Landkarte
Periyar Siehe auch Guwahati, Dharan Ilam

Im Zug von Süd nach Nord

Liebe Birgit,
Railway station of New Jalpaiguri, West Bengal, India

Am Bahnsteig in New Jalpaiguri

ich sitze gerade am Bahnhof von New Jalpai­guri in West-Bengalen. Es ist zwei Uhr in der Nacht und gießt dabei wie aus himmli­schen Schleusen; aber da ich auf den Morgen warten muß und es hier über­dies öffent­liche Steckdosen gibt, benutze ich einiger­maßen entspannt den Rest der Nacht zum Briefeschreiben.

Die letzten eineinhalb Wochen waren ein unerfreuliches Auf und Ab. Das Problem mit dem Objektiv erwies sich als hartnäckig. Zwei Läden verweigerten nach Ansicht des Objektives die Reparatur, das Sony-Service-Center offerierte mir Ersatz in Form einer Original-Sony-Linse — nun sind diese aber deutlich teurer als die third-party-Nachbauten, und in Indien kosten sie nochmals doppelt so viel wie in Europa; außerdem hätte die Bestellung zwei Wochen gedauert, und so lange ist mein Visum ja gar nicht mehr gültig. Ich war dann in Kochi, weil ich mir dort die besten Chancen auf Reparatur ausrechnete und weil ich außerdem einen Nepal-Reiseführer im besten Buchladen des Ortes vorbestellt hatte — natürlich hatten die Dumpfbacken (“Two or three days, Sir!”) auch in zwei Wochen das Buch nicht organisiert. Manchmal hat man den Eindruck, man sei der erste Mensch, der je ein Buch bestellt hat, weil die Leute offenbar selbst hochgradig fasziniert sind, was dabei wohl herauskommen wird.

Indian Railways: Sign in an train about penalty to use emergency brake

Gesehen im Zug: Dieses Schild ziert die Notbremse und lädt zu Reflexionen über den Wert von Lebenszeit ein (1000 Rupye entsprechen etwa 15 €)

Entsprechend machte ich ein Gesicht wie sieben Tage Regen­wetter (was monsun­bedingt ja auch stimmte), und da nahte sich Rettung einer einer Form, die sonst immer nur Ärger verspricht: Ein schmäch­tiger Riksha­fahrer fragte mich, warum ich so schlechte Laune hatte. Ich warnte ihn, daß er das nicht hören wolle, und erzählte ihm dann alles, was mir in den letzten Tagen in Indien nicht gefiele. Es wurde eine lange Ge­schichte. Er lächelte und gab mir dann die Adresse eines Kamera-Reparatur­ladens, die ich ganz unten auf die Liste der am nächsten Tag abzu­klappernden Läden aufnahm. Was versteht so ein Riksha-Wallah schon von einer Spiegelreflex­kamera!

Offenbar genug, denn nachdem mich am nächsten Tag alle Läden enttäuscht hatten, fuhr ich zur angegebenen Adresse, wo ich ein ganzes Shopping Mall mit Hitech-Produkten fand, meistens Handyläden. Die Kameraleute machten einen kompetenten Eindruck, versprachen, sich das Objektiv anzusehen und alternativ in Erfahrung zu bringen, wo man neue Objektive um vernüftiges Geld kriegt. Und am nächsten Tag erhielt ich ein repariertes Objektiv, von dem der Reparaturmensch sagte, er könne zwar für den Autofokus nicht garantieren, aber der Rest müßte beliebig langlebig sein. Voller Freude fuhr ich gleich nach Mattancheri, um ein paar Photos von der Judenstadt nachzuholen — und stolperte dort gleich über einen nagelneuen Nepal-Reiseführer, und zwei Straßen weiter saß der freundliche Rikshafahrer, bei dem ich mich dann herzlich bedanken konnte.

Indian railways: Sleeper class berths

Dem Sechser gegenüber gibt es noch zwei Schlafplätze direkt am Gang

Indian Railways: Sleeper compartment with berths in night configuration

Sechserabteil in Schlafkonfiguration

Entsprechend gut gelaunt setzte ich mich dann vor­gestern in den Zug, der mich von Chennai nach New Jalpai­guri bringen sollte — eigentlich wäre der Ernakulam-Guwahati-Express ja von Ernakulam, also Kochi, weggefahren, aber für den Abschnitt zwischen Ernakulam und Chennai waren vor einem Monat keine Karten mehr zu bekommen, naja, dann eben ein Stück per Bus und noch zwei Tage Entspannung im wohlbekannten und freundlichen Mamallapuram, bis es in fast einem Rutsch vom (fast) Äquator (fast) ins Hochgebirge geht.

