Landkarte
Tura Siehe auch Shillong Aizawl

Williamnagar (Meghalaya)

Seventh Day Adventist Church in Williamnagar (East Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Adventisten-Kirche

Bamboo Basket (Koksi) in Williamnagar (East Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Diese Bambus-Tragekörbe heißen Koksi

Traditional Bamboo Houses in Williamnagar (East Garo Hills, Meghalaya, North-Eastern India)

Bambushaus in der Peripherie von Williamnagar

Liebe Birgit,

da ich letzte Woche in Tura die Garo-Kultur sehr ver­dünnt er­lebt habe, ent­schied ich mich, eine noch ab­gelege­ne­re Stadt in der Nähe auf­zusu­chen, nämlich William­nagar, die Haupt­stadt des Distriktes East Garo Hills. Ich weiß nicht, wie­viele Aus­länder sich jähr­lich nach Tura ver­irren, aber in William­nagar sind es bestimmt um zwei Größen­ordnun­gen weniger. In meinem Hotel war ich sogar der erste, denn der Be­sitzer wußte nicht, was ein Reise­paß ist und hatte so etwas offen­bar noch nie gesehen.

Abgele­gene Orte haben manch­mal einen wunder­baren Charme, aber hier ist das ehr­lich ge­sagt nicht der Fall. Die „Stadt“ hat einen von ben­gali­schen Händ­lern domi­nierten Kern mit einem großen Markt, und da­rum herum grup­pieren sich Bambus­hütten zu kleinen Clustern in der nur ganz leicht ge­wellten und weit­gehend be­walde­ten Land­schaft. Der Busbahn­hof liegt einen Kilo­meter vom Markt entfernt, und höch­stens ein Viertel dieses Weges ver­läuft inner­halb des „Stadt­gebietes“, der Rest führt durch Wiesen, Brachen und Felder.

Sich auf Eng­lisch mit je­man­dem ver­nünf­tig unter­halten zu können, ist es rares Ver­gnügen; aber einmal ge­lang es mir doch, und zwar im Garten vor einem Bambus­haus, das einer etwas ge­hobene­ren Familie gehört. Wir rede­ten ein biß­chen über Garo-Kultur, vor allem übers Essen, dann er­zähl­te mir die Dame des Hauses von den Ur­wäldern voller wilder Ele­fanten, und schließ­lich fiel auch ein Name, der mich elek­tri­sierte: Eng­lisch pitcher plant bzw. deutsch Kannen­pflanze. Die Kannen­pflanzen sind eine Gat­tung fleisch­fres­sen­der Pflanzen mt dem Ver­breitungs­schwer­punkt Südost­asien, aber ich wußte, daß es in den Khasi Hills auch einen Ver­treter gibt. Nicht nur dort, klärte man mich auf: Auch die Garo kennen diese Pflanze und nennen sie memang koksi, den „Ge­spenster­korb“, weil sich die Deckel der Fallen wie von Geister­hand schlössen, sobald ein Insekt gefangen worden sei (ich zweifle daran).

Mature trap of Nepenthes khasiana (Indian Pitcher Plant) near Baghmara (South Garo Hills)

Eine voll entwickelte bodennahe Falle

Foliage, tendrils and traps of Nepenthes khasiana (Indian Pitcher Plant) near Baghmara (South Garo Hills)

Eine junge, noch nicht geöffnete Falle

Traps of Nepenthes khasiana (Indian Pitcher Plant) near Baghmara (South Garo Hills)

Hochhängende Fallen der fleischfressenden Pflanze Nepenthes khasiana („Kannenpflanze“)

Immature trap of Nepenthes khasiana (Indian Pitcher Plant) near Baghmara (South Garo Hills)

Gruppe von Fallen; die Ranken an den Blättern sind in der linken Bildhälfte gut zu sehen

Der Stand­ort der Kannen­pflanzen liegt nahe Bagh­mara, sieb­zig Kilo­meter von William­nagar ent­fernt; ein Aus­flug mit Rück­kehr am selben Tag wollte also wohl ge­plant sein, wenn er nicht mit einer Nacht am Straßen­rand enden sollte. Ich tauchte um zehn am Busbahn­hof auf und er­fuhr, daß nur zwei Jeeps pro Tag nach Bagh­mara fahren, nämlich um fünf und halb sechs in der Früh. Dafür könne ich aber auch mit dem­selben Jeep wieder zurück­fahren, aber wie lang dann der Auf­enthalt vor Ort maximal aus­fallen würde, wollte mir keiner aus­rechnen. Also fuhr ich am nächsten Tag im Morgen­grauen ins Blaue.

