Landkarte
Kohima 1 Siehe auch Shillong, Aizawl 2 Imphal

Kohima 2 (Nagaland)

Naga Konyak tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Ein Haus der Konyak

Naga Phom tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Ein Haus der Phom

Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Das Touristendorf Kisama

Liebe Birgit,

wie bereits letztes Mal fest­gestellt, bietet die Stadt Kohima nicht allzu­viele Sehens­würdig­keiten im tradi­tionellen Sinn, auch wenn man viele Tage bei inter­essan­ten Gesprächen mit Nagas ver­bringen kann. Die Leute freuen sich ehrlich über jeden Be­sucher, der ihre jahrzehnte­lange Iso­lation be­endet, und sie haben erstaun­lich durch­dachte und ausge­gorene Ansichten zur aktuellen politischen Situation: Niemand ist allzu glücklich mit der Lage am Rand eines Riesen­staates mit ganz anderer Kultur, aber alle sind ernst­haft dafür, aus der Situation das Beste zu machen. Extremen Separa­tismus habe ich nirgendwo erlebt, und mit Burma oder China will man politisch auch nicht viel zu tun haben; außerdem heben alle die positive Entwicklung der letzten Jahre hervor. Dieser Pragma­tismus hebt sich wohltuend vom Fana­tismus vieler vor allem junger Kashmiri ab, die mir bei meinem letzten Besuch in Srinagar ganz offen erklärt haben, daß alles außer einem muslimischen und unabhängigen Kashmir langfristig unakzeptabel sei.

Tourismus scheint in den Zukunfts­plänen eine große Rolle zu spielen. Inlands­touristen gehören schon seit vielen Jahren zum Alltag, aber auch Aus­länder werden schon seit einigen Jahren immer häufiger gesehen. Mit der Öffnung des Landes sind leider nicht soviele Traveller wie erhofft heran­geströmt — mich wundert das nicht, denn selbst die offizielle Webseite der Tourismus­behörde von Nagaland hat die Aufhebung der Permit-Pflicht nicht mit­bekommen (Update: Ende 2013 dann doch). So etwas spricht sich eben nur langsam quer durch die Departments durch.

Bereits vor Jahren hat man damit be­gon­nen, so­genannte tourist villages zu bauen, ge­wisser­maßen eine Kom­bi­na­tion aus einem Themen­park und einem Freilicht­museum. Eines davon mit Namen Kisama liegt nur ein paar Kilo­meter von Kohima entfernt und ist leicht per Sammel­taxi zu erreichen. Wegen der Weihnachts­ferien war es vollkommen verlassen, aber man konnte zumindest durch die Anlage spazieren und die einzelnen Häuser besichtigen, die jeweils im Stile eines einzelnen Naga-Stammes errichtet sind.

Naga Pochury  tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Ein Haus der Pochury

Naga Garo Nokpante  tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Dieses besonders prächtige Haus gehört zum Stamm der Garo Nokpante

Mithun (Bos frontalis) skull at Naga Chang tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Mithun-Schädel am Chang-Haus

Naga Kachari Nohdrang tribal house, in Kisama Naga Tourist Village, near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Ein Haus der Kachari Nohdrang

Wieviele die­ser Stäm­me es nun genau gibt, scheint nie­mand zu wissen, aber es dürften allein in Indien unge­fähr zwanzig sein. Ihre Sprachen sind drama­tisch unter­schied­lich — seit Tagen bin ich damit beschäf­tigt, Gewürz­namen in ver­schie­denen Sprachen zu re­cher­chieren, und daher kann ich die baby­lonische Sprach­verwirrung am Beispiel von Chili il­lustrie­ren: Angami (das ist die in Kohima domi­nierende Sprache) chüsi, Ao mersü, Khezha tsüche, Lotha machi, Mao kosiisii, Rongmei ihansu und Tangkhul kasathei. Ich finde es wirklich ein kleines Wunder, daß alle diese unter­schied­lichen Stämme sich als gemeinsame Nation begreifen können!

