ohnehin kaum ge­se­hen). Dort bekommt man Jadoh, das Khasi-National­gericht: Man läßt Schweine­filz aus­laufen und brät in dem Fett eine Paste aus Zwiebel, Sesam, Curcuma und anderen Gewür­zen an, ehe man lokalen Rund­kornreis zugibt, an­schwitzt und schließlich mit einer abge­messenen Menge Wasser weich­kocht. Fleisch­stücke (gekochter oder gebratener Bauch­speck, oder geschmorte Innereien) kann man noch extra dazu­bestel­len, aber auch pur schmeckt Jadoh phantas­tisch nach Schmalz — diesen Geschmack hatte ich seit Jahren nicht mehr auf der Zunge.

Dazu gibt es verschie­dene scharfe Saucen und Chutneys. Am besten hat mir Tung-Tap ge­schmeckt, eine rote Paste aus Trocken­fisch, Zwiebel und Chili. Dazu verwendet man oft eine Chili­sorte, die Soh­mynken Bep oder Soh Mynken Rakut („Monster­chili“) heißt und die man auch am Markt zu kaufen bekommt — ich war nur milde über­rascht, daß sie offen­bar mit dem assame­sischen Naga Jolokia identisch ist, und das schmeckt man auch am Tungtap. Eine hoch­interessante Alter­native dazu ist Achar Soh Phie. Soh Phie ist eine Frucht, die eng mit den sogenannten „chinesischen Erd­beeren“ (Yang­mei 杨梅, Myrica rubra) verwandt ist; letztere kann man sogar bei uns in Sirup kaufen. Für das Achar Soh Phie legt man sie unreif in ein Chili-Öl ein; das ganze schmeckt wunder­bar scharf, sauer und fruchtig. Als Antithese dazu steuert Tungrymbai, eine Paste aus fermen­tierten Soja­bohnen, Sesam und Ingwer, erdige Fermen­tations­aromen bei. Zuletzt bekommt man auch ein pikantes Gemüse­pickle (Achar) oder mit Gewürzen marinierte dünne Rettich­scheiben (Muli).

Überhaupt sind die Khasi Schwei­nereien gegen­über sehr aufge­schlos­sen: Ge­kochter oder ge­bra­tener Schweine­bauch ist unter dem Namen Dohs-niang fast überall zu haben, ent­weder mit weißem Reis, oder mit Reis oder Nudeln ange­braten, oder sogar als weniger attrak­tive Suppe. Etwas magerer sind die frittierten Bällchen aus einer Mischung von Schweine­bauch und Muskel­fleisch. Am eigen­willigsten ist Dohkhleh, gekochter, ziemlich klein­gehackter Schweine­bauch, der mit Zwiebel- und Ingwerscheiben gemischt und ohne weiteres Dressing als eine Art Salat gegessen wird.

Durch irgend­einen Zufall landete ich beim Umher­streifen in einem großen Buch­laden, wo ich die Ge­legen­heit be­nutzte, in Wörter­büchen nach Gewürz­namen in den lokalen Sprachen zu fahnden. Der Besitzer fragte mich nach dem Woher und Wohin aus und lud mich schließ­lich auf einen Tee ein. Dazu gab es eine Aus­wahl von Süßig­keiten, darunter auch etwas, was in Deutsch­land problem­los als weih­nachtliches Früchte­brot durch­gegangen wäre: Der nach Zimt und Muskat duftende Brotteig war mit kleinen, knallbunt gefärbten Stücken kandierter Früchte aufgepeppt. Was für eine überraschende Remineszenz an Daheim!


Tezpur Agartala

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