Landkarte
Bhubaneshwar Visakhapatnam

Gopalpur ଗୋପାଲପୁର (Odhisha)

Villigae people a taking a bath in fron of Pandanus odoratissimus foliage, near Gopalpur, Orissa, India

Dörfler baden in einem kleinen Teich vor einem Gestrüpp aus Kevra-Palmen

Tropical houses in Gopalpur-on-Sea, Orissa (India)

Häuserfront entlang der „Hauptstraße“

Lighhouse in Gopalpur-on-Sea, Orissa (India)

Der Leuchtturm von Gopalpur

Danish impressions in India: Mermaid at the beach of Gopalpur-on-Sea, Odisha (India)

Kopenhagen? Nein, Gopalpur!

Temple in Gopalpur-on-Sea, Orissa (India)

Tempelschmuck

Liebe Birgit,

trotz all des Är­gers in Bhuban­eshwar habe ich Orissa noch nicht ab­ge­schrie­ben: Statt­dessen sitze ich gerade in Gopal­pur (in engli­schen Texten auch oft als Gopal­pur-on-Sea be­zeich­net), einem klei­nen Bade­ort im Ganjam-Distrikt im Süden Orissas. Der Strand und der Wellen­gang er­innern ein bißchen an die Adria, die Meer­jungfau am Strand dagegen eher an Däne­mark, und die Hitze ist sehr süd­indisch. Der winzige Ort hat keine Sehens­würdig­keiten bis auf den rot–weiß ge­streif­ten Leucht­turm und die ge­pfleg­te Garten­anlage inner­halb des von der Leucht­turm-Mann­schaft scherz­haft jail ge­nann­ten Bezirks, in dem sich fast ihr ganzes Leben abspielt.

Das Dorf be­steht nur aus ein paar langen Gas­sen mit dicht-an-dicht auf­einander­folgenden Häuser­fassaden, die oft bunt bemalt sind; unter den schatten­spenden­den Dächern ächzen und stöhnen die Inder über die un­mensch­liche Hitze, die regel­mäßig 40°C übersteigt. Zwischen den Häusern und der Straße fließen einer­seits die Wasser­leitung, mit öf­fent­lichen Brunnen alle paar Meter, und anderer­seits die nur ober­flächlich ver­baute Kloake, deren Geruch bei solchen Tem­pera­turen ja leicht zu er­raten ist — schlim­mer ist es nur noch am Strand der Fischer, die hier täglich sig­nifi­kante Mengen Fisch aus dem Was­ser ziehen und bis nach Chennai und Bangalore verkaufen. Die Hindu-Tempel mit ihren bunt be­mal­ten Figuren am Ein­gang zeigen bereits die Nähe zum süd­indi­schen Bau­stil an.

Pandanus odoratissimus: Kewra palm tree showing airial roots (Gopalpur, Orissa, India)

Kewra-Palme mit Luftwurzeln

Pandanus odoratissimus: Open Male Kewra flower (Gopalpur, Orissa, India)

Geöffnete Kewra-Blüte

Kwra-scented incense sticks from India

Kewra-Räucherstäbchen

Distilling Kewra oil (Pandanus odoratissimus) in Kelua Pulli, near Gopalpur, Orissa, India

Eine Kevra-Destille in Betrieb

Pandanus odoratissimus: Male Kewda flower (Gopalpur, Odisha, India)

Männliche Kewra-Blüte

Collecting Kewda Flowers in Gopalpur, Odisha (India)

In dieser Halle werden die Blüten gesammelt …

Distilling Kewda flowers in Gopalpur, Odisha (India)

… aber die Kessel bleiben heute kalt.

Bei all sei­ner Lieb­lich­keit ist Gopal­pur eigent­lich keinen län­ge­ren Auf­ent­halt wert — wäre da nicht Kia. Dieser Oriya-Name be­zeich­net die sonst in Nord­indien eher Kewra oder Kewda ge­nannte und bei uns als Pan­danus oder Schrau­ben­palme be­kannte Pflanze, aus deren männ­lichen Blüten ein ex­quisi­tes Par­füm und Gewürz ge­won­nen wird. Es handelt sich um einen palmen­ähn­lichen Baum oder Strauch, der ent­lang der indi­schen Ost­küste rie­sige Be­stän­de bildet, aber nur hier in der Region kom­mer­ziell be­erntet wird. Die etwa 50 cm langen männ­lichen Blüten­stände werden vor Ort destil­liert, wobei ätheri­sches Öl in ver­schie­denen Qualitäts­stufen an­fällt, und als Neben­produkt erhält man das kewra water, das gerne zum Aromati­sieren moguli­scher Reis­speisen und ver­schie­dener Süßig­keiten ver­wendet wird.