Die Naga-Häuser sind aus Holz oder Bambus er­rich­tet und mit Stroh gedeckt — letzte­res gilt zu­min­dest für die Touristen­variante, in echten Dörfern habe ich da­gegen meistens Blech­dächer ge­sehen, was viel­leicht der Nähe zur ent­wickelten Haupt­stadt ge­schul­det ist. Sie sind an der Außen­seite reich mit Schnitze­reien oder Malereien ge­schmückt und sehen wirklich at­trak­tiv aus, auch wenn dummer­weise der Eingang immer im Schatten zu liegen scheint, so daß die Farben auf den Photos nicht richtig zur Geltung kommen. Meistens sieht man auch Schädel des naga­ländischen Wappen­tiers: Das Mithun ist ein mas­siges, nur halb domesti­ziertes Rind, das wahr­schein­lich aus einer Kreuzung zwischen dem Haus­rind und dem indi­schen Wild­rind Gaur hervorgegangen ist.

Jedes Jahr An­fang De­zem­ber ist Kisama Schau­platz des aus­ufern­den Horn­bill Festival, einer Art nationalen Fest­woche mit angeb­lich sehr impres­siven Ver­anstal­tungen — leider habe ich es um ein paar Wochen ver­paßt. Der Horn­bill oder Nashorn­vogel ist das zweite National­tier und wird vor allem wegen seiner Federn geschätzt, die ähnlich wie bei manchen Prärie-Indianern als Schmuck der Krieger gebraucht wurden. Wenn man nur die urbanen Nagas von Kohima kennt, kann man sich schwer vorstellen, daß sie Tänze mit Krieger­schmuck und Körper­bemalung auf­führen, aber mehrere Leute haben mir versichert, daß sei nicht einfach touristische Brauchtums­pflege, sondern echte, gelebte Tradition, zumindest unter den Bewohnern der Dörfer. Vielleicht habe ich ja irgendwann einmal Gelegenheit, das zu sehen.

Christmas decoration in Union Baptist Church, in Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Weihnachtssterne und Weihnachts­baum in der Union Baptist Church

Naga Angami residence house in Kigwema near Kohima, Nagaland, North-Eastern India

So sieht ein echtes Angami-Haus aus

Wandert man auf der bes­chau­lichen „Haupt­straße“ von Kisama ein paar Kilo­meter weiter, gelangt man in ein Dorf namens Kigwema, das sich auf einem Hang von der Straße ab­wärts er­streckt. Dort sieht man echte, alte Häuser der Angami Naga, die wirk­lich seit Jahr­zehnten bewohnt sind. Die Blech­dächer stam­men angeb­lich noch aus dem Zweiten Welt­krieg, genauer gesagt aus Kriegs­material, das nach der Schlacht von Kohima zurück­blieb und den Bewoh­nern von den Briten hinter­lassen wurde. Zwischen den ver­witterten Holz­häusern führen düster–schat­tige Pfade und Stein­stufen zum Orts­kern, und die motorverkehrs­freie Stille beruhigt das Gemüt, während man auf die teil­weise ter­ras­sierten, zum Teil aber auch be­walde­ten Hänge hinabblickt.

Zurück nach Kohima und zum Weih­nachts­fest. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß die Baptist Union Church am Christ­tag einen engli­schen Gottes­dienst anbietet, und tauchte dort punktlich um drei Uhr nach­mittags auf — als erster. Eine Viertel­stunde später waren knapp zehn Inter­essenten erschienen, die meisten davon junge Frauen orts­fremder Stämme, die in Kohima arbeiten oder studieren; in der riesigen Kirchen­halle wirkte das Häuf­lein geradezu jämmer­lich verlassen. Der eben­falls ziemlich junge Pfarrer und seine Frau geleiteten uns dann in einen kleinen Raum im Ober­geschoß, wo wir zu­nächst ein biß­chen plau­der­ten; klarer­weise waren alle sehr am aus­ländischen Gast interessiert, aber anders als oft unter Indern wirkte das „Verhör“ überhaupt nicht peinlich. Danach wurde gesungen und der Pfarrer hielt eine vom Beginn des Johannes-Evangeliums inspirierte Predigt, die fast als histo­rischer Vortrag über die politi­sche Situation der Juden zur Zeit der Geburt Jesu hätte durchg­ehen können. Sodann schritten wir zum wesentlichen: Dem Buffet.

