Landkarte
Lothal Nicht zu verwechseln mit Patan 1, Patan 2 (Nepal) Modhera

Patan પાટણ (Gujarat)

Durga fighting Mahisha (Rani ki Waw, Patan, Gujarat)

Die Göttin Durga im Kampf mit dem Dämon Mahisha (siehe auch Mysore)

Main steps to Rani ki Waw, Patan, Gujarat

Die Zugangstreppe des Rani ki Waw

Liebe Birgit,  

nein, das ist kein Déjà-vu — ich bin in Patan, einer Klein­stadt in Gujarat und nicht zu ver­wechseln mit der fast gleich­namigen Stadt in Nepal, aus der ich vor ein paar Monaten berichtet habe. Patan ist eine histori­sche Stadt mit einer mehr als tausend­jährigen Geschichte, aber leider fast ohne histori­sche Bau­substanz, da es Anfang des 13. Jahr­hunderts von einer muslimi­schen Armee aus Delhi voll­ständig ge­schleift wurde.

Kalki Avatar, stone carving in Rani ki Waw, Patan, Gujarat

Kalki, der zehnte und zukünftige Avatar Vishnus

Varaha Avatar, stone carving in Rani ki Waw, Patan, Gujarat

Varaha, der dritte Avatar Vishnus

View in Rani ki Waw, Patan, Gujarat

Blick von der Treppe nach Westen.

Patola silk weaving, Patan, Gujarat

Patola-Tuch

Allerdings hat sich durch einen Zu­fall einer der schön­sten und größ­ten Stufen­brunnen Indiens er­halten. Dieses spekta­kuläre Bau­werk war völlig ver­schlammt und in Ver­gessen­heit ge­raten, wurde aber seit 1960 vom Archeo­logical Sur­vey of India vor­bild­lichst kon­ser­viert und be­dacht­sam re­stauriert. Anders als die prak­tisch voll­ständig intakten Stufen­brunnen Amdavads ist der Rani ki Vav (der „Stufen­brunnen der Königin“) sofort als Ruine zu erken­nen, was dem grandi­osen Ein­druck aller­dings keinen Ab­bruch tut.

Eine breite Haupt­treppe führt etwa 20 m tief in den Boden; wegen des Fehlens von Zwischen­stock­werken ist die ganze An­lage sehr hell, und die gut sicht­baren, über­reich deko­rierten Wände wirken fast so bilder­gewaltig wie die etwa gleich alten Tempel von Khaju­raho, wenn auch viel „morali­scher“. Man wähnt sich fast in einem Amphi­theater, in dem man als Gladia­tor vor den Augen des gesam­ten hinduisti­schen Pan­theons auf­treten muß. Viele der Statuen sind erstaun­lich gut er­halten und zeugen von hoher Kunst­fertig­keit: Die Waffen der viel­armigen Göttin Durga sind so fili­gran gearbei­tet, daß sie beim Hin­sehen abzu­brechen drohen, und die von eber­köpfigen Varaha geret­tete Erd­göttin Prithivi greift diesem ver­trauens­voll an die Schweins­nase. Außer Varaha sind noch weitere In­karna­tionen Vishnus zu sehen, darunter auch die selten dargestellten Buddha und Kalki.

Gujarat ist für das hohe Niveau sei­ner Textil­tradi­tionen be­kannt. Hier in Patan gibt es eine in Indien einzig­artige Färbe- und Web­technik namens Patola, die nur mit den Doppel-Ikats aus dem bali­nesischen Dorf Tenganan ver­glichen werden kann: Schuß- und Kett­fäden werden vor dem Ver­weben so ge­finkelt einge­färbt, daß sich nach dem Weben ein Muster ergibt. Der offen­sicht­liche Vorteil dieser kom­plizier­ten Logistik ist, daß die solcher­art gewebten Tücher von beiden Seiten exakt gleich aus­sehen. Aus prak­tischen Gründen sind diese Muster auf horizon­tale und verti­kale Elemente beschränkt, so daß die fertigen Gewebe irgendwie „verpixelt“ aussehen, aber das tut der Bewunderung für diese raffinierte Technik keinen Abbruch. Die Preise beginnen bei etwa 30 € für ein taschen­tuch­großes Verschnitt­stück, und reichen bis zu mehreren tausend Euro für einen ganzen Seiden­sari. Nur ganz wenige Familien stellen solche Patola-Stücke her, aber deren Auftrags­bücher sind so gut gefüllt, daß sie auf besichtigende Touristen keinerlei Druck zum Kauf ausüben müssen.

Jain Temple, Patan, Gujarat

Halle im Jain-Tempel von Patan

Rabbit in Sri Patan Panjrapol

Kaninchen im Panjrapol

Roadside Acrobat, Patan, Gujarat

Erschreckend: Ein Mädchen verdient Geld als Seiltänzerin am Straßenrand.

City wall of Patan, Gujarat

Die Stadtmauer; im Vordergrund ein darangeklebtes Haus.

Meine beiden Reise­führer erwäh­nen keine wei­teren Sehens­würdig­keiten, aber damit liegen sie falsch: Der alte Teil von Patan hat ein etwas un­spekta­kuläres aber liebens­wertes Er­schei­nungs­bild und bietet zu­min­dest einen ganz sehens­werten Jain-Tempel. Eine Ein­richtung namens Sri Patan Panjra­pol brachte mich zum Schmun­zeln: Hier pfegen Jains diverse herren­lose Tiere, da­run­ter Kühe, Tau­ben, Wasser­büffel und Kanin­chen. Man könn­te das Panjra­pol fast für eine Art Streichel­zoo halten, wäre der Boden nicht fast durch­gehend mit Exkrement bedeckt.

