Landkarte
Kathmandu 5 Siehe auch Tansen, Kathmandu 2 Varanasi

Changu Narayan Mandir चाँगु नारायण मन्दिर (Nepal)

View on rural village in Kathmandu valley, between Changu and Bhaktapur, Nepal

Auch im dichtbesiedelten Kathmandu-Tal gibt es noch sehr ländliche Stellen

East side of Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Der Changu Narayan Mandir (Ostseite)

Main street in Changu, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Die „Hauptstraße“ von Changu

Newar farmer woman in fields of cabbage und mustard, near Changu, Kathmandu valley, Nepal

Eine Bäurin in ihren Kohl- und Senfäckern

Liebe Birgit,

zum Ab­schluß meines faulen Auf­enthaltes im Kath­mandu-Tal will ich Dir noch von einem wunder­schönen Tempel berichten, der sich von Kath­mandu aus bequem in einem Eintages­ausflug erreichen läßt. Er steht im Dorf Changu auf einem Hügel nahe der größeren Stadt Bhaktapur und ist dem Vishnu geweiht — genauer gesagt dem Aspekt Vishnus als Schöpfergott Narayana. Obwohl er Teil des UNESCO-Welterbes „Monumente im Kathmandu-Tal“ ist, verirren sich nur wenige Ausländer hierher.

Von Kath­mandus hekti­scher und wenig über­sicht­licher Bus­station (Ratna Park) fahren halb­stündlich Direkt­busse in das 40 km entfernte Changu; nur ein komplettes Nepal-Greenhorn kann sich darüber wundern, daß die Fahrt­zeit stolze zwei Stunden beträgt (eine davon braucht man, um aus der zuge­stauten Haupt­stadt herauszu­kommen). Viel Landschaft kann man bei dieser Fahrt nicht erwarten, da das dicht­besiedelte Hochtal am besten Weg dazu ist, sich zu einem einzigen geschlossenen Siedlungs­gebiet zu entwickeln; erst nach Bhaktapur, wenn der Bus im Maultier­tempo die Hügel besteigt, erfreut sich das Auge am ländlichen Grün. Besonders die gelb blühenden Senffelder bleiben in Erinnerung.

Changu ist ein kleines Newari-Dorf mit mehr­stöckigen holz­verzierten Häusern und gepflas­terten Fuß­wegen ohne Motor­verkehr. Der drei­stöckige Tempel steht in einem Innenhof und ist den ganzen Tag geschlos­sen — nur in der Früh und zu besonderen Feier­tagen lassen sich die Brahmanen sehen, aber dann ist er für Touristen ohnehin gesperrt. Aber auch was man von außen erblickt, lohnt die lange Anfahrt.

West gate of Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Changu Narayan Mandir, Westtor

South gate of Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Changu Narayan Mandir, Südtor

Narayana (Vishnu) stone carving, Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Narayana

Jede der vier Tempel­türen ist mit Holz- und Metall­arbeiten geschmückt und wird von je zwei Tier­wächtern beschützt: auf der Süd­seite Elefanten, auf der Ost­seite Adler und auf der Nord­seite ge­flügelte Löwen. Der Haupt­eingang zeigt gen Westen und bietet neben zwei Löwen und einem pracht­vollen Bronze­tor zwei von Schild­kröten ge­tragene Pfeiler, auf denen die wich­tigsten Attribute Vishnus präsen­tiert werden: Der Diskus (Chakra) und das Muschel­horn (Shankha). Außer­dem findet man dort eine Stele mit einer In­schrift in einer mir nicht bekannten Schrift (möglicher­weise Brahmi) und eine durch einen Holz­käfig beschützte Dar­stellung des Königs Bhupatindra Malla (17/18. Jahr­hundert) und seiner Frau. Süd­westlich des Tempel steht im Hof ein kleiner Shiva-Schrein, und überall verstreut finden sich Relief­darstellungen verschie­dener mytho­logischer Figuren und Szenen; die meisten davon sind viel älter als der Tempel.