Authentic Naga food in Chingtsuong restaurant in Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Das Restaurant Chingtsuong

Naga cuisine: Bamboo pork

Bambus-Schwein

Naga cuisine: Pork with Axuni (fermented soybean past) and vegetable chutney

Schweinebauch mit Axuni, dazu würziges Gemüse

Christmas feast Naga style in Union Baptist Church, in Kohima, Nagaland, North-Eastern India

Weinachtsbüffet in der Union Baptist Church

Die Naga-Küche scheint mir durch dreier­lei zu cha­rak­ter­sieren: Schwein, Fer­menta­tions­aromen und scharfe Saucen. Bei Schwein bevor­zugen die Nagas wie alle kuli­narisch ver­ständigen Menschen den Bauch. Fer­menta­tions­aromen kommen vor allem vom Fisch, den man am Markt in un­zähligen unter­schied­lich stinkenden Varianten kaufen kann, außerdem von ein­gelegten Bambus­sprossen und Soja­produkten. Die scharfen Saucen enthalten oft den berühmten extra­scharfen „Königs­chili“, der bei uns eher unter seinem assamesi­schen Namen Naga Jolokia [sprich: Naga Jolokia] „Naga-Chili“ bekannt ist, und fast immer irgendeine Art von Fisch­aroma; beim Weihnachts­gelage gab es eine inter­essante Variante auf der Basis von zer­quetschten Kartoffeln mit kleinen Stücken grätiger aber intensiv schmeckender Süßwasserfische.

Als Tourist speist man am besten im Restau­rant Ching­tsuong, ganz knapp am Center Point von Kohima gelegen. Mit seiner liebe­vollen Deko­ration aus Bambus und den zahl­reichen Fellen, Panzern und Schnäbeln diverser naga­ländi­scher Wild­tiere wirkt es eher wie eine typische Touristen­falle, aber dieser Ein­druck täuscht: Man bekommt dort im Wochen­rhythmus ver­schie­dene schmack­hafte Gerichte der authentischen Naga-Küche: Fix­punkte sind Reis auf einem Bananen­blatt, eine scharfe Sauce und die klare Einlege­flüssigkeit von Bambus­sprossen, und dazu kommt dann noch ein Haupt­gericht vom Schwein, Fisch oder Huhn. Auf Vor­bestellung werden auch besondere Speziali­täten zubereitet, und so kam ich in den Genuß eines Schweine­bauches, der durch das langsame Garen in einem ver­siegelten Bambus­stamm ganz besonders konzentriert schmeckte (Warnung: Riesen­portion, am besten zwei Freunde mitbringen, und das Wort Cholesterin nicht einmal denken).

Wegen mei­nes Inter­esses an der Naga-Küche wurde ich auch in der Küche herum­geführt und konnte die einge­legten Bambus­sprossen begut­achten, die mit dem zitronen­duftenden Würz­kraut Niepfü (Elsholtzia blanda) auf­gepeppt werden, oder die entfernt wie Gorgonzola riechende Bohnen­paste Axuni in Augen- und Nasen­schein nehmen. Der Junior­chef erzählte mir, daß die Naga auch eine Variante von Sichuan­pfeffer verwenden, allerdings in sehr kleinen Mengen und nicht zu vergleichen mit den chinesi­schen -Orgien, von denen ich Dir ja wiederholt aus Kathmandu berichtet habe; die Bäume wachsen wild im Dschungel und lassen sich offenbar nicht so ohne weiteres besichtigen.

Aus Angst, daß man mich nächstes Jahr vielleicht nicht mehr einreisen läßt, breche ich morgen nach Imphal auf; aber wenn alles gutgeht, komme ich in ca. 2 Wochen wieder nach Nagaland zurück.


Kohima 1 Imphal

Baptisten, Imfāl, Imphal, Indien, indischer Subkontinent, kasathei, kasāthei, Kashmir, Kashmiri, Kaśmīr, Kaśmīrī, Kāṭhmāṇḍau, Kathmandu, Kisama, Kohima, kulinarische Reiseberichte, Naga, Nāgā, Nāgā Jalakīẏā, Naga Jolokia, Nāgā Jôlôkiā, Naga-Küche, Nagas, Nāgās, Naga-Touristendorf, Reisebriefe, Srinagar, Śrīnagar, Weihnachten