Landkarte
Williamnagar Siehe auch Shillong, Kohima Aizawl 2

Aizawl (Mizoram)

Panorama of Aizawl, Mizoram (North Eastern India)

Panorama von Aizawl, aufgenommen von der sehenswerten Freilufttoilette des Marktgebäudes

Presbyterian Church in Chandmari,  Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

Die presbyterianische Kirche in Chanmari ist selbst für Mizo-Verhältnisse außerordentlich protzig

Presbyterian Church in Ramhlun South, Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

Presbyterianische Kirche in Ramhlun

Liebe Birgit,

nun bin ich also in Aizawl, der Haupt­stadt von Mizo­ram. Mizo­ram ist der letz­te der Bundes­staaten an der indisch–burmesi­schen Grenze, den ich auf­suche, und viel­leicht auch der schönste. Obwohl Aizawl in mancher Hin­sicht an die Haupt­städte der anderen beiden christ­lich domi­nierten Staaten erinnert, so ist es doch auch wieder ganz anders.

Aizawl ist ei­ne bri­ti­sche An­sied­lung und zieht sich ewig lang auf einem Rücken da­hin, wie viele andere hill stat­ions. Hier ist es zwar nicht sehr hoch (1130 m), aber dafür extrem steil: Der Hang hat überall um die 45° Stei­gung und was auf der einen Seite Erd­geschoß ist, heißt auf der anderen dann 2. Stock. Bom­basti­sche Kirchen prägen das Stadt­bild in einem Aus­maß, wie man es sonst nur in Tbilisi und Rom sieht; Presbyteri­aner und Bap­tisten domi­nieren, und die Katholi­ken spielen ganz un­gewohnt nur eine Neben­rolle. Einmal die Woche fällt die ganze Stadt ins Koma, und alles Leben dreht sich nur noch um drei­mal zwei Stunden Gottes­dienst; denn am Sonntag wird die Religion sehr ernst­genommen, während den Rest der Woche ein sehr säkulares Lebens­gefühl herrscht.

Fire-dried and smoked pork spits voksa rep, Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

Überall in der Stadt wird Schwein über dem Feuer getrocknet und geräuchert (Vawksa Rep)

Mizo market women taking their lunch at Bara Bazar in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

Mizo-Marktfrauen beim Mittagsimbiß

Die Mizo sind mit den Naga und und vielen bur­mesi­schen Völkern (vor allem den Chin) ver­wandt. Mit Indern haben sie eth­nisch, lin­guis­tisch, histo­risch und kul­tu­rell so gut wie nichts ge­mein­sam, wes­halb sie sich als „indi­sche Staats­bürger” irgend­wie ver­loren und ver­lassen vor­kommen. Das von Mizo be­wohnte Gebiet er­streckt sich auch ein Stück nach Bangla­desh (dort heißen sie Lushai) und tief nach Burma. Viele der in Aizawl an­säs­si­gen Mizo sind aus Burma zu­gezogen, und des­halb sieht man in der Stadt auch ver­einzelt burmesi­sche Schrift­zeichen. Die Mizo sind in ver­schie­dene Stäm­me ge­spalten, sprechen aber alle weit­gehend dieselbe Sprache (aus dem Kuki–Chin-Zweig des Tibeto–Burmani­schen) und bilden eine recht ko­härente Gruppe; ihre nächsten Ver­wandten sind die Hmar, Lai Paite und „Kuki“ (ein schlecht definierter Sammelbegriff).

Mizorams Bil­dungs­system ist noch eine Spur ef­fizien­ter als das von Naga­land; und das will etwas heißen. Der länd­liche Bundes­staat er­freut sich einer enormen Alpha­beti­sierungs­rate (jüngste Zahlen sprechen von 90%), Eng­lisch-Kent­nisse sind weit ver­breitet (wenn auch nicht ganz so weit wie in Naga­land) und die Menschen sind ge­bildet, freund­lich und herz­lich, ohne die bei Indern oft zu be­obach­ten­de Zu­dring­lich­keit zu zeigen (letz­teres ändert sich aber, wenn sie dem lokal her­gestell­ten ge­zucker­ten und ver­gore­nen Trauben­saft zu­gesprochen haben).