Wie die meis­ten Garos kannte auch der Fahrer des Jeeps die Memang Koksi genau, und wußte auch die Stelle, an der man die Pflanze von der Straße aus sehen kann; es ist nur ein kurzer Ab­schnitt, etwa 100 m lang, an­geb­lich 8 km nörd­lich von Bagh­mara. Dort warf er mich aus dem Jeep und meinte, ich solle in etwa ein­einhalb Stunden rück­fahr­bereit sein. Und genau so kam es dann auch, so daß ich sieben Stunden im Jeep saß, um ein­einhalb Stunden die Pflanze zu sehen.

Nepenthes khasiana, wie das hung­rige Pflänz­lein bota­nisch heißt, ist ein Epi­phyt, also eine Pflanze, die auf einer an­de­ren wächst; das ist in un­se­ren Brei­ten eher selten, aber in tropi­schen Wäldern, wo Kon­kurrenz um Licht herrscht, nutzen viele Pflanzen diese Strategie, um größere Höhe mit gerin­gem Auf­wand zu er­reichen. An­derer­seits ist der tropi­sche Regen­wald ein sehr nähr­stoff­armes Öko­system, und Epi­phyten ohne Kon­takt zum Boden haben es doppelt schwer, an Stick­stoff und Minera­lien zu kommen. Nepenthes hat deshalb den Trick ent­wickelt, ihre Nähr­stoff­bilanz mit der wöchent­lichen Fliege auf­zufet­ten. Obwohl es sechs un­ab­hän­gig ent­stande­ne Grup­pen fleisch­fres­sen­der Pflan­zen gibt, ist Nepenthes die einzige Gat­tung, die aus­schließ­lich in tropi­schen Wäldern wächst; die meisten Carni­voren be­siedeln näm­lich Moore, die sogar noch nähr­stoff­ärmer sind. In Deutsch­land findest Du mit Sonnen­tau und den Wasser­schlauch­gewächsen (Wasser­schlauch und Fett­kraut) mehr carni­vore Gat­tungen als am ganzen indi­schen Subkontinent.

Vor Ort an­gekom­men, machte ich mich auf die Suche nach Pflan­zen in photo­günsti­ger Posi­tion. Die meisten trieben es wie die Trauben und hingen zu hoch, und die Bö­schung zum Wald war viel zu steil, um sie zu er­klim­men. Nur ein paar Einzel­stücke standen so, daß man mit der Kamera nahe heran­kam. Die Fallen sind eigent­lich Teil der Blätter: Die langen, ledrigen, lanzett­lichen Blätter treiben an der Spitze eine Ranke, mit der sie sich wie Erbsen an allem möglichen (auch anderen Ranken) fest­zuhal­ten ver­suchen. Nur in be­sond­ers günsti­gen Fällen ent­wickelt sich an der Spitze der Ranke die Falle, ein auf­recht stehender Schlauch mit einem Deckel, der sich öffnet, sobald die Falle voll aus­gebil­det ist. Diese Gleit­falle ist zu ca. einem Viertel mit klarer, leicht be­weg­licher Flüssig­keit ge­füllt, in der die ge­fange­nen In­sek­ten er­trinken und von dem sie dann aus­gelaugt werden. Die Flüssig­keit ist kein auf­gefan­gener Regen, sondern sie wird von der Pflanze aktiv se­kretiert; deshalb findet man sie auch in jungen, noch durch das Deck­blatt ver­schlos­senen Fallen.

Wenn ich nun zur Garo-Küche, komme, so sei ge­warnt: Was ich nun schreibe, könnte Dich (oder andere Leser) schockieren. Daher wird der folgende Ab­schnitt (für Be­sucher mit funk­tionie­ren­den Browsern) erst nach Be­stäti­gung frei­geschal­tet. Die Garo essen näm­lich Hund, der hier Achak heißt. Zwar nicht alle (manche finden das ekel­haft), aber von den nicht­urban le­benden doch die Mehr­heit. Da es in Tura nur wenige und dabei ziem­lich städtisch geprägte Garo gibt, ist Hund dort kaum zu be­kommen; aber in William­nagar sei das anders, war mir erklärt worden, und das war eigent­lich der Haupt­grund, weshalb diesen Ort über­haupt auf­gesucht habe.

Take-away dog meat in Rongbang, East Garo Hills (Meghalaya, North Eastern India)

… sonst wirst du appetitlich eingetütet …

Cooked dog in Rongbang near Williamnagar, East Garo Hills (Meghalaya, North Eastern India)

… und landest am Bananenblatt!

