Landkarte
Jumla Dhulikhel

Karnali Highway 3 कर्णाली राजमार्ग (Nepal)

Nepali Food: Simi (boiled red beans)

Gekochte rote Bohnen (Simi)

Temple near Jumla, Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Tempel am Straßenrand

Jumla and snow-capped mountain backdrop, Western Nepal

Goodbye, Jumla!

Liebe Birgit,

ein offen­sicht­licher Nach­teil von Jumla ist es, daß man es nur auf einem Weg er­rei­chen kann; zur Ab­fahrt muß man also noch­mals dieselbe Straße nehmen, wenn man nicht flie­gen will. Nach meinen an­stren­genden Er­fah­rungen mit dem Karnali Rajmarg, dem „Königs­weg der Karnali-Zone“, war mir klar, daß ich auch für den Rück­weg nach Surkhet viel Nerven und Sitz­fleisch ein­kalku­lieren müßte. Würde mich wieder ein Streik in irgend­einem Gebirgs­kaff fest­nageln, oder würden wir gleich ganz ab­stürzen, so wie das letztes Jahr einem Bus mit vierzig Passa­gieren passiert sein soll?

Also kaufte ich mir ein Ticket für den näch­sten Tag, tauchte dann pflicht­schul­digst um 8:30 morgens am Bus­park auf — dort wurde mir gesagt, daß der Morgen­bus heute aus­falle; ich solle lieber um 12:00 wieder­kom­men, dann könne ich mit dem Mit­tags­bus mit­fahren. Ich früh­stückte er­staun­lich würzige rote Bohnen (Simi, das sind die­selben, die in Indien Rajma heißen) und stapfte miß­mutig in der Um­gebung des Bus­parks herum, bis ich mir einen Plan zurecht­gelegt hatte, was ich mit dem an­ge­broche­nen Vor­mittag an­fangen wollte. Dann spazierte ich auf dem Weg Richtung Orts­zentrum. Plötz­lich kam mir ein wild hupender Bus ent­gegen. So etwas nimmt man in Süd­asien eigentlich gar nicht zur Kenntnis, weil dort immer alle motiv­frei vor sich hin­tuten, in diesem Fall wollte mir der Fahrer aber zu ver­stehen geben, daß ich ein­steigen soll, denn er hatte sich offen­bar ent­schie­den, doch noch abzufahren.

Really bad road , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

… den Karnali-Highway bestehen …

Damaged truck , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

… oder ist die Zukunft düster?

Bus designed to travel on Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Wird dieser Bus …

Der Bus war ein klei­nes und ziem­lich klapp­riges Modell. Das ist selbst in Nepal ganz und gar nicht zu er­war­ten: Auch wenn auf den ersten Blick alle Bus­se tech­nisch mangel­haft wirken, so of­fen­baren sich bei ge­naue­rem Hin­sehen große Unter­schie­de. Die jäm­mer­lichsten Model­le tun ihren Dienst auf Kurz­strecken, aber längere Routen werden meist mit größeren Bus­sen in bes­serem Wartungs­zu­stand be­dient. An diesem in gift­grüner Warn­farbe kolo­rier­ten Bus schien aber alles „Vor­sicht, bitte nur mit viel Gott­vertrauen ein­steigen“ zu schreien: Die vielen Beulen und Schram­men hätten Romane von geschei­terten fahr­techni­schen Kunst­stücken er­zählen können, die Reifen wirkten wie aus einem histo­rischen Museum des 19. Jahr­hunderts geklaut, und die Fenster ent­ziehen sich mangels Existenz jeder Be­schrei­bung. Auch daß der Gang zwischen den Sitzen dicht mit schmutzi­gen Reserve­reifen be­legt war, konnte die Stim­mung nicht heben.

Bald war der Bus ei­niger­maßen voll, und wir fuhren ab. Nach einer Viertel­stunde blieb er auf freier Strecke stehen, und die vier­köpfi­ge Bus­crew begann damit, einen Reifen zu wech­seln. Damit schie­nen sie Übung zu haben, denn nach 20 Minu­ten war der Job er­le­digt. Mir gab das die Ge­legen­heit, ein paar Photos von einer inter­essan­ten Pflanze zu schießen, die hier massen­weise am Weges­rand wächst, die ich aber noch nie zuvor gesehen hatte: Ephedra, eine Gattung von Pflanzen, die in Europa durch das Meer­träubel (E. distachya) ver­treten ist.

