Landkarte
Jomsom Road 4 Siehe auch Shillong Williamnagar

Tura (Meghalaya)

Christian shrine in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Der Nordosten Indiens ist christlich!

Shabby houses in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Tura wirkt stellenweise wirklich schäbig

Liebe Birgit,

der idioti­sche Streik in Nepal hängt mir immer noch nach. Des­halb kam ich knapp zwei Wochen spä­ter als ge­plant nach Indien, und ver­paß­te die Weih­nachts­feier­tage, die ich ei­gent­lich hier, im christ­lich geprägten Nord­osten Indiens, ver­brin­gen wollte. Außer­dem ist mein Visum trotz aller Tricks zu kurz ge­raten, und lang­sam frage ich mich, wozu ich es mir denn antue, in ein Land zu reisen, in dem man mich gar nicht haben möchte. Viel­leicht sollte ich mein Geld ja lieber in Paki­stan ausgeben, nur um die Inder zu ärgern.

Meine er­ste Sta­tion ist Tura, eine Klein­stadt ganz im Westen des wolken­trächti­gen Bundes­staates Megha­laya. An­ders als der Ost­teil, wo auch die Haupt­stadt Shillong liegt, ist West-Megha­laya nur schlecht ent­wickelt. Die Be­wohner dieser Hügel ge­hören dem Garo-Stamm an und nennen sich selbst A·chik; ihr Aus­sehen ist leicht ost­asia­tisch, be­son­ders bei den Männern, denen oft ein dünner Unter­lippen- oder Kinn­bart sprießt. Obwohl sie linguis­tisch mit den Khasi in Shillong nicht ver­wandt sind, teilen sie sich einige kultu­relle Be­sonder­heiten, vor allem die Matri­lineari­tät (Eigen­tum ge­hört den Frauen). Wie die Khasi sind auch die Garo fast aus­schließ­lich Christen.

Bamboo in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Bambusstaude

Man plating bamboo stems in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Mann beim Glätten von Bambus

Rubber tree in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Saft fließt aus dem Kautschuk-Baum

Leider gibt es aber einen Unter­schied zwischen den beiden Ethnien: Wäh­rend die Khasi ihren way of life er­folg­reich in der indi­schen Gegen­wart ver­teidi­gen, er­lei­den die Garo das alte Adi­vasi-Schick­sal von Dis­kriminie­rung, Mar­gina­li­sie­rung und Armut. Das Markt­viertel von Tura ist fest in der Hand von Ben­galen, die hier handeln und Geld ver­dienen, während die weniger er­träg­lichen und ge­schätz­ten Tätig­kei­ten dann für die Garo übrig­blei­ben. Da­hinter steckt keine Bos­heit auf Seiten der Ben­galen, ganz im Gegen­teil, sie loben oft die Ehr­lich­keit, Freund­lich­keit und Gast­lich­keit der Garo, aber Ge­schäf­te machen sie dann doch lieber unter­einan­der. Ver­ständ­lich, denn das Bil­dungs­niveau bei den Garo liegt sehr tief, und es ist er­staun­lich, daß die sonst überall so ef­fekti­ven kirch­lichen Bil­dungs­einrich­tun­gen das nicht über­winden konnten. Übrigens gibt es hier bei weitem nicht so viele Kirchen, wie ich er­wartet hätte; alle, die ich ge­sehen habe, gehören re­formier­ten Zweigen an, gewöhnlich Bap­tisten, Ad­ventis­ten und ähn­lichen Konfessionen.

In Tura gibt es eine be­trächt­liche Garo-Popula­tion, aber die Garo prä­gen nur sehr ver­einzelt das Stadt­bild, etwa am Gemüse­markt. Mehr von ihnen sieht man in den Dörfern rund um Tura. Dazu setzt man sich ein­fach in irgend­einen Bus, fährt ziel­los durch die be­walde­ten Hügel und steigt irgend­wo aus; in der Nähe wird man dann schon ein Dorf finden.

Die Hügel hier unter­schei­den sich sehr stark vom Hima­laya, und zwar nicht nur wegen ihrer Höhe (Tura er­reicht gerade einmal 350 m); denn obwohl gerade Trocken­zeit herrscht, hat das extrem nieder­schlags­reiche Klima der Vege­tation einen er­kenn­baren „Regen­wald-Charak­ter“ auf­geprägt. Teak­bäume, Bambus­stauden und Betel­palmen bilden die Haupt­masse des Grüns, und von den kulti­vier­ten Arten bleibt vor allem der Kautschuk­baum in Er­inne­rung, der in jedem Dorf an­gebaut wird. Wie schon einmal er­wähnt, wird er durch spiralige Ein­schnitte in die Stamm­rinde beerntet: Ent­lang der Wunde tritt ein weißer Saft aus, der in einem Schäl­chen auf­gefangen wird und dort zu rohem Natur­gummi gerinnt.

Garo stable or storage building in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Garo-Stall oder Speicher

Domestic pigs in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Fette Schweinerei!

