Landkarte
Shillong Dharan

Agartala আগরতলা (Tripura)

Main Entrance to the Ujjayanta Mahal Palace, Agartala, Tripura (North East India)

Eingang zum Ujjayanta Mahal

Reflection of the Ujjayanta Mahal Palace in Lakshmi Narayan Sagar lake, Agartala, Tripura (North East India)

Abends spiegelt sich der Ujjayanta Mahal im Lakshmi-Narayan Sagar

Entrance gate to the Ujjayanta Mahal Palace, Agartala, Tripura (North East India)

Das Tor zum Palastkomplex trägt eindeutig britische Züge

Liebe Birgit,

wer reist bitte nach Agartala, der ehe­maligen Haupt­stadt des Fürsten­tums Tripura? Diese kaum bekannte Region am Ende Indiens — fast voll­ständig von Bangla­desch um­schlossen und nur über große Um­wege er­reich­bar — sieht wohl weniger Aus­länder als jeder andere frei zugäng­liche Unions­staat. Der mas­sive Zuzug von hinduisti­schen Bengalen unmittel­bar nach der Teilung Indiens und die gewalt­same Ein­verleibung des Fürsten­staates durch die indische Armee sorgen auch für sozialen und politi­schen Spreng­stoff, und bis in die Neunziger war das Gebiet, wie der ganze Nordosten, von der Außenwelt praktisch isoliert.

Die ursprüng­lichen Be­wohner Tripuras sind die Borok, die von den Indern meist Tripuri genannt werden. Sie sprechen die sino–tibetische Sprache Kok­borok und sind zum größten Teil Hindus; aber in den Städten trifft man sie kaum an. Agartala macht, zumin­dest im Stadt­zentrum, einen rein bengali­schen Ein­druck, und höchstens jeder zehnte Passant auf der Straße zeigt mongoli­sche Gesichts­züge. Die Borok sind praktisch im eigenen Land fremd­beherrscht, und das erklärt auch die sporadisch auf­flammende Gewalt durch separa­tistische Rebellen, die das Rad der Zeit zurück­drehen wollen. Was für ein Unter­schied zu Shillong, wo sich das auto­chthone Berg­volk so erfolg­reich inmitten der indischen Kultur behauptet!

Fig tree strangling a brick temple in Agartala, Tripura (North East India)

Im Griff der Würgfeige

Group of defunct temples near Battala Market, Agartala, Tripura (North East India)

Gruppe von verfallenden Tempelchen

Fish mongers at Battala Market, Agartala, Tripura (North East India)

Die Fischhalle im Battala-Markt riecht genauso, wie man es sich erwartet

An die Glanz­zeiten des Borok-Imperiums erinnert vor allem der Stadt­palast Ujjayanta Mahal, der heute Sitz der Regierung ist und daher nur müh­sam besich­tigt werden kann. An seiner Süd­seite liegen zwei recht­eckige Teiche, in denen sich das weiße Gebäude recht attraktiv spiegelt, und abends bietet er durch eine beschei­denen Beleuch­tung einen ganz impressiven Anblick. Sonst gibt es in der Stadt nur noch Klasse-B-Sehens­würdigkeiten, darunter ein kleines Feld mit halb­verfallenen Shiva-Tempeln, aus denen Würg­feigen und andere Bäume sprießen. Das erinnert ein bißchen an den berühmten Tempel Ta Prohm in der Tempel­gruppe um Angkor Wat in Kambodscha.

Warum be­suche ich diese Stadt, die von Shillong in einer nerven- und hintern­aufreiben­den 23-stün­digen Bus­tour er­reicht wird? Agartala liegt nur ein paar Kilo­meter von der Grenze zu Bangla­desh entfernt, und da es hier ein Konsulat mit Visa-Service gibt, hielt ich es für eine gute Idee, Indien hier Lebe­wohl zu sagen; meine Aufenthalts­erlaubnis würde mir gerade 5 Tage in Agartala gestatten, und dann würde ich eben am letzten Tag der Gültigkeit über die Grenze hüpfen. Aber es kam anders: Dieses Visa Office vergibt nämlich nur Kurzzeit-Visa, die nach­träg­lich nicht ver­längert werden können; ich darf aber frühestens in zwei Monaten wieder nach Indien, und von Bangladesh kommt man sonst per Landweg nirgendwo hin. Ich solle mir eben ein Visum in Kolkata holen, lautete der wenig hilfreiche Vorschlag des Konsulats­personals. Auf meinen Einwand, ich hätte aber nur noch fünf Tage in Indien, und allein der Weg nach Kolkata würde mindestens zwei dauern, meinte der Chefgurken­trüppler, das sei doch kein Problem, ich solle eben fliegen. Meine Sympathie für Bangladesh fiel blitz­artig unter die Temperatur des kosmischen Mikrowellen­hintergrundes.

Drei Stun­den später hatte ich ein emer­gency ticket der indi­schen Eisen­bahn, das mich über Nacht nach Lumding in Assam bringt; von dort sollten es (nach reiner Fahrzeit) nicht viel mehr als 15 Stunden bis an die nepalische Grenze sein. Es sieht ganz so aus, als ob ich die nächsten zwei Monate im Himalay verbringen werde, winterbedingt bei glänzender Fernsicht und klirrender Kälte.

Nach diesem angebrochenen Tag, den ich mit der Besichtigung Agartalas verbrachte, blieb mir nur noch ein weiterer, ehe ich auf­brechen muß. Es gibt zwei berühmte Sehens­würdigkeiten in der Umgebung: Die Tempel­stadt Udaipur und die Palast­anlage Neermahal. Ich habe mich für zweiteres entschieden, und es nicht bereut.