Richtig er­staunlich ist jedoch die Stadt­mauer, die aus dem 15. Jahr­hundert stammt und in stark schwan­kender Quali­tät erhalten ist. Der untere Teil ist aus Stein ge­mau­ert, und darauf kam ein Ziegel­aufbau, was ins­gesamt etwa 8 m Höhe ergibt. Unter die großen Stein­quader für die Mauer haben sich auch einige Steine mit hin­duisti­schen oder jainisti­schen Symbolen gemengt — ein sicheres Zeichen, daß die Mauer von Muslimen erbaut wurde, die die Tempel der Stadt als Stein­bruch mißbrauchten.

Die Mauer wird von mehre­ren Toren durch­brochen, an denen mittler­weile wenig­stens einige Re­stau­rie­rungs­arbeiten laufen. Ent­lang ihrem Ver­lauf ver­fällt sie aller­dings ganz unge­hindert, und das läßt sich auch nicht leicht ändern: Auf der Innen­seite hat sich in­zwischen eine nur von den Toren unter­brochene Reihe von ein­fachen Behau­sungen ge­bil­det, deren Be­wohner zwar formaler­weise als städti­sche Bürger gelten müssen, aber in Wirklich­keit das Leben der dörf­lichen Land­bevölke­rung leben. Über­haupt ist es erstaun­lich, wie länd­lich Patan außer­halb des Stadt­kernes, aber noch inner­halb der Stadt­mauer wirkt — der Ort scheint in den letzten Jahr­hunderten beträchtlich geschrumpft zu sein.

Gujarati chickpeas

Das Schlimmste, das Menschen Kichererbsen antun können: Zucker

Nach diesem Loblied auf Patan muß ich nun leider auf den Pferdefuß zu sprechen kommen: Die Küche in Gujarat ist, naja, etwas merkwürdig und hat die zweifelhafte Aus­zeichnung, mir als einzige indische Regional­küche nicht besonders zu schmecken. Zwar ißt man in Gujarat grundsätzlich nicht viel anders als in den Nachbar­staaten, aber die Gujarati haben die absonderliche Eigenschaft, alles zu zuckern.

In Amdavad hatten mich die zahl­reichen Muslim-Restau­rants und die auf Punjabi-Küche spe­zi­ali­sier­ten vege­tari­schen Lokale davor be­wahrt, allzu­oft in den Zucker beißen zu müssen. In Patan herr­schen aber eher die typisch gujarati­schen Ver­hält­nisse, und ich habe noch kein einziges Non-Veg-Restau­rant gesehen: Gujarat hat den höchsten Vegetarier­anteil von allen indischen Unions­staaten. Der Staat ist ja zu­gleich Hoch­burg des Jainismus als auch Heimat von Mahatma Gandhi, der Zeit seines Lebens in der vege­tari­schen Er­näh­rung einen Schritt zur moralischen Vervoll­kommnung des Menschen sah. Ebenfalls als Ver­beugung vor Gandhi lassen sich übrigens die strengen Anti-Alkohol-Gesetze in Gujarat deuten.

Während ich gegen vegetarisch wirklich nichts einzuwenden habe, geht mir der Zucker schwer auf die Nerven. Er ist überall drin: In den Linsen, in den Kartoffeln, im Gemüse­curry und bald auch in meinen Alpträumen. Fairer­weise muß man sagen, daß die Gujarati durchaus auch andere Gewürze wie Kreuz­kümmel oder Chili anwenden können, aber eben immer nur gemeinsam mit Zucker. Seufz.

Gujarati Thali

Von oben im Uhrzeigersinn: Zuckriger Kartoffelcurry, total ver­zuckerte Tomaten, süßes Dal und zucker­süße Schwarzaugen­bohnen. Autsch!

Gujarati Dining Hall

Dining Hall

In Guja­rat gibt es viele Restau­rants, die im we­sent­lichen nur ein Menü an­bieten: Thali, also (Metall)teller. Diese Lokale nen­nen sich gerne etwas hoch­trabend “dining hall” und bieten bil­liges und reich­haltiges Essen für Beruf­stätige. Meist bekommt man ungefähr vier ver­schiedene Speisen, typischer­weise einmal Linsen, einmal andere Hülsen­früchte, einmal Kartof­feln und was der Markt jahres­zeit­lich bedingt eben noch her­gibt; dazu kommen noch Reis und Brot. Die Zu­bereitungs­art wechselt täglich, so daß man auch ohne Lang­weile zum Stamm­kunden werden kann. Dienst­bare Geister laufen durch die Halle, um alles nach­zufüllen, denn man darf immer bis zur Sät­ti­gung essen. Ein solches Thali kostet typischer­weise weit unter einem Euro; Getränke außer Leitungs­wasser gibt es meist gar keine, und diese auf Massen­durchsatz angelegten Lokale tun sich auch meistens schwer, mir größere Mengen Tee aufzutreiben.

Und so ha­be ich in den letzten Ta­gen ge­ges­sen: Ge­wöhn­li­chen Linsen­brei (gezuckert), schar­fen Kar­tof­fel­curry (gezuckert), ge­schmor­te Auber­ginen (gezuckert), wür­zige Schwarz­augen­bohnen (gezuckert), Kicher­erbsen in Zucker­sauce, trockene Kicher­erbsen (er­freu­licher­weise ungezuckert) und ein sehr fruch­tiges Ge­richt aus ge­schmor­ten Tomaten, das optisch ein biß­chen italie­nisch wirkt, aber bis zur Sirup­grenze gezuckert ist. Es er­innert ein bißchen an das eben­falls süße Tomaten­chutney aus Orissa, das ich in Gopalpur so gerne gegessen hatte, ist aber viel zuck­riger und enthält kein Panch Phoron, dafür aber zugegebener­maßen ganz impressive halb­verkohlte Chilies.


Lothal Modhera

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