So eine Zugfahrt ist eine äußerst indische Art, Indien zu bereisen, denn die Inder machen es ebenso. In der billigsten Klasse, dem sleeper, sitzt man zu sechst in Abteilen, die zum Gang hin offen sind und durchaus auch für europäische Konfektions­größen aus­reichend Platz bieten. Nachts schläft man bequem: Zwei auf den beiden Sitz­bänken, zwei auf der Gepäck­ablage und zwei und herunter­geklappten Zwischen­betten. Auf der Gepäck­ablage kann man auch tagsüber herum­liegen und dösen, wobei die überall von der Decke hängenden Ventillatoren eine erkennbare Abkühlung bringen; sonst setzt man sich eben runter und plaudert mit den anderen Passagieren.

Indian Railways: Hawkers in a sleeper class train

Im Wagen herrscht immer reger Durchgangsverkehr

Indian Railways: Sleeper class coach

Im Wagen herrscht immer reger Durchgangsverkehr

Auf einer Zug­fahrt kann man durchaus inter­essante Leute treffen; mit Ver­gnügen erinnere ich mich an den Mit­reisenden auf der Fahrt nach Orissa, der mir, sobald er erfuhr, daß ich Öster­reicher bin, erklärte, daß er Sigmund Freud für einen drei größten Geister in der Menschheits­geschichte halte (die anderen waren, nicht weniger über­raschend, Darwin und Marx). Auch wenn ich Freud nicht so sehr schätze, so ist das doch eine erfreuliche Ab­wechslung, denn normaler­weise kennen die Leute höchsten einen Öster­reicher, und auf den kann man nicht allzu stolz sein.

Diesmal reiste ich mit einem jungen Lehrer aus Chennai, der in einer Schule in Guwahati, der Hauptstadt Assams, unterrichtet; im Nachbarabteil saß eine bengalische Familie, die die kranke Mutter zur Behandlung nach Chennai begleitet hatte und nun mit ihr wieder heimfuhr; die anderen in meiner Nähe sprachen kein Englisch. Die Verspätungen halten sich in engen Grenzen, da scheint sich in den letzten vierzehn Jahren wirklich einiges zum Besseren gewendet zu haben. Mehr als eine Stunde Verspätung habe ich bei Fahrzeiten von zwei bis drei Tagen nicht erlebt.

Indian Railways: A tea vendor (chai wallah) offering Indian milk tea

Der Chai-Wallah

Die Zugfahrt verläuft recht ein­tönig und wird nur im Rhythmus von ein bis drei Stunden von Bahnhofs­auf­enthalten unter­brochen; dabei steigen nicht nur Passagiere, sondern auch fliegende Händler ein, die dann bis zur nächsten Station den Fahr­gästen Haaröl, Seiden­stoffe, Elektro­spielzeug und was weiß ich sonst noch alles andrehen wollen. Erfreulicher ist der regelmäßige Besuch von Teehändlern, die große Gefäße mit heißer gezuckerter Milch mit sich herumtragen und den Kunden einen Plastik­becher mit Teebeutel in die Hand drücken und dann mit der heißen Milch auffüllen.

Auch Snackhändler mit Kleinigkeiten wie den Teigtaschen Samosa oder gekochten Kichererbsen gibt es, aber sonst liegt die Verpflegung in Händen des Speisewagens. Dort wird den ganzen Tag über eifrig gekocht, und zu Mittag und Abend kann man dann aus je einem vegetarischen und einem nichtvegetarischen Gericht wählen. Alles ist ziemlich einfach aber durchaus eßbar: Auch wenn in Tassen aus Aluminiumfolie serviert wird, so ist es doch frisch gekocht und nicht nur aus der Tiefkühltruhe in den Mikrowellenofen geschoben, wie das bei deutschen Speisewagen zu bedeutend höheren Kosten durchaus vorzukommen pflegt.

Indian Railways food: Rice, potatoes and dal (pulses)

Reis, Kartoffeln und Dal

Indian Railways food: Vegetable biryani

Gemüse-Biryani

Am ersten Tag hatte ich ein etwas knochi­ges Hähnchen und stieg daher für den Rest der Reise auf vege­tarisch um: Der Biryani war einfach aber OK, und das Menü aus Linsen und gekochten Kartoffeln mit Reis schmeckte nach Kreuz­kümmel und Curcuma, daß es eine Freude war. Ein biß­chen lasch zwar, aber erstens ist es ja keine Gourmet­reise, und zweitens hatte ich noch ein paar der explo­siven Kanthari-Chilis aus Kerala in der Phototasche.

In New Jalpaiguri beginnt nun der Tag zu grauen. Bei nächster Gelegenheit werde ich mich ins etwa 5 km entfernte Siliguri aufmachen, von wo aus Busse zum Grenzort Panityanki [sprich: Panitinki] fahren. Wann Du das nächste Mal von mir hörst, kann ich aber nicht sagen: Ostnepal ist für seine steinzeitliche Infrastruktur ebenso bekannt wie für seine schönen aber verkehrs­feindlichen Berge voller maoistischer Rebellen (die angeblich vor kurzem den Kampf eingestellt haben, aber man weiß ja nie).


Periyar Ilam

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