Nepali food: Parath stuffed with sautéed mustard green (sag)

Paratha wird hier auf einer heißen Platte gegart

Hindu festival in Nagma , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Fest in Nangma

Himalaya Ephedra gerardiana with flowers, near Jumla, Western Nepal

Blühende Ephedra

Ephedra ge­hört zu den nackt­sami­gen Pflan­zen, ist also mit Fichte und Co. enger ver­wandt als mit den ech­ten Blüten­pflan­zen. Das hier Kag­charo genannte Gewächs bildet Büsche aus kahlen Stengeln, die gerade un­auf­fäl­lige, gelb­liche Blüten tragen, und sieht aus der Ferne wie ein Ginster aus. Alle Arten ent­halten leicht stimu­lierende Alka­loide wie Ephedrin und werden daher ge­legent­lich als Guten­morgen­getränk oder Ar­beits­flüssig­keit kon­sumiert (bekannt unter anderem als „Mor­monen­tee“, weil Ephedra das einzige für Mor­monen erlaubte Genuß­mittel dar­stellt). Die in den Veden erwähnte mythi­sche Droge Soma wird manch­mal als Ephedra-Zu­berei­tung inter­pre­tiert, da die Stamm­pflanze im Veda als „blattlos“ be­zeich­net wird, was gut paßt. An­derer­seits heißt sie auch „stengel­los“, und das ist weniger plau­sibel, weil Ephedra eigentlich nur aus Stengeln und viel­leicht noch samen­tragen­den kleinen Zapfen be­steht; außer­dem erzeugt Ephedra keine beson­ders inten­siven Ef­fekte, während die Be­schrei­bungen von Soma-Genuß eher in Richtung Hal­luzino­gen oder zu­mindest starkes Auf­putsch­mittel gehen. Viel­leicht war es doch Fliegen­pilz, oder eine Mischung, die wir heute gar nicht kennen.

Und der Bus fuhr weiter. In Nagma, meinem Exil vor ein­ein­halb Wochen, folgte dann der erste längere Auf­ent­halt. Ohne er­kenn­baren Grund saßen wir fest, bis es dem Fahrer nach drei Stun­den zu blöd wurde: Er wendete, fuhr einen hal­ben Kilo­meter zurück, drehte wieder um, fuhr an der langen Kolon­ne von war­tenden Bus­sen vor­bei, und dann waren wir auch schon durch. Was der Sinn dieser Aktion war, konnte mir nie­mand er­klären, aber wenig­stens war ich zu einem Früh­stück aus mit ge­dünste­tem Senf­kohl gefüll­tem Brot (Paratha) gekom­men, und konnte einen hin­duisti­schen Fest­umzug aus der Nähe beob­achten; die Leute hatten sich Stirn, Wangen und sogar die Kopf­bedeckungen knall­rot einge­färbt und trugen Zypressen­zweige als Schmuck auf der Brust. Wahr­schein­lich handelte es sich um eine Hoch­zeit, aber niemand im Bus sprach genug Englisch, um mir diese Vermutung zu bestätigen.

Flat tire change , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Reifenwechsel in der Nacht (# 3)

Flat tire change , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Ein guter Tag beginnt mit einem Reifenwechsel (# 4)

Villagers removing stones from Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Steine werden zerkleinert

Tire on bus travelling Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Um das klarzustellen: Dieser Reifen wurde aufgeschraubt (# 4)

Dann ging es ganz gut voran, mit nur ge­le­gent­li­chen Unter­brechun­gen durch große Stein­brocken, die auf die Straße gefal­len waren und den von den Dörf­lern der Um­gebung händisch zer­klopft und weg­geräumt wurden. Ein Mit­fahrer bedeu­tete mir, der Bus werde 24 Stun­den durch­fahren, und am nächsten Morgen seien wir in Surkhet. Ich war skep­tisch, denn in Indien (und da rechne ich Nepal jetzt grob dazu) werden zwar viele Un­wahr­schein­lich­keiten wahr, aber des­halb funk­tioniert nicht alles, nur weil es un­wahr­schein­lich ist.

