Blick auf die „Hauptstraße“, im Hintergrund der Nanda Devi (7816 m)
Pflügen nach Großvaters Art
Pinienwald (Pinus roxburghii)
Blick auf die „Hauptstraße“, im Hintergrund der Nanda Devi (7816 m)
Liebe Birgit,
nach einer üblen Busfahrt auf einem rückwärts gewandten Sitz von Nainital kam ich in Almora an und war zunächst mal nur enttäuscht, denn die hektische Atmosphäre der hübsch gelegenen Stadt paßte überhaupt nicht zu meiner Vorstellung von einer hill station. Also schnappte ich mir ein Sammeltaxi zum nur 8 km entfernten Örtchen Kasar Devi. Dort gibt es nämlich, unbemerkt vom sonst fast allwissenden lonely planet, ein kleines aber feines „Travellerparadies“, angeblich ein Relikt aus Hippie-Zeiten und mit entsprechend relaxter Atmosphäre und freundlichen Unterkünften in einer wunderbar friedvollen Berglandschaft.
Pflügen nach Großvaters Art
Pinienwald (Pinus roxburghii)
Beginnen wir mit der Landschaft: Kasar Devi zieht sich auf geschätzt 1900 m entlang einer Straße auf einem Bergrücken dahin, der allseitig mit den dreinadeligen Chir-Kiefern (Pinus roxburghii), stellenweise auch mit den heiligen Deodar-Zedern (Cedrus deodara, mehr dazu nächstes Mal) bewachsen ist. Bei Sonnenschein entwickeln die lockeren, lichtdurchfluteten Pinienwälder mit ihren himmelhohen, perfekt cylindrischen Stämmen und ihrem sanftgrünen Grasteppich eine fast märchenartige Atmosphäre, vergleichbar mit alpinen Lärchenwäldern. Hier würden auch ein paar Ewoks gut hineinpassen, und mit dieser Assoziation bin ich offenbar nicht allein: So etwas ähnliches muß sich auch der anonymer Texter gedacht haben, der er auf eine der unzähligen zum Naturschutz aufrufenden Propagandatafeln May the Forest be with you! schrieb.
Echte Zitronen!
Thymian
Blütenstände von Agava americana mit Regenbogen (Indradhanush „Bogen Indras“)
Blüten von Grevillea robusta (Silbereiche)
Der kleine Kasar Devi Mandir
Echte Zitronen!
Blüten von Grevillea robusta (Silbereiche)
Zu den vielen interessanten Pflanzen gehören außer den hier Buras genannten Rhododendren (Rhododendron arboreum) vor allem Zitrusgewächse: Neben Orangen und Limetten wachsen hier auch echte Zitronen, die etwas größer werden als die am Mittelmeer und deren Saft wie Limettensaft verwendet wird. Auch blühende Granatapfelsträucher findet man häufig, und Kirschen (Prunus cerasiformis) und sogar eßbare Feigen (Ficus carica); in den Wäldern blüht gerade eine Thymian-Art (Thymus linearis), die unserem Feldthymian (Th. serpyllum) ähnlich sieht wie ein Ei dem anderen.
Thymian
Der überall in Massen gedeihende Hanf (Cannabis sativa) ist wohl so etwas wie ein Trumpf-As für den Tourismus; jedenfalls verdankt die Gegend ihren Spitznamen Crank’s Ridge („Bergrücken der Bekloppten“) den seit den Sechzigern dauerbekifften Hippies, von denen einige (mittlerweile in die Jahre gekommen) immer noch die billigen Guest Houses bewohnen und beräuchern. Die Einheimischen nennen das Dorf auch augenzwinkernd Ganjanagar, und manche Ex-Hippies haben sich auch etwas spießig eigene Häuser gebaut, vermutlich mit großem Kräutergarten.
Blütenstände von Agava americana mit Regenbogen (Indradhanush „Bogen Indras“)
Blüten von Grevillea robusta (Silbereiche)
Der kleine Kasar Devi Mandir
Einige der hier wachsenden Pflanzen stammen aus anderen Kontinenten und kamen wohl mit den Briten als Zierpflanzen hierher; inzwischen sind sie teilweise verwildert. Am auffälligsten ist der Feigenkaktus (Opuntia), dem die trockenen Böden recht gefallen und der so gut wie überall wächst. Ein anderer Exilant aus Amerika ist die Agava americana, deren riesige Blattrosetten überall die Hänge bevölkern; zur Zeit recken sie ihre pittoresken, etwa 8 m hohen Blütenschäfte in die Luft. Vor ein paar Wochen wurde ich mit den feuerroten, flammenähnlichen Blüten von Grevillea robusta überrascht, einem australischen Baum mit silbergrünen Blättern, der stellenweise den Rand der Straße in Kasar Devi ziert. Nicht ganz überraschend wächst auch überall den Jesuitentee, aber dieses méxicanische Gewürzkraut ist der lokalen Bevölkerung hier genauso unbekannt wie an meinen früheren Stationen.
Der kleine Kasar Devi Mandir
Der Shivalingam im Nanda Devi Mandir
Eingang zum Nanda Devi Mandir in Almora
Der für den kleinen Ort namensgebende Tempel, Kasar Devi Mandir, liegt ganz ruhig auf dem höchsten Punkt des Rückens; vom Standpunkt der Architektur bietet er nicht viel. Da gerade wieder einmal Navaratri gefeiert wird, wird er von segenssuchenden Hindus ganztägig besucht. Navratri ist das „Neun-Nächte-Fest“ der Göttin Parvati bzw. Durga und wird bis zu fünfmal pro Jahr gefeiert; der Herbsttermin ist der wichtigste und endet in dem bereits zweimal beschriebenen Dussehra-Fest. Zumindest jetzt, am Anfang der Neun Nächte, köcheln die Festlichkeiten auf sehr niedriger Flamme.