Garo residence house in Tura (West Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Garo-Wohnhaus

Die Garo leben typi­scher­weise in Bambus­häusern, die sich zu kleinen Dör­fern grup­pieren. Die Wände aus ge­floch­te­nem Bambus sehen reich­lich windig aus; viel mehr Sorg­falt ver­wendet man auf den Bau der Dächer, wohl wegen der heftigen Nieder­schläge im langen Monsun (Mai bis Okto­ber). Meistens sind diese Dächer heute aus Well­blech, aber ver­ein­zelt trifft man noch Häuser mit dem alter­tüm­lichen mehr­lagigen und daher wasser­dichten Stroh­dach. Manche Gebäude stehen auf Holz­stelzen; dabei handelt es sich um die ratten­sicher gebauten Vorrats­räume, und manch­mal sieht man auch einen kleinen Hühner­stall in dieser Bau­art. Als Aus­länder wird man wie ein Außer­irdi­scher be­staunt, denn die West Garo Hills sind vom Touris­mus defini­tiv noch nicht ent­deckt worden.

Bei mei­nen Ex­kursio­nen in die Dör­fer fie­len mir auch fette schwarze Schweine auf, die überall herum­dösen; beim Ge­danken an ein Wieder­sehen in den Kneipen von Tura lief mir das Wasser im Mund zu­sam­men. Ähn­lich wie auch die Khasi be­trach­ten die Garo das Schwein als Grund­nahrungs­mittel, aber leider kann sich die Quali­tät der Garo Hotels in Tura nicht mit der der Khasi-Restau­rants in Shillong messen. Das fängt schon einmal damit an, daß man kaum welche findet, denn das Markt­gebiet ist voll­ständig in ben­gali­scher Hand. Erst etwa einen Kilo­meter entfernt lockt der Hawa­khana mit einer Hand­voll familien­betrie­be­ner Garo-Futterstellen.

Indian/Garo Food: Pork Khapa (pig intestines cooked with baking soda)

Schweine-Innereien mit Soda (Khapa)

Indian/Garo Food: Pork stew

Schweinebauch

Indian/Garo Food: Beef cooked with green leaves

Rindfleisch

Das dort er­hält­liche Essen ist vor allem eines: Sehr simpel. Es be­steht vor allem aus in Wasser mit ver­schie­denen Zu­taten ge­koch­tem Schweine­bauch, da­neben noch Fisch, Huhn oder Rind in ähnlich schnörkel­losen Zu­berei­tun­gen. Viele davon werden mit etwas Speise­soda gekocht, was einen etwas dumpfen Ge­schmack ver­ursacht; solche Spei­sen heißen Khapa. Das Gewürz­repertoire be­steht vor allem aus Chili, Ingwer, Cur­cuma und Knob­lauch und ist damit ähn­lich be­schränkt wie bei vielen anderen Ethnien des Nord­ostens. Fisch­aromen habe ich nicht ge­funden, aber man hat mir gesagt, daß im Haushalt ein Trocken­fisch namens Nakham häufig zum Ein­satz kommt und zu pikanten Bei­lagen verarbeitet wird.

Die Schwei­ne­zuberei­tungen sind am viel­fältg­sten. Man findet fast immer den Bauch, der in Wasser mit ein paar grünen Blät­tern oder zu­sam­men mit einem nahr­haften Gemüse wie Taro-Knollen oder Kürbis ge­kocht wird; er kann aber auch nur in Brühe ge­kocht werden. Die Schweine sind extrem fett, und die in der Brühe schwim­men­den Stücke be­stehen oft nur aus reinem Schwab­bel; wenn man Glück hat, finden sich am Boden des Ge­fäßes auch ein paar Fleisch­stücke. Gerne wird auch die Leber mit­gekocht, aber das kam bei mir nicht so gut an, weil sie durch das lange Kochen un­ange­nehm hart wird. Ganz inter­essant schmeckte dagegen ein Khapa aus Schweine­innereien; der Darm ist ja sehr fett­reich und gibt beim Kochen einen Teil davon als sehr intensiv schmecken­des „Öl“ an die Speise ab.

Indian/Garo Food: Meat Achar (pickle with lean pork meat)

Fleisch-Pickle

Indian/Garo Food: Sticky rice (Glutinous rice, minil)

Klebreis

Zum Es­sen wird Reis ge­gessen. In den meisten Garo Hotels wurde einfach Reis im Topf gekocht und manch­mal noch heiß in Bananen­blätter ver­packt, was eine an­geneh­me, krautige Note bewirkt. Aller­dings haben die Garo reis­tech­nisch eine in Süd­asien (so­weit ich weiß) einzig­arti­ge Be­sonder­heit zu bieten, nämlich den Kleb­reis, der hier Minil heißt. Diese aro­mati­sche und extrem klebrige Reis­sorte kenne ich sonst nur aus Thai­land und Indo­nesien, wo er vor allem zu Süß­speisen ver­arbie­tet wird, hier wird er aber ein­fach als er­heb­lich schmack­haftere Alter­nati­ve zum Essen ser­viert. Kleb­reis wird zwar auch im Topf ge­kocht, aber immer in Bananen­blätter por­tio­niert und ver­kauft. Das Blatt dient gleich­zei­tig als Ver­packung für den Reis und als Teller beim Essen.

Am letz­ten Tag machte ich mich zum Chand­mari-Bus­bahn­hof auf und aß ein biß­chen in einer nahen Kneipe, um die Warte­zeit für den Jeep zu über­brücken. Dabei bekam ich ein echtes High­light serviert: Ein Pickle aus Chili, Knob­lauch, gutem ben­gali­schen Senf­öl und magerem Schweine­fleisch. So ein Fleisch­pickle (“meat achar”) habe ich noch nie ge­sehen und auch noch nie etwas davon in der Koch­literatur zu Indien gelesen.


Jomsom Road 4 Williamnagar

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