Ein weiterer Reifen­wechsel hielt uns auf. Bei Ein­bruch der Dunkel­heit quälten wir uns immer noch durch das Tila-Tal, und der ge­plan­te Abend­essen­sort Kalikot lag noch in weiter Ferne, als so gegen 20:30 ganz über­raschend — ein Rei­fen platzte. Auf den zweiten Zwil­ling ver­trauend hop­pelte der Bus noch ein paar Kilo­meter weiter, bis wir einen Rast­platz mit kleinem Restau­rant er­reich­ten. Die Leute kochten Dal­bhat für die un­erwar­teten Gäste, und nach gut zwei Stun­den hatte die Bus­crew im Schein ihrer Handies den Reifen­wechsel ge­schafft. Ich konnte dann wäh­rend der Fahrt ganz gut schlafen, bis mich um ca. Mitter­nacht das in­zwi­schen wohl­bekannte Pfffff eines ge­platz­ten Rei­fens weckte. Die Mann­schaft hatte keine Lust mehr und legte sich schlafen; viel­leicht waren auch nur die Akkus leer, denn während der Arbeit müssen die Handies nicht nur Licht geben, sondern auch gräß­liche Nepali-Pop­musik spielen.

Bei Son­nen­aufgang stell­te ich fest, daß wir mit­ten im Karnali-Tal fest­saßen; dann wurde der Reifen ge­wechselt, und ich nutzte die Ge­legen­heit für ein paar Photos der Curry­sträucher, die in­zwischen keine Blüten son­dern kleine Früchte trugen, und er­freute mich an den Ziegen, die zur all­gemeinen Unter­haltung Schau­kämpfe auf­führten. Weniger er­freu­lich war der Blick auf die Reifen, denn ich konnte beim besten Willen keinen Unter­schied zwischen dem gerade ab­mon­tierten und dem neu auf­mon­tierten fest­stellen; sie sahen einfach alle aus wie die Henne unterm Schwanz.

Goat's fight , Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Ziegenkampf

One more tire change in Tallo Dungeshwar, Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Und noch ein letztes Mal (# 6)

Tire repairing in Paltada, Karnali Highway (Himalaya, Western Nepal)

Reifengroßreparatur (# 5)

Bei den Ha­va­rien Zwei bis Vier hatte ich noch das Ge­fühl, in einem Irren­haus ge­landet zu sein (be­son­ders, wenn ich in die sto­isch ru­higen Gesich­ter meiner Mit­reisen­den blick­te, die dieses ganze Theater für ziem­lich normal zu halten schienen). Aber mit­tler­weile war es Routine, und Platt­fuß Nummer Fünf er­wisch­te uns unge­fähr um neun Uhr. Da in­zwi­schen alle Er­satz­reifen auf­ge­braucht waren, ret­tete sich der Bus in die nächste Ort­schaft Paltada, wo es so etwas Ähn­liches wie einen Mecha­niker gab. Dort wurden die Schläuche aller Ersatz­reifen mit Ahle und Leim ge­flickt und einer davon mon­tiert, was ins­gesamt vier Stunden ver­schlang. Immer­hin hatten wir dann zwei Stunden erfolg­reiche Fahrt, bis das nächste Pffff uns in Talli Dungeshwar erneut zu einer Re­para­tur zwang, aber das ging schnell, da wir jetzt wieder genug einsatz­bereite Ersatz­reifen dabeihatten.

Der Fahrer hatte das Problem in der Zwi­schen­zeit wohl ana­lysiert und war zum Schluß ge­kom­men, daß alles mit dem schlech­ten Karma des Karnali-High­ways zu­sam­men­hing. Glück­licher­weise kann man diesem in Talli Dungeshvar leicht ent­kommen, da von dort eine Straße ent­lang eines Flüß­chens namens Lohare nach Dailekh führt (übri­gens die einzige Ab­zwei­gung auf der ganzen Strecke). Ich nahm mir vor, in Dailekh aus­zu­steigen und diesem höl­li­schen Wahn­sinn zu ent­sagen, aber nach nur einer halben Stunde gabel­te sich die Straße: In der einen Rich­tung ging es nach Dailekh, und in der anderen — nach Surkhet. Gegen sieben Uhr abends kamen wir an, ganz ohne weitere Pannen. Dabei pas­sierten wir die Ort­schaft Gurase mit ihren blü­hen­den Rhodo­dendron-Wäldern, von denen ich Dir ja schon geschrieben habe.

Eine Nacht muß ich hier bleiben, und dann reicht es mir: Ich verlasse Westnepal und wende mich zivilisierteren Gegenden zu.


Jumla Dhulikhel

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