Allerdings ist hier in Orissa die kuli­nari­sche Ver­wen­dung ver­gleichs­weise un­bekannt. Ob­wohl die Süß­speise Ras gulla (in Sirup ge­kochte Frisch­käse-Bäll­chen) sogar aus Odhisha stammt, wird es hier ohne kewra water serviert; die Be­geiste­rung für blumige Parfüm­noten im Essen scheint eher ein mu­slimi­scher Charakter­zug zu sein, den man heute am ehesten an nord­indischen Orten mit Moghul­vergangen­heit wie Delhi oder Agra an­trifft, und natürlich im per­si­schen und arabi­schen Raum — ich sage nur „Roseneis“!

So gesehen ist es viel­leicht kein Zu­fall, daß ich nach viel Herum­fragen schließ­lich auf einen Ange­hörigen der Moslem-Minder­heit stieß, der mir Näheres über den Kewra-Anbau und die Destilla­tion er­zählen konnte, und mir den Weg zu einer Destil­lerie wies. So machte ich mich heute um acht Uhr (mit drei Idlis im Magen) per Fahr­rad auf, um die ca. 2 km ent­fernte Stätte auf­zusuchen. Den Geruch der frisch­geern­teten Kewra­blüten war be­reits von der Straße aus zu be­merken, ob­wohl höch­stens 30 davon am Boden lagen. So­lange die Hüll­blätter ge­schlos­sen sind, sieht so eine Blüte etwa wie ein sehr junger, einge­wickelter und in die Länge ge­zogener Mais­kolben aus; nach dem Öffnen er­kennt man dann, daß sie aus ein­zel­nen Hüll­blättern und ge­kräusel­ten Staub­gefäßen ent­lang einer Achse auf­gebaut ist — aber in dieser Phase ist der Duft schon weit­gehend ver­loren, wes­wegen man täg­lich im Morgen­grauen ernten muß. Im Lauf der näch­sten Stunden trafen weitere Ladun­gen von Blüten ein, die den Bauern mit bis zu 8 Rupye pro Stück gutes Geld bringen, und das Aroma unter dem stroh­gedeck­ten Dach nahm fast be­täuben­de Stärke an.

Aber die Rei­he von kleinen Destil­len, stil­echt be­feuert mit dem Wurzel­holz der Kewra-Bäume, wurde heute nicht in Be­trieb ge­nom­men; da es Neben­saison ist, kon­zentriert sich die Weiter­verarbei­tung auf einige größere An­lagen, die gegen Mittag die Ernte des von mir be­such­ten Dorfes abholen lassen.

Das kuli­narische An­gebot in Gopal­pur ist von zwei gänz­lich ver­schie­denen Arten: Am Strand gibt es mehrere Fast-Food-Hütten und klei­nere Restau­rants (die großen haben jetzt in der Neben­saison ge­schlos­sen), die sich auf die im letzten Brief be­schrie­bene so­genannte „chine­sische“ Küche spe­ziali­sieren. Näher am Orts­kern fand ich dagegen eine urige Ein­heimi­schen-Futter­stelle mit sehr guter lokaler Odhisha-Küche zu phäno­menalen Preisen. Was man bekommt, ist tages­zeit­abhän­gig, aber man kann es mit Idli, Masala Dosa und Thali ver­suchen, irgend­etwas davon wird schon zu vor­handen sein.