Mizo girls in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

Aufgebrezelte junge Mizo-Damen

Zawngtah vegetable seen at Bara Bazar Market in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India)

Zawngṭah (Parkia javanica)

Painting of head-hunting trophy tree in a Mizo village, State Museum in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India

So waren die Dörfer zur Zeit der Kopfjagden dekoriert

Kawhtebel vegetable (Semecarpus subpanduriformis) seen at Bara Bazar Market in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India)

Kawhtebel (Semecarpus subpanduriformis)

Die Mizo-Frauen kön­nen ein selbst­bestimm­tes Leben füh­ren, und das trägt auch sehr dazu bei, daß mir die Atmo­sphäre dieser Stadt ein­fach nur ge­fällt (hier herrscht sogar ganz un­indisch demo­graphischer Frauen­über­schuß). Häufig sieht man Mäd­chen rudel­weise durch die Straßen fla­nieren, oft mit einem Aus­maß an Kriegs­bemalung, daß ich eine un­gebroche­ne Tra­dition von body paint zu Lip­gloss für mög­lich halte. Auch im Straßen­verkehr sind Frauen durchaus ver­treten; häufig fahren sie Motor­räder, und ge­legent­lich sieht man sogar den un­glaub­lich­sten und un­geheuer­lich­sten aller indi­schen An­blicke: Frau am Steuer.

Zu sehen gibt es in Aizawl ei­gent­lich nichts, nur das State Museum muß er­wähnt werden. Dort kann man histori­sche Ge­brauchs- und Kult­gegen­stände der Mizo und anderer Stäm­me Mizo­rams be­wundern, und einige Ge­mäl­de geben einen Ein­druck von dem Aus­sehen der Dörfer. Die Mizo waren, wie auch die Naga, Kopf­jäger und sam­melten die Köpfe der er­schla­genen Feinde (oder Nach­barn) auf Tro­phäen­bäumen im Dorf­zentrum. Von einem fast echten Mizo-Dorf berichte ich dann das nächste Mal.

Purunzung (onion/garlic root) seen at Bara Bazar Market in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India)

Purunzung

Smoked rat (Sazu Rap) seen at Bara Bazar Market in Aizawl, Mizoram (North-Eastern India)

Geräucherte Ratte (Sazu Rep) aus den Wäldern

Am höch­sten Punkt Aizawls liegt das Zentrum rund um den Hotel­bezirk Zar­kawt, das Mil­lenium-Center und natür­lich den Markt. Mit dem ein­zig­arti­gen „Frauen­markt“ von Imphal kann er zwar nicht ganz mit­halten, aber man be­kommt auch hier eine große Aus­wahl an sehr un­indi­schem Gemüse wie etwa Ba­nanen­blüten (Tumbu), Ba­nanen­stämme (Saisu) oder Zawngṭah, das sind gut ellen­lange, bohnen­ähn­liche Früchte, die auf dem Baum Parkia javanica wachsen und die ich bereits in Imphal testen konn­te. Ein wei­teres Gemüse namens Kawh­tebel konnte ich tenta­tiv als Seme­carpus sub­panduri­formis identi­fizie­ren: Es sind kleine Beeren, die auf einer Dolde wachsen, und man ißt so­wohl die Früchte als auch die flei­schi­gen Stengel. Am exotisch­sten waren jedoch die ge­räucher­ten Ratten (Sazu), die man stück­weise kauft; an­geb­lich handelt es sich um Wild­tiere, die in den Wäldern gefangen werden.

Im Ober­stock des Markt­gebäu­des stehen einige extrem ge­müt­liche und liebens­werte Knei­pen zur Aus­wahl, wo man die zuvor theo­re­tisch am Markt be­sich­tig­ten Ex­ponate einer prak­tischen Über­prüfung unter­ziehen kann. Mizo-Essen ist generell sehr fett­arm und be­steht oft nur aus in Brühe ge­koch­tem Gemüse. Für den Ge­schmack sorgen fer­men­tierte Zu­taten und viel Chili und Ingwer, außer­dem noch einige Kräuter, allen voran Langer Koriander und Koriander. Auch das exoti­sche Würz­kraut El­shol­tzia blanda (Lengser) habe ich ge­funden; es riecht in­tensiv nach Zitronen (die gibt es hier übri­gens auch), und ich habe es ja schon in den Briefen aus Nagaland und Mani­pur be­schrie­ben. Ein wei­terer alter Bekannter sind die bart­artigen Wurzeln einer lokalen Knob­lauch­art, die Purun­zung heißt und die mir auch bereits in Manipur begegnet war.

Indian/Mizo food: Selection of dishes

Mizo-Mahlzeiten sind vielfältig. Im Uhrzeigersinn: Sa Um Bawl, Kichererbsen, Schweinefleisch, Rettich-Püree, Kohlblätter und Rindsuppe, im Zentrum gebratener Reis mit einem Klecks Chaw Ṭani oben rechts.

