Landkarte
Karnali Highway 1 Jumla

Karnali Highway 2 कर्णाली राजमार्ग (Nepal)

Donkey caravan in Nangma Bazar, Western Nepal

Antike schlägt 21. Jahrhundert

Nagma Bazaar, a tiny group of hotels and stores on the Karnali Highway, Western Nepal

Nagma Bazar ist wirklich winzig

Strike-induced traffic jam in Nagma Bazaar, Western Nepal

In Nagma staut es sich

Liebe Birgit,

nun bin ich also am A… der Welt ge­stran­det. Mein Ver­bannungs­ort heißt Nagma (gespro­chen Nangma) oder Nagma­ghat, und bei genau­erer Be­trach­tung erweist sich Lage als gar nicht so sehr hoff­nungs­los. Es ist ja erst neun Uhr, und die An­kündi­gung, der Streik werde fünf Tage dauern, kann nur ernst nehmen, wer noch nie in Nepal gewesen ist: Die Nepali haben schlicht und ein­fach nie­mals recht, wenn sie Aus­sagen über die Zu­kunft treffen. Wirk­liche Sorgen mache ich mir nur um den Lap­top: Wenn ich die Photos nicht bald von der Karte bekomme, dann steht in ein paar Tagen ein ernstes Kapa­zitäts­problem an.

Außerdem ist Nagma gar nicht so un­attrak­tiv. Die zwei Zeilen von bil­ligen Ka­schem­men und Shops am Straßen­rand gewin­nen zwar keinen Schön­heits­preis, aber die Lage am Ufer des Tila-Flüß­chens zwischen alpinen Hängen gibt durch­aus etwas her. Meine Ab­steige wird von einer sehr freund­lichen jungen Tamang-Frau be­trie­ben, die un­typischer­weise dem Hin­duis­mus folgt und die mich immer ganz lieb­reizend an­lächelt (Eng­lisch kann sie nicht, aber die Nach­barin bricht ein paar Brocken davon). Mein Zimmer ist ruhig, mit Blick auf die Tila, und duftet wegen seiner frischen Holz­decke nach Kiefern­harz. Geht doch schlimmer, oder?

Villagers staring at a tourist visitor in Nagma, Western Nepal

Der erste Besucher des Jahres (?) wird auf allen Ebenen begafft

Woman winnowing wheat, Nagma, Western Nepal

Frau beim Verlesen des Weizens

Himalayan eagles (chil), seen at Nagma, Western Nepal

Stümperhafte Montage von stümperhaften Adlerphotos

Nangma traditional village, Jumla district, Western Nepal

Das Dorf ist wie ein indianisches Pueblo an den steilen Hang geklebt

Ich nutzte die Zeit zu einem Spazier­gang, der mich in das ei­gent­liche Dorf Nagma brachte; an der Straße steht ja nur der kom­mer­ziel­le Teil davon. Wenn man die Tila auf einer schwin­genden Draht­seil­brücke über­quert und dann zehn Minuten ber­gauf wandert, kommt man in ein ur­tüm­liches Dorf aus düste­ren Stein­häusern. Bunt­geklei­dete Menschen hängen herum, winken mir zu oder sind mit der Ver­arbei­tung der Weizen­ernte be­schäftigt. In so einem tradi­tionel­len Dorf gibt es keine Händler, Tech­niker, Dienst­leister oder sonsti­gen zivili­sierten Koko­lores: Alle arbeiten in der Land­wirt­schaft oder stellen daraus Pro­dukte für den Familien­bedarf her.

Zurück in der Her­berge wurde ich mit Blut kon­fron­tiert: Zwei Gäste aus dem glei­chen Bus wie ich waren nach Genuß einiger Ach­tel Vodka über die Rech­nung nicht einig ge­worden und hat­ten sich gegen­seitig die Gesichter amateur­chirur­gisch um­gestal­tet. Jetzt saßen sie schwer be­trunken aber wieder ein­trächtig zu­sammen, und einer er­klärte mir lal­lend mit Mikro­vokabular, wie lieb er mich habe und wie gerne er mir helfen würde, so­gleich nach Jumla zu kom­men; er würde sogar mein Ge­päck tragen. Als er mich um­armen wollte, trat ich die Flucht an und schloß mich in meinem Zimmer ein, mit dem festen Vor­satz, es nie wieder zu ver­las­sen; das rede­ten mir später einige Damen der Um­gebung aus, die sich über meine Schreck­haftig­keit köst­lich amü­sierten und offen­bar über­all davon herum­erzähl­ten, denn meine Re­puta­tion unter der Be­völke­rung von Nagma war fortan ir­repara­bel geschädigt.

Abends be­obach­tete ich noch die vielen Adler, die durch die Lüfte schweb­ten und und ihre Horste an­flogen, die sie auf den kahlen Hängen der Um­gebung er­rich­tet hatten. Nach einem kräf­tigen Abend­essen (natür­lich Dal­bhat) ging ich schlafen. Das Essen war übrigens wirk­lich gut, und das Dal über­nahm sogar die Füh­rung in der zeit­offenen Nepal-Gesamt­werung: Anders als im Tarai wird das Dal hier aus roten Bohnen gemacht, die in einer Stein­mühle grob ge­schro­tet und dann mit Wasser zu einer Art Bohnen­suppe mit einem dicken Sedi­ment aus Bohnen­fragmenten verkocht werden. So weit so üblich, aber die Tamang-Lady peppte das noch mit einer Tadka auf, also einer Würze aus in Fett ge­bräun­ten Chilies mit viel Knob­lauch und Kreuz­kümmel, die unter die fertige Suppe gerührt wird. Das hatte ich in dieser extremen Form in Nepal noch nie erlebt.