Denn der heu­tige Tempel wurde zwar erst 17. Jahr­hundert erbaut, aber er enthält auch Material von früheren Tempeln, die an derselben Stelle standen und bis in die Licchavi-Epoche in der Mitte des ersten Jahr­tausends zurück­reichen. Viele der Stein­reliefs im Hof sind daher mehr als tausend Jahre alt, darunter auch eine berühmte Dar­stellung des auf dem Garuda reitenden Vishnu, die man mehrere Male täglich sieht, da sie auf der Zehn-Rupayam-Bank­note abgebildet ist. Sehr schön sind auch der zehn­köpfige Narayana oder die Avatare Nara­singha (der Löwen­mensch) und Vamana (der Zwerg). An der West­seite kann man den Tempel verlassen und über einen steilen Weg ins Tal absteigen, oder auch nur die Aus­sicht genießen.

Vamana (Vishnu avatar) stonecarving, at Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Der Zwerg Vamana durchschreitet das Universum

Local girl posing at South side of Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Besucherin aus Bhaktapur

Vishnu riding Garuda stonecarving at Changu Narayan Mandir Temple, near Bhaktapur (Kathmandu valley, Nepal)

Vishnu und Garuda

Obwohl der Tempel ge­schlos­sen blieb, herrschte trotz­dem reli­giöses Leben: Eine Hochzeits­gesellschaft holte sich vor der Süd­seite beim Brah­manen in Form einer län­geren Zere­monie den Segen ab. Außer­dem wurde der Tempel von vielen Nepalesen besucht, die sich einer klaren Kategori­sierung in „Pilger“ und „Touristen“ entzogen; “This is good place” meinten sie einfach, und deshalb würden sie ihn eben schnell einmal besuchten, mit dem Handy ein Erinnerungs­photo schießen und dann wieder heimkehren.

Unter die­sen Be­suchern waren auch zwei junge Damen aus Bhakta­pur, mit denen ich mich länger unter­hielt. Sie waren mit dem Motor­rad hierher­gekommen, und als ich meinte, das sei aber bei Straßen­zustand und Verkehrs­sitten sehr gefährlich, hielten sie mir einen längeren Vortrag über das Karma, dem man nicht ent­kommen könne; außer­dem würde man ja ohnehin wieder­geboren, also wozu die Sorge? Plötz­lich erschloß sich mir eine weitere Ursache für die Dis­krepanz zwischen der hohen Unfall­häufigkeit und der lächerlichen Verkehrs­dichte in Nepal. Dann erbaten sich die zwei noch ein gestelltes Photo am Tempel (für die Facebook-Seite) und machten sich wieder auf den Heimweg, und ich tat es ihnen nach — denn der letzte Direktbus fährt um fünf Uhr nach Kathmandu.

Newari Food in Kathmandu: Chana (chickpea), Choila (marinated buffalo), Alu (potato), Lasun Motar Kosa (raw garlic green), Kochila (fried ground buffalo) with beaten rice

Newar-Essen: Von links oben Chana (Kicher­erbsen), Choila (Büffel­fleisch), Alu (Kartoffeln), Lasun Motar Kosa (grüner Knob­lauch) und Kochila (gebratenes Büffelhack), dazu Reisflocken

Dieser schöne Newari-Tempel bietet den richtigen Anlaß, mich in meinem letzten Brief aus Nepal wieder der auto­chthonen Küche der Newari zuzu­wenden. Über diese sehr eigen­ständige kuli­narische Tradition habe ich ja bereits mehrmals berichtet, und es schmeckt nach wie vor unglaub­lich lecker. Trotz­dem muß ich ein Wort der Warnung voraus­schicken: Fast jedes Mal, wenn ich in ein ein­schlägi­ges Restau­rant ging, hatte ich am nächsten Tag Verdauungs­probleme. Ich führe das auf das tabak­braun aus dem Hahn fließende Leitungs­wasser zurück: Damit werden ja Gläser, Teller und Besteck abge­waschen, eh diese Uten­silien tropf­naß an den Tisch gebracht werden. Da das Newari-Essen meist kalt serviert wird, entfällt auch die Möglich­keit, daß die Speise den Teller thermisch desinfiziert. Weiter­lesen und besonders Nach­machen vor Ort also auf eigene Gefahr!

Dazu noch ein kleiner Ein­schub: Wasser gilt im Hindu­ismus als heilig und Symbol der Rein­heit; für einen Hindu ist die Behaup­tung, es gebe „schmutzi­ges Wasser“ fast so para­dox, wie unser­einem ein „weißer Rappe“ denk­unmöglich erscheint. Ganz im Gegen­teil: Wasser über­trägt seine inhärente Rein­heit auf jeden Gegen­stand, mit dem es auch nur flüchtig in Kontakt kommt. Aus dieser An­nahme kommt man sehr leicht zum Schluß, daß von dunkel­braunem Leitungs­wasser triefendes Besteck beim Ab­trocknen an Sauber­keit ver­lieren würde. Kurzum, Wasser ist eigentlich so eine Art Des­infektions­mittel oder ein den Schmutz ver­nichtender Kata­lysator, und wer das nicht nach­vollziehen will, den mag ja sein Mangel an Glauben krank machen, bestimmt aber nicht das Wasser.

