Landkarte
  Siehe auch: Srinagar 2 Jammu

Srinagar شرینگر (Jammu & Kashmir)

Houseboats at Dal Lake, Srinagar

Die Hausboot-Kolonie am Dal-See

View from Dal Lake to Kashmiri montains, Srinagar

Blick vom Dal-See zu den verschneiten Bergen

Interior of Houseboat, Srinagar, Kashmir

Inneneinrichtung eines Hausbootes

Shah Hamadan Mosque, Srinagar, Kashmir

Blick über den Jhelum-Fluß zum Shah Hamadan Khanqah, einem Sufi-Pilgerheim mit angeschlossener Moschee

Naqashband Sahib Sufi Complex, Srinagar, Kashmir

Teil des Sufi-Komplexes Naqashband Sahib

Liebe Birgit,  

ich melde mich heute aus Srinagar, der Sommer­hauptstadt des nörd­lichsten indischen Bundes­staates. Hier ist es bitter kalt; kein Wunder, schrieb ich doch gerade „Sommer-Hauptstadt“, und nur Narren und Ausländer kommen im Winter hierher. Besonders in der Nacht ist es in den schlecht isolierten Haus­booten kaum auszuhalten. Ohne meinen geliebten Daunen­schlafsack Made in Germany wären die Nächte wohl tödlich hier.

Ich höre Dich schon fragen: „Haus­boot? Ist er denn vor Anker ge­gangen?“ — aber nein, so schlimm ist es nicht. Sri­nagar ist seit Jahr­hunderten ein Touristen­paradies, und aus einer komischen histori­schen Laune heraus hat es sich einge­bürgert, Touristen in schön orienta­lisch ein­gerich­teten Haus­booten unter­zubringen. Daran war wohl ein lokaler Maharaja schuld, der den Zustrom von hitzemüden britischen Offizieren in sein kleines Himalaya-Königreich verhindern wollte und seinen Untertanen verbot, Grund und Boden an Ausländer zu verkaufen oder vermieten. Es sagt viel über die Geschäfts­tüchtigkeit der Kashmiri aus, daß sie sogleich auf den Ausweg verfielen, Hausboote zu bauen und darin Touristen zu beherbergen.

Diese Geschichte mag auch gut erfunden sein, aber die Hausboote sind tatsächlich in einem unbeschreiblich altmodischen Mix aus kolonial, orientalisch und unbequem eingerichtet. Dicke Vorhänge filtern jedes Tageslicht weg, dafür brennen die Glühbirnen mit der Intensität unterernährter Kerzenflammen; immer vorausgesetzt, der Strom ist mal nicht ausgefallen, denn während der drei täglichen Stromausfälle springen parallel auf allen Hausbooten knatternde Dieselgeneratoren ein, die klingen (und riechen) wie ein Rasen­mäher, die aber nur einen Teil der zahllosen unabhängigen Stromkreise bedienen können; man hat dann also ein superschwaches Licht am Gang, aber gar keines im Bad.

Prayer Hall in the Great Mosque (Jamia Masjid) in Srinagar, Kashmir

Gebetsraum in der Jamia Masjid

Friday Mosque (Jamia Masjid) in Srinagar, Kashmir

Die Freitagsmosche, Jamia Masjid

Die meisten Haus­boote liegen im großen Dal-See, der auch als riesiges Hydro­kultur-Anbau­gebiet dient; gedüngt von den hausboot­bewohnenden Touristen. Zwischen dem Ufer und den Booten verkehren kleine Ruder­boote (Shikara), mit denen man auch eine Art schwimmende Stadt­besichtigung entlang der zahlreichen Wasser­wege in der Stadt machen kann.

Die Stadt bietet eine Anzahl von Sehens­würdigkeiten, von mogulischen Garten­anlagen über Sufi-Schreine bis zur Großen Moschee, die freitags Platz für über 30000 Gläubige bietet. Übrigens kann man auch das Grab Jesu Christi (oder zumindest, was einige dafür halten) besichtigen: Als ich vor 13 Jahren schon einmal hier war, war dieser so­genannte Rozabal-Schrein offen, aber jetzt ist er immer abgesperrt. Auf der Suche nach dem Grab fragte ich einen Händler danach und stieß auf einen ungewöhnlich skeptischen Geist. Er meinte nämlich “You may think so, but Allah knows better.” Ich fand das erstaunlich, weil man in Kashmir sonst recht reliquiengläubig ist, immerhin kann man auch ein Barthaar des Propheten in der Hazratbal-Moschee und angeblich auch das Grab Adams auf einem Hügel in der Peripherie der Stadt bestaunen.

Old City, Srinagar, Kashmir

Die Altstadt ist wirklich baufällig

House in the traditional Old City of Srinaga, Kashmir (India)

Altstadthaus

Es ist aber auch ganz wunderbar, einfach durch die Altstadt zu spazieren. Srinagar ist schön, aber un­glaublich wurm­stichig: Nach Jahr­zehnten der täglichen Bomben­anschläge ist das Stadt­bild ziemlich ver­nachlässigt, und wenn nun auch seit ein paar Jahren Ruhe herrscht, so fehlt doch der Wille (oder das Geld) für eine groß­flächige Renovierung. Da sage ich nur „Gott bzw. Allah sei Dank“, denn den motten­zerfressenen Charme möchte ich hier nicht missen.