Indian/Mizo food: Chaw Tani (spicy chili and onion condiment)

Eine Variante der scharfen Tischwürze Chaw Ṭani

Zu einem vol­len Mahl werden ein großer Teller ge­koch­ter Reis, meh­rere ge­kochte Ge­müse und dazu noch ein bis zwei scharfe Würzen ge­reicht. Sehr be­liebt ist eine frisch her­gestell­te Mi­schung aus frischem Chili und Zwiebel, oft auch mit ge­hack­tem Ingwer, die in jedem Restau­rant etwas anders zu­bereitet wird und Chaw Ṭani heißt. Eine andere Würze bestand nur aus ge­raspel­tem Ingwer, Chili und langem Koriander. Sehr exo­tisch schmeck­te Sa Um Bawl, das ist mit Chili ge­würz­tes fer­men­tier­tes Schweine­schmalz; das fer­mentier­te Schmalz (Sa Um) wird am Markt in kleinen Plastik­beuteln ver­kauft und schmeckt extrem durch­drin­gend fischig bis urinig. Für diese Würzen wird oft ein extrem scharfer und beißender frutes­cens-Chili ver­wendet, den man all­gemein Mizo Hmarcha, also „Mizo-Chili“ nennt. Der trieb selbst mir die Schweiß­perlen auf die Stirn.

Indian/Mizo Food: Soup made of Smoked and cured pork (Voksa Rep) with green cabbage leaves

Suppe aus Pökel- und Räucherschwein mit Kohl

Indian/Mizo Food: Green Beans Behliang with Chicken spicy lung paste Artinyawt

Grüne Bohnen mit Hühnerlunge

Indian/Mizo Food: Pork chops fried in natural pork fat

Im eigenen Fett gebratenes Schwein

Schweine sind über­haupt sehr be­liebt. An vielen Orten in der Stadt be­kommt man über dem Feuer ge­trock­ne­tes und ge­räucher­tes Schweine­fleisch (Vawksa Rep) zu kaufen; es kann auch ge­pökelt sein und er­innert dann etwas an Kassler. Meist wird es von Privat­personen ge­kauft und dann da­heim ge­ges­sen; aber manc­hmal landet es auch in den Re­stau­rants. So bekam ich einmal eine un­gemein schmack­hafte Brühe aus ge­räucher­tem Schwein mit ein paar Senfkohl­blättern. Fleisch­brühe ist im „echten“ Indien ja weit­gehend unbekannt und kommt kaum einmal zum Einsatz.

Auch das un­behan­del­te Schweine­fleisch kann sich sehen las­sen. Die üb­liche Servier­form ist im eigenen Fett ge­braten und ver­wöhnt den Gaumen mit inten­siven Brat- und Röst­aromen. Jeder Tropfen Fett und jede Faser Fleisch ist prall mit Ge­schmack ge­füllt, wie man es nur von natur­nah ge­halte­nen und ab­wechs­lungs­reich er­nährten Schweinen mit viel Aus­lauf und Lebens­freude er­warten kann. Nach den leicht ent­täuschen­den Schwei­nereien bei den Garo ist das die rein­ste Wohl­tat.

Rind­fleisch wird dagegen lieber fett­frei in stark ge­würz­ter Brühe ge­kocht (die Mizo nen­nen das übrigens “Curry”). Oft erhält man die Brühe ge­trennt als Bei­lage zum Reis. Hühner sind selt­ener zu bek­omm­en: Bereits an meinem ersten Tag (aber später nie mehr) serv­iert­e man mir eine rätsel­haftes Gericht aus ge­kochten Bohnen (Behliang) mit einer intensiv schmecken­den Paste (Artin­yawt), die wie ich später er­fuhr aus Chili und Hühner­lunge bestand.

Indian/Mizo food: Zawngtah (Parkia javanica) salad

Zawngṭah-Salat

Indian/Mizo Food: Chhangban (deep-fried sticky rice breads)

Chhangban

Das Es­sen wird immer mit Reis ge­ges­sen. Manch­mal be­kommt man auch ge­bra­tenen Reis, der aber in großen Mengen zu­berei­tet wird und dann lange auf Kunden wartet; des­halb kann er sich mit indo­nesi­schem Nasi Goreng keines­falls mes­sen. Es gibt auch Kleb­reis, der mit etwas Würz­pulver bestreut auf den Stiegen des Markt­viertels ver­kauft wird (Buaban). Alter­nativ kann man ihn auch als Chhang­ban kon­sumieren, das sind kleine Küch­lein aus Klebreis­mehl, die schwim­mend heraus­gebacken werden. Das ist übrigens das einzige frit­tierte Mizo-Essen, das ich je gesehen habe.

Zuletzt er­wähne ich noch die kalten, wür­zigen Gemüse­speisen, die ich mangels einer bes­seren Kategorie als „Salat“ be­zeichnen würde. Der Star sind dabei die Zawng­ṭah-Früchte (die „Riesen­bohnen“), die ge­kocht und mit einer pikan­ten Paste aus Chili und Ingwer ver­mengt werden. Ähn­liche Salate werden auch mit ge­wöhn­lichen Bohnen (Behliang) oder Kohl­gemüse zubereitet.

Du kannst Dich freuen: Nächstes Mal geht es weiter mit der ungemein schmackhaften Mizo-Küche.


Williamnagar Aizawl 2

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