Newari Food (Nepal): Jamla or Janli (marinated raw buffalo skin)

Jaṃlā (Büffelschwarte)

Newari Food (Nepal): So (battered and fried buffalo lung)

So (Büffellunge)

Newari Food (Nepal): Shugur (fried pork belly)

Shugur (Schwein)

Newari Food (Nepal): Bora (boiled black eyed bean salad)

Bori (Schwarzaugenbohnen)

Aber Erinne­rungen an gu­tes Es­sen sind un­sterb­lich, wäh­rend Magen­verstim­mun­gen irgend­wann ein­mal ab­klingen; also fahren die Newari-Restau­rants in der Alt­stadt einen klaren Punkte­sieg ein. Sie bieten im Großen und Gan­zen die­selbe Pa­let­te an Spei­sen an wie bei meinem letzten Be­such; saiso­nale Nahrungs­mittel scheinen in der Minder­heit zu sein. Büffel stellt vor Huhn, Ziege und Schwein die Haupt­menge des tieri­schen Proteins: Wie bereits letztes Mal be­schrie­ben, ißt man alles zwischen Hörnern und Hufen, auch so unge­wöhnliche Organe wie Haut (Jaṃlā), Magen (Bhutan), Rücken­mark (Tisya) oder Lunge (So). Nach wie vor schmeckt mir Choila am besten, das ist ge­brate­nes oder ge­grill­tes Büffel­fleisch in einer öligen und extrem pikanten Mari­nade aus Chili, Knoblauch, Sesamöl und anderen Aromatika. Die Büffel­schwarte (Jamla) kannte ich von meinem letzten Auf­enthalt gekocht, aber diesmal war sie roh, und offen­bar zur Des­infek­tion mit riesigen Mengen roher Knoblauch­zehen zu einem aufregend ur­tümlichen Salat vermengt.

Newari Food (Nepal): Lasun Motar Kosa (garlic green with spices)

Lasun Motar Kosa (Knoblauchgrün)

Newari Food (Nepal): Achar (fermented vegatable salad)

Achar (Gemüsesalalat)

Auf der Ge­müse­seite konnte ich zwei neue Bekannt­schaften machen: Einer­seits gab es gekochte, zu einem pikanten Salat ver­arbeitete Schwarz­augen­bohnen (Bori), die mit ihrem Kreuz­kümmel­akzent sehr an die ent­sprechend zube­reiteten Kicher­erbsen (Chana) erin­nerten, aller­dings mit einer mehlige­ren Kon­sistenz. In­novativer fand ich einen Salat aus Erbsen und rohem grünen Knob­lauch (Lasun Motar Kosa), der mit Koriander­pulver und Sesamöl zubereitet ist und deshalb, wie viele Newari-Speisen, sowohl indische als auch chinesische Elemente aufweist.

Der Gemü­se­salat Achar schmeckte, wahr­schein­lich bedingt durch die winter­liche Jahres­zeit, wesent­lich „fermen­tierter“ als bei meinem letzten Be­such; offen­bar wird er im Som­mer frisch gemacht, während man im Winter von den Vorräten lebt. In einigen Fällen „mous­sierte“ er sogar auf der Zunge, offen­bar eine Folge von Kohlen­dioxid produ­zierenden Hefen. Damit näherte er sich geschmack­lich an die indischen Pickles (die ja ebenfalls Achar heißen) an, die allerdings viel öli­ger und inten­siver schmecken und nur in Tee­löffel­mengen zum Essen genossen werden. Wie bereits beim letzten Mal fiel mir der extrem dunkel geröstete Bockshornklee auf.

Damit ist das friedliche Nepal wieder einmal am Ende, und bereits heute abend mache ich mich wieder nach Indien auf. Nächste Woche melde ich mich dann aus Varanasi am Ufer der Ganga, der vielleicht heiligsten Stadt Indiens.


Kathmandu 5 Varanasi

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