Water Palace Neer-Mahal in Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Der Neermahal in Melagarh wirkt wie nicht von dieser Welt

Neermahal Water Palace is located in Rudra Sagar Lake, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Der Rudra Sagar wächst langsam zu

Boat at Rudra Sagar approaching Neermahal Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Die Anfahrt per Boot hat etwas Magisches

Boats aproaching Neermahal, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Sagte ich „Magisch“?

Garden inside Neer-Mahal, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Garten innerhalb des Neermahal

Small towers at Neermahal, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Türmchen über Türmchen

Eine ein­einhalb­stündige Reise im über­füllten Sammel­jeep führt vom Bus­bahnhof in Agartala in eine Klein­stadt namens Mela­garh; von dort marschiert man keine zehn Minuten, bis man an einen trüben, zur Hälfte von Wasser­hyazinthen und schwim­menden Gärten bedeckten See kommt. In der Mitte dieses Rudra Sagar schimmert ein rot–weißer Palast, der in diesem idyllischen Ambiente ein Bild von geradezu über­irdischer Schön­heit ergibt. Der Ein­druck wird noch gesteigert, wenn man sich per Boot auf den Weg zur Anlege­stelle in der Mitte der Palast­fassade macht und der Nir-Mahal („Wasser­palast“) langsam zu seiner vollen Größe wächst.

Garden inside Nir-Mahal, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Garten innerhalb des Nirmahal

Der lang­gezogene Gebäude­komplex wurde erst in den Dreißigern gebaut, ist aber heute völlig leer und ver­lassen; nur die Garten­anlagen werden noch gepflegt. So kann man zusammen mit einem Haufen Inlands­touristen, meist Bengalen aus dem oberen Mittel­stand, über die blendend weiße Dach­landschaft spazieren und Photos von romanti­schen En­sembles aus Türmchen und Chattris vor dem Hinter­grund des Sees oder des tief­blauen Himmels aufnehmen.

Small towers at Nirmahal, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

Türmchen über Türmchen

Oversized Railway station, Agartala, Tripura (North East India)

An diesem Bahnhof verkehren ca. 4 Züge pro Tag

Bereits am nächsten Tag mußte ich die Stadt und in weite­rer Folge Indien ver­lassen. Der riesige, schnee­weiße Bahn­hof ist erst zwei Jahre alt und wurde für ein Viel­faches des tat­sächlichen Personen­aufkommens geplant — aber bisher verkehrt hier nur eine Hand­voll Züge pro Tag. Nerven­tötend langsam ruppeln sie auf der Ein-Meter-Spur ins östliche Assam; die weiteste Verbindung führt in unglaub­lichen 20 Stunden nach Lumding, immer noch weit im Osten von Guwahati. Wer aus Nordost­indien heraus­will (so wie ich), der muß dazu mindestens zweimal umsteigen. Aber da selbst Inder nur endlich leidens­fähig sind, nehmen viele lieber den Bus.

Zwei Tage in Agartala sind eigent­lich für alles zu wenig; ins­besondere konnte ich praktisch nichts über die Kultur, Lebens­art und Küche der Borok heraus­finden. Das ist wirklich schade, ließ sich aber angesichts des bengali­schen Über­gewichtes in der Stadt nicht ver­meiden. Ob das, was ich hier ge­gessen habe, für die bengali­sche Küche typisch war, muß ich auch offen­lassen; da ich ja in abseh­barer Zeit nicht nach Bangla­desh kommen werde, werde ich wohl noch ziemlich lang auf garantiert echte bengalische Geschmacks­erlebnisse warten müssen. Mein letztes Essen, ein Biryani-artig gekochter Rundkorn­reis mit Hasel­nüssen, Rosinen und einer Extra­portion Zimt und Nelken, widersprach jedenfalls allem, was ich über die Bengali-Küche je gelesen habe, was aber ausge­sprochen wohl­schmeckend.

Indian / Bengali food: Fried fish

… und so serviert man sie.

Local fisherman, Melagarh, near Agartala, Tripura (North East India)

So fängt man Fische …

Der Aus­flug zum Neer­mahal brach­te mir die Ge­legen­heit, bengali­schen Fisch zu pro­­bieren. Bengalen essen viel Fisch, der in den zahl­reichen Flüssen und Teichen offenbar prächtig gedeiht (oder das zumindest bis zum Beginn des Industrie­zeitalters tat). Ganz knapp an der Abfahrts­stelle der Boote zum Palast konnte ich einen lokalen Fischer be­obachten, wie er in einem trüben Weiher mit dem Käscher auf Fang ging, und solcher­art von der Frische des Materials überzeugt, versuchte ich dann zwei Ecken weiter in einem Restaurant den fried fish. Er erwies sich als eßbar, wenn­gleich etwas phantasie­los zubereitet: Gewürzt, einge­mehlt, gebraten und mit ein paar Röst­zwiebeln belegt.

Damit ist Indien zu Ende, und den nächsten Brief erhältst Du wieder einmal aus dem Himalaya; mit Verspätungen muß angesichts der stein­zeitlichen Infra­struktur und den winterlichen Bedingungen in den ostnepalischen Gebirgsdörfern gerechnet werden.

P.S.: Zwei Jahre später kam ich dann doch noch nach Kolkata, erhielt ein Bangladesh-Visum und machte mich in das unbekannte Land auf.


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