Sieht man mal davon ab, daß man von unzähligen Souvenirhändlern mit “very cheap prices” für Teppiche, Papier­machée-Arbeiten, Safran, Juwelen und tibetischen Schmuck genervt wird, so ist es in der Altstadt ungefährlich und angenehm. Rund um die große Haupt­moschee, die Jamia Masjid, erstreckt sich ein riesiges Basarviertel voller Händler, fliegender Teeverkäufer und winziger Restaurants, die oft nur aus einem Loch in der Hausfassade und einigen Töpfen bestehen. Obwohl ich in meinem Hausboot Vollpension genieße, macht es doch auch Spaß, im Marktviertel auf kulinarische Erkundungstour zu gehen.

Stichwort Safran: In dem kleinen Dorf Pampore nahe Srinagar liegt das einzige Safrananbaugebiet Indiens; vielleicht schaffe ich es ja im Herbst, zur Ernte nochmals vorbeizukommen. Der kashmirische Safran hat eigentlich eine gute Reputation, aber die mir ange­botenen Qualitäten waren ziemlich mau und können keinesfalls mit dem iranischen Safran mithalten, den man in Berlin (zugegebenermaßen für den fünffachen Preis) überall kaufen kann.

Rista (Kashmiri meat balls)

Ristah

Rogan Josh (Kashmiri mutton stew)

Rogan Josh

Kashmirische Küche ist muslimisch und relativ fleischlastig; zumindest, wenn man es sich leisten kann. Rogan Josh gilt als das National­gericht Kashmirs: Das ist Lamm­fleisch, das in einer dünnen, joghurt­basierten Sauce geschmort wird. Es ist intensiv gewürzt und knallrot, aber nicht etwa wegen Tomaten, sondern wegen Hahnenkamm, den wir als Zierpflanze kennen, und getrockneter Chilies, die in Kashmir in herausragender Qualität angebaut werden. Die haben eine herrlich rote Paprikafarbe und riechen wie ungarischer Rosenpaprika, schmecken aber herzerfrischend scharf. Jedenfalls ist kashmirisches Rogan Josh nicht mit dem traurigen Papp zu vergleichen, den man in deutschen Indien-Restaurants unter diesem Namen bekommt.

Die gleiche Gar­flüssigkeit wie bei Rogan Josh kommt auch bei einer wei­teren Spe­ziali­tät Kashmirs zum Einsatz: Rista. Dabei handelt es sich um kleine Bäll­chen aus feinst ge­stampften Lamm­fleisch, das mit Ei zu einem festen Teig verknetet wird. Das Fleisch wird wirklich nicht gewolft, sondern in einer Art hohem Mörser gestampft, bis es ganz homogen ist. Nicht selten garen Rogan Josh und Rista sogar in einem Topf gemein­sam vor sich hin, denn Platz ist in diesen Mikro-Restaurants natürlich Mangel­ware.

Yakni (Kashmiri mild lamb stew)

Yakni

Kashmiri Achar (fermented pickle Srinagar style)

Kashmir Ochar

Eine eigen­artige Spezialität ist das Kashmir Ochar, eine lokale Variation der vielen Sorten pikant eingelegten Gemüses, die man überall in Indien zubereitet (Pickle, Achar). Während Pickles sonst fast überall gekocht und ölig sind, besteht die Kashmir-Version aus grob geschnittenem Wurzel- und Blattgemüse, das mit Knoblauch, Ingwer und viel Chili gewürzt und milchsauer fermentiert wird. Das Resultat schmeckt ein bißchen wie koreanisches Kim-Chi und ist eine echte Ausnahme in Indien, wo Fermentation eher mit Verfall gleichgesetzt wird.

Wem das al­les zu scharf ist, dem bietet sich mit Yakni eine mild–aromatische Alter­native. Dieses chili­freie Schmor­gericht besteht ebenfalls aus Lamm und Joghurt, wird aber nur dezent mit Ingwer, Zimt, Cardamom und Fenchel gewürzt, die in einem ersten Arbeitsgang mit Zwiebeln angebraten werden, um ihr Aroma optimal zu entwickeln.

Während Indien ja nicht unbedingt ein Hort der Trinkkultur ist, so hat Kashmir tatsächlich eine lokale Getränke-Spezialität zu bieten: Grüntee mit Cardamom, manchmal auch Zimt und Nelken; eigenartigerweise heißt es Kawah, was ja sonst überall „Kaffee“ bedeutet. Wie in Indien nicht anders zu erwarten, werden Tee, Gewürze und Zucker gemeinsam gekocht und in kleinen Schälchen nach dem Essen genossen; das einzige Getränk zum Essen ist Wasser, und davor schrecke ich doch zurück, da sich mein Magen sich ungeachtet der 13 Jahre seit meinem letzten Besuch noch genau an die Tödlichkeit dieses Getränkes erinnern kann.

Nächste Woche geht es in die hinduistische Tempelstadt Jammu, dort sollte es auch wärmer sein.

Liebe Grüße aus Srinagar


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