Landkarte
Dharamsala Amritsar

Auf punjabischen und kashmirischen Straßen

Bus stand at Pathankot, Punjab, India

Am Busbahnhof von Pathankot

Roadside stop, Punjab, India

Kurzer Zwischenstop in irgendeinem Provinznest

Indian Bus

Im Bus ist’s eng.

Liebe Birgit,

die letzten Tage waren etwas lang­weilig und zugleich stressig. Drei­hundert Kilo­meter in zwei Tagen, das liest sich zu­gege­bener­maßen nicht allzu spekta­kulär; aber in indischen Bussen mit einer durch­schnittlichen Reise­geschwin­dig­keit von im besten Fall von 30 km/h bedeutet das eine ganze Menge Sitzfleisch, vom Zeitverlust beim Umsteigen ganz zu schweigen.

Von Dharam­sala wieder zurück nach Pathankot, und von dort wieder zurück nach Jammu, um mein ver­ges­senes Vorhänge­schloß in der Soma Lodge abzuholen; dann nach Pathankot und weiter nach Amritsar — das sind zwei Tage voller Sitzen, Warten und In-die-Landschaft starren, die mir aber andererseits die Gelegenheit bieten, über das indische Busfahren zu schwadronieren, einen Blick in die Landschaft des Punjab zu werfen und mich über das rasche Essen am Straßenrand zu verbreitern.

Im Prinzip ist Bus­fahren in Indien einfach, definitiv einfacher als in Europa: Man geht zum Bus­bahnhof und steigt in den nächsten passenden Bus ein. Wenn man zwischen größeren Städten reist, dann braucht man selten länger zu warten, da die Busse oft im Halb­stunden­takt fahren. Damit sind die „staatlichen“ Busse gemeint, die um geringes Geld fast jede Stadt mit jeder anderen im 150-km-Radius verbinden. Reservierungen sind möglich, und angesichts des oft großen Andrangs auch empfehlenswert — aber ein einzelner Europäer findet eigentlich fast immer seinen Platz, notfalls auch am Schaffnersitz, denn die Inder sind ausländerfreundlich.

Der Fahrpreis liegt bei etwa einem Euro pro 100 km, im Gebirge auch mal mehr, im Punjab mit seiner flachen Topographie und hervorragenden Infrastruktur auch mal weniger. Die gelegentlich vorgefundenen “Super-De-Luxe-Busse” sind nicht etwa schneller, sondern rechtfertigen ihren Aufpreis mit einem on-board Videoservice, also lautstarken Hindi-Schnulzen mit zahllosen Tanzeinlagen (oder auch nur einer Sammlung von Videos bekannter indischer Popsongs), und da ziehe ich den “ordinary bus” eigentlich deutlich vor.

Punjabi Landscape with brick factory

Punjabische Landschaft mit Getreidefeld und Ziegelbrennerei

Country life in Punjab (India)

Punjabisches Landleben

Die Busse füllen sich in Minuten und dann geht es auch schon los. Der Straßen­verkehr kennt zwei Regeln: Erstens, mehr Kampf­masse gewinnt. Zweitens, der Unter­legene kann mit einer lauten Hupe Boden gutmachen. Busse punkten in beiden Disziplinen, und deshalb gewinnen sie fast immer. Statt einer ordinären Hupe zeigen sie oft mit einem vier- bis achttonigen Folgetonhorn den anderen Verkehrs­teilnehmer ihre Anwesenheit an — verständlich, denn im indischen Straßen­chaos kann man sonst schon einmal einen tonnen­schweren Bus übersehen. Das Sitzen am Dach gibt es übrigens nur noch in historischen Filmen, und das war auch schon vor dreizehn Jahren so (Ausnahmen mögen, in Indien noch mehr als anderswo, die Regel bestätigen).

Vom Himalaya kommend, ging es in das flache „Fünfstrom­land“, was einfach die Über­setzung von Punjab ins Deutsche ist. Der Punjab ist ein unglaublich frucht­bares Schwemm­land und besteht im wesentlichen aus Himalaja-Sedimenten, die sich hier seit der Eiszeit abgelagert haben. Diese „Kornkammer Indiens“ produziert vor allem Milchprodukte und Weizen, aber auch Gerste und Hülsenfrüchte, und steht wirtschaftlich an der Spitze aller Unionsstaaten. Das ist außer der freigiebigen Natur auch dem Unternehmungsgeist der Sikhs zu danken, die hier leben — aber davon wird im nächsten Brief noch mehr zu sagen sein.