Eingang zum Nanda Devi Mandir in Almora
Der Shivalingam im Nanda Devi Mandir
Gute Kombination: Marillen und Mangos
Eingang zum Nanda Devi Mandir in Almora
Almora bleibt selbst bei mehrmaligem Besuch eine ziemlich laue Erfahrung. Die Lage auf einem langen Rücken mit steilem Abstieg in beide Richtungen ist für eine hill station typisch, aber der laute Verkehr und der Mangel an Sehenswürdigkeiten macht es auch bei genauerer Betrachtung nur wenig sympathisch. Lediglich der Nanda Devi Mandir, ein schöner Shiva-Tempel aus dem 13. Jahrhundert, ist erwähnenswert: Der robuste Steinbau wirkt von außen recht urtümlich; im Inneren herrscht (wahrscheinlich feiertagsbedingt) eine ernste religiöse Atmosphäre, und drei Musikanten spielen live mit Trommeln und Blasinstrumenten.
Der Shivalingam im Nanda Devi Mandir
Der hohe Tempelturm (Shikara) des Nanda Devi Mandir ist, wie auch anderswo üblich, aus Stein erbaut; auf der Spitze trägt er eine balkonartige Holzkonstruktion, wie sie für die Kumaon-Region (also den Ostteil von Uttarakhand) typisch ist; auch die Flachreliefs auf seiner Außenseite sind im lokalen Kumaoni-Stil gehalten. Im Inneren des Turmes läßt sich ein Shivalinga ganztägig aus einem Kupferkessel mit Wasser betropfen; das kann man durch drei Spalten im Turm auch von außen beobachten. Weniger traditionell ist die Beleuchtung des Garbhagriha mit bunt oszillierenden Leuchtdioden, die den Blindenhund zum überlauten Jaulen bringt und von der ich Dir auf dieser Seite einen kleinen Eindruck vermitteln möchte, wenn Dein Browser es erlaubt.
Gute Kombination: Marillen und Mangos
Die Marktstraße von Almora ist verkehrsfrei und voller lokaler Produkte. Besonders schmackhaft sind die Mangos, die gerade wieder einmal Saison haben (man bekommt sie aber auch in getrockneter Form, zum Kochen), aber ich will lieber das Loblied auf eine andere orange Frucht singen: Die Marille (Khubani). Denn hier, im westlichen Himalaya, sind Marillen — für Dich natürlich Aprikosen — recht verbreitet, und sie schmecken genauso wie bei uns, nur intensiver. Sie werden meist durch Trocknung haltbar gemacht und dann ganzjährig genußvoll geknabbert, gelegentlich auch zu mogulischen Reisgerichten verkocht. Diese Marillen sind etwas kleiner als die bei uns üblichen Sorten und erreichen nur den Durchmesser einer großen Walnuß. Letztere gibt es hier übrigens auch, sie heißen Akhrot, und ein Baum mit halbreifen Früchte steht genau vor meinem Guest House.
Pizza con olive
Pasta Napoletana (ich verschweige, wie der Name auf der Speisekarte wirklich geschrieben war)
Hummus mit Rohgemüsesalat
Pizza con olive
Das Essen in Touristenparadiesen wie Kasar Devi ist immer eine zweischneidige Sache: Tourist Food versucht ja zumeist, dem Langzeit-Indienreisenden eine kulinarische Weltgewandtheit vorzutäuschen, die in der Realität von den lokalen Köchen eher nicht erreicht wird. Andererseits ist das echt indische Essen im Marktviertel von Almora nicht nur billiger sondern auch wesentlich besser als in den gemütlichen Kneipen von Kasar Devi. In meinem Guest House gibt es zumindest ganz passable Pizza, auch wenn die Tomatensauce (Fertigprodukt) nicht überzeugt und der dicke Boden eine zu lange Backzeit erforderlich macht; dafür punktet sie mit frischem Käse, grünen Oliven (Glas) und viel gutem Willen. Insgesamt erreicht sie etwa die Qualität unserer Tiefkühlware in einem gasbetrieben oder elektrischen Backofen.
Pasta Napoletana (ich verschweige, wie der Name auf der Speisekarte wirklich geschrieben war)
Auch andere Etablissements in Kasar Devi haben sich der „italienischen Küche“ verschrieben. Gute Nudeln (vor allem Penne) italienischer Produktion sind tatsächlich erhältlich, auch Olivenöl und Oregano, letzterer sogar aus lokalem Anbau (gedacht für den Export), aber das Konzept von al dente ist hier noch nicht ganz angekommen, und die Versuche, Parmesan durch Panir zu ersetzen, wirken ziemlich erbärmlich. Daß man italienische Tomatensauce auch aus Tomaten machen kann, will niemandem so recht einleuchten, solange man die Pampe auch aus industrieller Tomatenpaste zusammenrühren kann. Insgesamt ist das nur a mixed blessing, wenngleich auch nicht gänzlich ungenießbar.
Hummus mit Rohgemüsesalat
Wegen der vielen israelischen Touristen versuchen sich die Restaurants auch an ostmediterraner Küche; und zumindest beim Hummus gelingt dies auch tadellos (kein besonderes Wunder in einem Land, in dem Kichererbsen ein Grundnahrungsmittel darstellen). Kaltgepreßtes Olivenöl ist in Kasar Devi in jedem Touri-Laden erhältlich; das gilt, in viel geringerem Ausmaß, auch für den Rest Indiens, da dieses Importprodukt im Ayurveda als Heilmittel genutzt wird.
Nächstes Mal erzähle ich Dir nicht nur von ein paar Tempeln im Umfeld von Almora, sondern auch kulinarischen Erfolgen mit echt indischem Essen.
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