Village Dog in Waka Akong near Tura, East Garo Hills (Meghalaya, north Eastern India)

Hund, gib acht …

Den ers­ten Hund bekam ich in Rong­bang, einer kleinen An­häu­fung von Kneipen auf halbem Weg zwischen Tura und William­nagar; da an meinem An­reise­tag Sonn­tag war und daher alle Arbeit ruhte (der Fluch des christ­lichen Nord­ostens!), mußte ich später einmal extra hinaus­fahren. Dort gibt es ein “Restau­rant”, das sich auf witz­lose Stan­dard-Küche wie Chow Mein verlegt hat; zwei oder drei “Hotels” mit Garo-Essen; und ein paar ein­fache Verkaufs­stände mit Früchten etc. Ich be­stellte in einem “Hotel” etwas Eß­bares (den Tee dazu mußte ich im “Restau­rant” zu­berei­ten lassen, weil die “Hotels” keine über­zähli­gen Töpfe haben) und fragte natür­lich auch nach Achak. Die Leute lachten und schie­nen die Frage für eher dümm­lich zu halten. Ein des Engli­schen mäch­tiger Gast klärte mich auf: Die Famile hier würde keine Hunde essen oder zum Ver­zehr an­bieten, aber (nach einer Sicher­heits­rück­frage in die Küche) ich könne mir ja gegen­über beim Frucht­stand einen kaufen und hier mit dem Rest des Mahles verzehren.

Schwupps war ich draußen, bei der Frau auf der an­de­ren Straßen­seite. Auf die Frage nach Achak deutete sie auf eine Gruppe kleiner Päck­chen aus Bananen­blättern, von denen ich sofort eines erstand (20 Ru). Alle Garos im “Hotel” woll­ten mir beim Essen zu­sehen; offen­bar zer­störte ich alle ihre Il­lusio­nen über Aus­länder. Und so aß ich meinen ersten Hund: Er war mit einer Un­menge Ingwer und ziem­lich viel Chili trocken ge­schmort und schmeck­te haupt­säch­lich danach; das Fleisch selbst war dunkel und fett­arm wie Rind, aber nicht fasrig son­dern er­innerte von der Kon­sis­tenz her eher an die Lauf­muskula­tur eines Vogels, also weich und ziemlich reich an Kol­lagen, das beim Kochen etwas schlüpfrig wird.

Nun, da ich wußte, wie Hunde­fleisch ver­packt und an­gebo­ten wird, konnte es es auch in Wil­liam­nagar auf­treiben. Dort war es fast bis zum Brei zer­kocht und noch eine Spur schärfer gewürzt. Die spe­ziel­le Ver­packung, die kleine Por­tions­größe und das ganze Drum­herum nähren in mir den Ver­dacht, daß Hunde­fleisch früher eine rituel­le Be­deu­tung für die Garo hatte, die aber seit der Kon­ver­sion zum Christen­tum nur noch als Rudi­ment über­lebt hat. Viel­leicht lehnen auch des­halb manche diese „heid­nische Spe­ziali­tät“ voll­ständig ab.

Garo Food: Fried dry fish (Nakham)

Frittierter Trockenfisch (Nakham)

Garo Food: Salad from onion, chili, tomato, cilantro, lemon juice and Bengali pungent mustard oil

Salat aus Gemüsen und Senföl

In ganz Wil­liam­nagar fand ich nur zwei Garo-Kneipen, die mir Tee zu­berei­ten woll­ten; da­her mußte mein kuli­nari­scher Ex­pedi­tions­hori­zont recht be­schränkt bleiben. Fleisch (Rind, Schwein und Huhn) gab es in vieler­lei Form, einiges da­von etwas in­disch be­ein­flußt in dicker Sauce, an­de­res da­gegen haupt­säch­lich in Wasser gekocht; sehr gut schmeck­te mir ein Salat in meiner Stamm­kneipe, der aus Zwiebel, grünem Chili, Tomaten, Kohl­blättern, Zitronen­saft, Koriander­grün und schar­fem ben­gali­schen Senf­öl her­gestellt wurde und un­gemein er­frischend schmeckte (viel­leicht sollte man Senf­öl auch mal zu euro­päi­schen Salaten pro­bieren?). Auch den Trocken­fisch Nakham bekam ich endlich zu kosten, aber der erwies sich als un­genieß­bar salzig und am­moniak­alisch; da schmeck­ten mir die mani­purischen Fisch­aromen, obwohl auch recht dominant, um Welten besser.


Tura Aizawl

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