Das Essen während solcher Busfahrten ist einfach, aber deshalb nicht uninteressant. Stops gibt es ja genug, an Busbahnhöfen, Mautstellen oder auch nur bereitwillig kommisionszahlenden kleinen Restaurants. Die Länge solcher Pausen ist jedoch niemals angekündigt, es dauert eben so lange, bis es zu Ende ist. Klarerweise hat man da keine Zeit für ein Dreigängemenü, aber dafür kann man sich an den verschiedenen Snacks versuchen, die am Straßenrand auf Käufer warten.

Indian food: Ingredients for Chat (Indian snack)

Zutaten für Chat

Der berühm­teste dieser Snacks ist natürlich Chat. Darunter versteht man ein Sammel­surium von diversem knusprigen Zeug, das mit gehackten Zwiebeln und Chilies vermischt und Limettensaft beträufelt wird. Meist bekommt man eine Mischung aus frittierten Kartoffeln, Erdnüssen, Hülsenfrüchten, Puffreis und winzigem Gebäck auf Weizen- oder Kicherersenbasis. Seinen letzten Schliff bekommt das Chat durch eine Gewürzmischung mit Kreuzkümmel und Koriander, die jedoch auch einen ausgeprägt schwefeligen Geschmack hat, der manchmal auf Asant, häufiger aber auf das berühmte „schwarze Salz“ (Kala Namak) zurückzuführen ist. Das ist ein Vulkansalz, das nach Soda schmeckt und nach faulen Eiern riecht — aber keine Panik, in der Praxis mundet das eigentlich jedem.

Kala Namak wird interessanterweise auch gerne frischgepreßten Fruchtsäften beigemischt, was in einem interessanten Geschmack und einem zunächst irritierenden fauligen Geruch resultiert. In einem heißen Land wie Indien helfen solche „isotonischen“ Getränke jedoch beim Mineralstoffhaushalt, und löschen den Durst daher besser als alles andere.

Frisch frittierte Snacks sind zum Beispiel Pakora, eine Art Gemüse im Ausbackteig aus Kichererbsenmehl — meine Lieblingssorte ist natürlich mit grünem Chili. Auch die knusprigen Teigtaschen Samosa mit Kartoffelfüllung bekommt man überall, entweder trocken oder mit Joghurt, saurem Tamarinden-Chutney oder irgendwelchem süßen Papp übergossen. Das Geheimnis ihrer fast blätterteigartigen Knusprigkeit ist übrigens Öl, das im ersten Arbeitsschritt unter das Weizenmehl gerieben wird, bevor man es mit Wasser zu einem Teig verarbeitet. In deutschen Indien-Restaurants gibt es Samosa meist mit Fleischfüllung, wie man sie in Indien nur sehr selten bekommt.

Indian food: Vendors of Bara (Lakhanpur, Jammu and Kashmir / Punjab border, India)

Bara-Verkäufer

Indian food: Golgappa, Panipuri, Indian Snack

Gol Gappa (auch Panipuri)

Indian food: Bara with tomato sauce

Bara mit frisch geraspeltem Rettich und Tomatensauce

An der Maut­stelle in Lakhan­pur, fast genau an der Grenze zwischen J & K und Punjab, wurde der Bus plötzlich von einer Unzahl hoher Gestalten umringt, die auf dem Kopf riesige Metall­teller balancier­ten, so daß die im Bus Sitzenden den Inhalt genau auf Augen­höhe prä­sentiert bekamen: Es war Bara, frittierte Laibchen aus Hülsen­früchten, die entweder mit Joghurt oder einer Chili-Tomaten-Sauce serviert und stilecht in Zeitungspapier eingewickelt serviert wurden. Wer nicht schnell genug ißt, der kann es nur noch von der Hose wischen.

Den eigen­willigsten Snack dieser Art habe ich heute in Amritsar probiert: Gol gappa. Das ist ein etwa 5 cm langes, elliptische und sehr knuspriges Hohl­gebäck aus Weizen­mehl mit einem großen Loch an der Seite. Der Verkäufer füllt es geschickt und blitzartig mit salzigen und süßen Flüssigkeiten, einem Klecks Kartoffelpüree und/oder irgendetwas Knusprigem, und reicht es an den Kunden weiter, der das Ding dann ebenso rasch in den Mund stecken muß. Nach dem Zerbeißen zweier Testexemplare hatte ich den Mund voller Salz- oder Zuckerwasser und blickte etwas unglücklich in die Landschaft.

Da ich ja bereits in Amritsar bin, kannst Du bald mit einem Brief über die Sikhs und ihre Küche rechnen.


Dharamsala Amritsar

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