
Der Norden
Unter „Norden“ fasse ich hier die Halbinsel von Jaffna und die südlich davon liegenden Gebiete zusammen. Dieses Gebiet ist fast ausschließlich von Tamilen bewohnt und war zur Zeit des Bürgerkriegs immer wieder Schauplatz schwerer Gefechte. Die meisten Orte sind erst seit 2011 für Ausländer zugänglich, und gelegentlich werden von der Zentralregierung wieder irgendwelche Permits verlangt, bis irgendwo irgendwer zufällig ein Stück Hirn findet und die Regelung außer Kraft setzt.
Die Northern Province hat unter dem Bürgerkrieg extrem gelitten, und obwohl die Verbesserungen überall sehr spürbar sind, so wird diese Gegend noch lange nicht an den hohen Entwicklungsstand des singhalesisch bewohnten Südens anschließen können. Dazu kommt, daß viele Städte weitgehend entvölkert sind und ihre ehemaligen Bewohner nun als Expats in Europa oder den USA leben.

Im Norden sind alle Religionen vertreten, und die Busse fahren mit multikonfessionellem Segen
Die LTTE und der Bürgerkrieg
Überall in der Nordprovinz sieht man noch die Schäden, die während des blutigen Bürgerkrieges zwischen 1983 und 2009 entstanden sind. Dieser Krieg kostete etwa 50000 Menschenleben.
Spannungen zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit hatten sich bereits unter der britischen Kolonialherrschaft aufgebaut. Nach der Unabhängigkeit verstärkte sich das Problem durch die nationalistische und minderheitenfeindliche Gesetzgebung des gewählten, aber singhalesisch dominierten Parlaments. Zuerst wurden die Indien-Tamilen ausgeschaltet, indem ihnen einfach die Staatsbürgerschaft verwehrt wurde, weil sie während der Kolonialzeit eingewandert waren deshalb nun als „Ausländer“ eingestuft wurden (das wurde erst 2003 beendet). Bei den Sri-Lanka-Tamilen, die schon länger als die Singhalesen auf der Insel lebten, ging das nicht, also ließ man sich etwas anderes einfallen.
1956 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Englisch in der Verwaltung abschaffte und Singhala zur einzigen Landessprache machte; Tamilen waren damit von allen höheren Funktionen ausgeschlossen und erlitten bereits in der Schulausbildung harte Diskriminierung. Staatlich geförderte Transmigrations-Programme für Singhalesen brachen die tamilische Mehrheit in der Ostprovinz. Der Druck verschärfte sich ständig: In den Siebzigern wurde der Import tamilischsprachiger Medien verboten und der Hochschulzugang für tamilische Studenten drastisch erschwert. Als Begründung wurde angeführt, daß die tamilische Bevölkerung unter der britischen Herrschaft bevorzugt gewesen wäre und daher die Singhalesen „spezieller Förderungen“ bedürften; die Wahrheit dürfte wohl eher sein, daß die Tamilen im Schnitt stärker an Bildung interessiert und internationaler ausgerichtet waren (durch die Verbindungen zu Indien und die vielen tamilischen Emigranten) als die Singhalesen, und das hatte ihnen (nicht nur) während der Kolonialzeit Vorteile eingebracht. Die schikanöse Gesetzgebung war also auch eine Retourkutsche für vergangene „Kollaboration“ mit den Briten.
Gewaltloser tamilischer Widerstand nach dem Satyagraha-Modell wurden oft gewaltsam niedergeschlagen, und Pogrome forderten Tausende tamilische Todesopfer. Als Folge davon radikalisierte sich die tamilische Bevölkerung, vor allem junge Männer aus der Mittelklasse, die unter der antitamilischen Gesetzgebung stark litten. Die erfolgreichste Widerstandsgruppe war die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam, auf Tamil Tamil Ila vidutalai Pulikal), die 1976 von Velupillai Prabhakaran gegründet wurde. Zum Höhepunkt ihrer Macht, um das Jahr 2000, hatte sie ein paralleles Staatswesen im Norden und Osten errichtet (Tamil Eelam) und verfügte über schlagkräftige Bodentruppen und sogar eine Marine; außerdem gelangen ihr einige spektakuläre Anschläge, unter anderem die Ermordung des ehemaligen indischen Premierministers Rajiv Gandhi durch eine Selbstmordattentäterin. Zugleich unterhielt die LTTE aber auch diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten und strebte die Anerkennung von Tamil Eelam durch die UNO an.
Die LTTE betrieb ethnische Säuberungen gegen Singhalesen und sogar tamilischsprachige Muslime, verschaffte sich Geld durch Methoden der organisierten Kriminalität, verpflichtete bereits Kinder zum Kriegsdienst und beging zahllose Massaker an nichtmilitärischen Opfern (das tat die andere Seite natürlich auch). Nach innen funktionierte die LTTE-Herrschaft nach einem autoritären Modell, das keinen inneren Pluralismus zuließ und im Laufe der Jahre immer repressiver wurde. Das permanente Kriegsrecht erlaubte der militärischen Führung großen Spielraum, der brutal ausgenützt wurde, um Kritiker zu ermorden und jegliche innertamilische Opposition zu ersticken. Intensive Propaganda glorifizierte Selbstmordattentäter und bereitete den Boden für Zwangsrekrutierungen.
Das Ende der LTTE kam 2008 mit einer Offensive der srilankanischen Armee, und Prabhakaran wurde am 18. Mai 2009 auf der Flucht aus seinem Bunker nahe Mulaitivu getötet. Erstaunlicherweise kehrte damit in die Nordprovinz weitgehend Frieden ein, woran auch die singhalesische Politik einen großen Anteil hatte.
Denn die diskriminierende Gesetzgebung der Fünfziger- bis Siebzigerjahre war zu diesem Zeitpunkt schon lange außer Kraft. Tamil ist bereits seit 1987 eine gleichberechtigte offizielle Sprache des Landes, und das ethnische Quotierungssystem an den Universitäten war sogar schon 1977 weitgehend entschärft worden; die LTTE hat diese Verbesserungen immer ignoriert. Das heißt natürlich nicht, daß es heute keine Diskriminierung mehr gibt, aber selbst bei den seit Olims Zeiten extrem unterdrückten Indien-Tamilen bessert sich die Lage deutlich, und die Sri-Lanka-Tamilen kämpfen heute mehr mit den Kriegsschäden und dem brain drain durch jahrzehntelange Emigration als mit den Schikanen der Regierung. Um eine bessere Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, werden heute an allen Schulen alle drei Sprachen (Sinhala, Tamil und Englisch) unterrichtet. Diese Entwicklungen geben Anlaß zu langfristigem Optimismus.
TL; DR: Wenn beide Seiten Konfrontation wollen, kann das Ergebnis nur eine Tragödie werden.