Villagers in a barley field, seen from Karnali Highway, Western Nepal

Dörfler im Gerstenfeld

Wooden bridge crossing Tila stream, seen from Karnali Highway, Western Nepal

Holzbrücke

Village and barley fields, seen from Karnali Highway, Western Nepal

Gerstenfeld und Dorf auf der Weiterfahrt

Am nächsten Tag weckte mich die Wirtin auf und er­klärte freudig, daß die Busse wieder fahren — die Nach­for­schung ergab, daß alle bereits weg waren, bis auf einen, der völ­lig leer und ver­lassen herum­stand. Ich är­gerte mich über meinen langen Schlaf und die Saum­selig­keit der Wirtin, aber das morgend­liche Dal­bhat war noch nicht verzehrt, als dieser letzte Bus auch schon wild hupend vor der Bude stand: Der Fahrer hatte jetzt auch genug von hier, wollte endlich weg und hatte gehört, daß ein Aus­länder auf Weiter­fahrt hoffte. Ich stürzte den Tee hinunter, schnappte den Ruck­sack und los ging es, endlich nach Jumla. Gerüch­ten von einer zweiten Blockade ein paar Kilometer weiter wollte ich keinen Glauben schen­ken. Die Leute er­zählen ja viel, wenn der Tag lang ist (und das ist er immer).

Wir blie­ben am Ufer der Tila. Das Tal wei­tete sich enorm aus, und eine er­staun­lich fla­che Land­schaft er­freu­te das Au­ge mit end­losen Aus­blicken über wogen­de Gersten­felder — leicht zu erkennen an den weiß schim­mernden Wellen, die der Wind darauf zeichnet (wenn man die Sonne im Rücken hat). Dörfer flogen am Bus vorbei, mit steiner­nen Häusern und hölzer­nen Brücken über den hier wieder ruhigen und breiten Fluß. Vereinzelt gab es Gegen­verkehr, und das war mir Beweis genug, daß die Straße jetzt wieder offen sei.

Bus encounter at Karnali Highway, Western Nepal

Nahbegegnung

Donkey caravan travelling on Karnali Highway, near Jumla, Western Nepal

Tierisch viel Gegenverkehr

Bus park of Jumla, Western Nepal

Ähh, wo bin ich hier?

Karnali highway seen from the bus driver's perspective, near Jumla, Western Nepal

So sieht der Karnali Highway aus der Fahrer­perspektive aus, gesehen durch eine schmutzige aber reichdekorierte Windschutzscheibe

Seit seinem ruhm­reichen Be­ginn in Surkhet, wo er sogar mit einem Asphalt­belag protzen konnte, hatte der Karnali High­way be­ängsti­gende Ver­ände­rungen durch­gemacht. Bereits seit gestern mittag war der Asphalt als Gaukler­stück ent­larvt, der nur Leicht­gläubige in falscher Sicher­heit wiegen sollte. Über den Lauf des Tages hatte die Straße dann zu­neh­mend ihren wahren und sehr un­ebenen Charak­ter offen­bart, ganz im Gegen­satz zu ihrem nepali­schen Namen Karnali Raj­marg: Das Sanskrit-Wort Raja­marga bedeutet eigent­lich „Königs­weg“, steht aber im Nepali für jede mit zwei­spurigen Kraft­fahr­zeugen befahr­bare Fern­straße. Selbst in dieser ein­geschränk­ten Be­deutung ist das in diesem Fall ein ziemlicher Eu­phemismus.

Denn der „Königs­pfad“ ent­puppte sich ent­weder als Lehm­piste voller Schlag­löcher, oder als Schotter­straße, deren stei­niger Belag kunst­voll um präzise designte Schlag­löcher herum­geschich­tet worden war. Eine sehr in­nova­tive nepali­sche Technik ver­dichtet pure Schlag­löcher zu einem un­sicht­baren Straßen­belag, und am zweiten Tag domi­nierte diese Bau­weise voll­ständig. Die Schläge er­folgten daher trotz der lächer­lichen Reise­geschwindig­keit von über weite Strecken nur 10 km/h so dicht und ohne jede Regel­mäßigkeit, daß Photos mit einer Verschluß­zeit über zwei Milli­sekunden praktisch nicht mehr möglich waren.

Nach etwa drei Stunden Fahrt in einem halb­leeren Bus (welch ein un­beschreib­licher Luxus in diesem Land der dich­testen Kugel­packungen!) blieb das Fahr­zeug etwas un­motiviert in einer dif­fusen Sied­lung mit einem großen Bus­park­platz stehen; offenbar ging es nicht weiter. Der grinsende Bus­fahrer erklärte mir, hier sei die Fahrt zu Ende. Einiger­maßen ent­geistert ver­suchte ich in Er­fahrung zu bringen, was denn jetzt wieder los ist, und wo zum Teufel wir eigent­lich waren. Das sei Jumla, meinte er, und ich zweifelte, ob er nun die Provinz oder die Stadt meinte. Konnte das wirklich Jumla Bazar sein, die einzige größere Stadt in den Bergen Westnepals und die Haupt­stadt nicht nur des gleichnamigen Bezirks, sondern der ganzen Karnali-Zone, die immerhin fünf Bezirke umfaßt??

Sie war es. Also freute ich mich erst einmal, bezahlte dann mit inner­lichem Zähne­knirschen für die Fahrt (die ja eigentlich in meinem Ticket aus Surkhet bereits enthalten war, aber was will man machen, andere Bus­firma), suchte mir ein Hotel und machte mich daran, das so schwierig erreichte Ziel zu erkunden.


Karnali Highway 1 Jumla

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