Indian Food: Odhisha Thali

Ausgezeichnetes Thali

Indian Food: Chips (fried potato and bittermelon slices)

Chips mit Bittermelone

Indian Food: Spicy tomato chutney

Süß–fruchtig–scharfes Tomatenchutney

Das Thali war mit ins­gesamt fünf Gemüse­gerichten plus Dal plus Jo­ghurt gerade­zu ver­schwende­risch viel­fältig. Neben einem pikanten aber ziem­lich stan­dardi­sierten Gemüse­curry gab es noch ein trockenes Au­berginen­curry (Bharta) und ein eben­falls trockenes, ziemlich schar­fes Kar­toffel­gericht, das sich als die Fül­lung zu den Masala Dosas heraus­stellte. Zwei typisch bengali­sche Spe­ziali­täten rundeten das Angebot ab: Chips, also ge­bratene Kartoffel­scheiben, zwischen die sich ein paar Scheiben Bitter­melone ver­laufen haben, und ein phantas­tisch fruch­tiges Tomaten­chutney aus ge­hack­ten Tomaten, die mit der Panch-Phoron-Gewürz­mischung in Öl an­gebra­ten und dann mit Salz und Zucker ab­geschmeckt werden. Da es mir schließ­lich auch gelang, dem Wirt mein An­liegen zu kom­muni­zieren, zu jeder Mahl­zeit groß­zügige Mengen an un­gezucker­tem schwarzen Tee serviert zu be­kommen, esse ich jetzt nur noch dort.

Die Idli (ge­dämpfte Laib­chen aus leicht fer­mentier­tem Reis–Bohnen-Teig) wurden gestern morgen, wie üb­lich, mit einem natur­süßen Kokos­chutney und einem scharfen Kicher­erbsen–Kartoffel-Curry serviert, zu­sätz­lich gab es aber wieder die­selbe fruch­tigen Tomaten­speise wie am Tag davor, das war ein­fach ein Gedicht, und ich habe ins­gesamt acht Stück zum Früh­stück ver­drückt; Du wirst Dich wohl erinnern, daß das meinen Früh­stücks­gewohn­heiten über­haupt nicht ent­spricht, aber da konnte ich ein­fach nicht auf­hören (und es war ja auch schon 11 Uhr).

Ein kleiner Ex­kurs zum Ende: Bitter­keit ist in Bengalen, und offen­bar auch in Orissa, tat­säch­lich eine in gewissem Maß ge­schätzte Ge­schmacks­richtung, wobei vor allem zwei Gemüse in Be­tracht kom­men: Einer­seits die Bitter­melone (Karela), eine Gurken­art mit rauher längs­rippiger Ober­fläche (so wie ein Kroko­dil, das sich als Zuc­chino tarnen möchte) und großen, knuspri­gen Samen, die anders als alle ihre Ver­wand­ten die für die Gruppe typi­sche Bitter­keit trotz Kulti­vierung bewahrt hat. Als zweites Bitter­gemüse dienen ein­zig­artiger­weise die Blät­ter des Neem-Baumes. In jeder größeren Speisen­auswahl sollte sich ein bit­teres Gericht be­finden, das ist nach Meinung der Ein­heimi­schen näm­lich gut und gesund, auch wenn ich dieser These nicht viel ab­ge­win­nen kann, denn mir schmecken Bitter­melonen nur nach weit­gehender Ent­bitte­rung (das er­reicht man ein­fach da­durch, daß man sie ein paar Stunden in Salz und Zitronen­saft mariniert).

Und mit diesem Bericht über eines der ungewöhnlichsten aller Gewürze ist meine Reise durch Odhisha zu Ende. Nächste Woche fahre ich nach Andhra Pradesh.


Bhubaneshwar Visakhapatnam

Agra, Āgrā, Āndhra Pradeś, Andhra Pradesh, Bangalore, Bĕṅgaḷūru, Bharta, Bhartā, Bhubaneśbar, Bhubaneshwar, caṭnī, Cĕṉṉai, Chennai, Chips, chutney, Cips, Dal, Dāl, Delhi, Dillī, Ganjam, Gañjām, Gopalpur, Gopālpur, Idli, Iḍlī, Idlis, Iḍlīs, Indien, indischer Subkontinent, Karela, Karelā, Kevḍā, Kevra, kevṛā, Kevṛāblüten, Kewda, kewra, Kewrablüten, Kia, Kiā, København, Kopenhagen, kulinarische Reiseberichte, Masala Dosa, Masālā Dosā, Masala Dosas, Masālā Dosās, Moghulvergangenheit, mogulischer, moġulischer, Moġulvergangenheit, Neem, Nīm, Odhisha, Oṛiā, Oṛiśā, Oṛiśās, Orissa, Orissas, Oriya, Panch Phoron, Pañc Phoron, Parfüm, Ras gulla, Ras Gullā, Reisebriefe, Thali, Thālī