Landkarte
Bodhgaya 2 Siehe auch Sarnath Nalanda

Rajgir राजगीर (Bihar)

Horse-drawn Coaches (Tonga) in Rajgir, Bihar (Northern India)

Pferdewagen (Tanga)

Traffic scene with ox-drawn carriage and water buffalo, in Rajgir, Bihar (Northern India)

Der Verkehr in Rajgir wirkt nicht besonders urban

Liebe Birgit,

die Klein­stadt Rajgir ist eine tri­religi­öse Pilger­stadt und wird sowohl von Hindus, Jains als auch Bud­dhisten gerne besucht; nur Aus­länder lassen sich hier selten blicken, sondern be­sich­tigen die Sehens­würdig­keiten wenn überhaupt in Form eines Ein­tages­ausfluges von Bodh­gaya. Ich finde es aber ganz nett hier, auch wenn es natür­lich viel indischer (heißt: lärmiger und schmutziger) als im friedlichen Bodhgaya zugeht: Heilige Kühe pissen un­geniert auf die Straßen, LKWs bahnen sich laut­stark hupend einen Weg durch die Haupt­straße, und jeder will bei mir mit seinem Wissen über die austra­lische Cricket-Mann­schaft glänzen.

Auf der an­deren Seite gibt es we­nig­stens kei­ne knat­tern­den Auto­rikshas; statt­dessen wird der Markt für den gemie­teten In­dividual­transport von ge­räumi­gen zwei­rädrigen Pferde­kutschen be­herrscht. Diese Tanga genannten Ge­fährte habe ich nur in beson­ders länd­lichen und rück­ständigen Gebieten in Bihar ge­sehen; auf Eng­lisch werden sie übri­gens meist Tonga ge­schrie­ben, wohl um schlüpf­rigen As­sozia­tionen vor­zubeugen. Sie sind ange­nehmer zu benutzen als die sonst üblichen Fahrrad­rikshas, und natürlich viel nach­haltiger als die motori­sierten Versionen. Mitunter trifft man auch auf vier­rädrige Kutschen, die so wunderbar ana­chronis­tisch aussehen, daß man glaubt, in einer Hochzeits­szene für einen Kostüm- oder Schnulzen­film gelandet zu sein.

Hindus taking a bath in Brahmakund Temple complex, near Rajgir, Bihar (Northern India)

Hinduistisches Baden im Brahmakund

Muslim bath complex Makhdum Kund, near Rajgir, Bihar (Northern India)

Muslimischer Gebetsplatz am Makhdum Kund

Sri Svetambara Jain Mandir in Rajgir, Bihar (Northern India)

Der Swetambara Jain Mandir

In der Stadt stehen et­liche Pilger­heime für Jain-Pilger, die zu den beiden Jain-Tempeln der Stadt wall­fahrten; die Gurus der Digam­bara-Sekte treten nackt auf und die der Svetam­bara-Sekte bekleidet, aber sonst gibt es nicht viel Unter­schied zwischen den beiden. Auch wenn es in Bihār heute nur eine ver­schwin­dend kleine Jain-Minder­heit gibt (of­fiziel­le Zahlen sprechen von 0.03%), so spielt dieser Bundes­staat doch für die Jains genau die­selbe Rolle wie für die Bud­dhisten: Er ist des Ent­stehungs­gebiet ihrer Religion und voller heiliger Orte, manch­mal sogar mit er­halte­nen Bau­werken. Rajgīr gilt als Geburts­ort des Zwan­zigsten Furt­bereiters, Sri Muni­suvrata­nath, der in den beiden Jain-Tempeln mehrfach abgebildet ist (zu erkennen an der Schildkröte).

Auch für die Hindus bietet Rajgīr spiri­tuelle At­trak­tionen: Zwei Kilo­meter südlich der Stadt zieht sich ein mittel­großer, elfenbein­weiß bis rosa­rot ein­gefärbter Tempel­komplex an der Flanke eines dürr be­wach­senen Hügels hinauf; der Ort ist als Sapta­dhara oder Brahma­kund bekannt, wird aber meist nur einfach als Kund be­zeich­net, worunter in ganz Nord­indien ein quadrati­sches, all­seitig von Stufen ein­gefaß­tes Wasser­becken ver­standen wird. Dort gibt es nämlich mehrere heiße und kalte Quellen, die von den Hindus gerne zum rituellen Baden genutzt werden. Die Frauen-Bade­becken sind für Nicht-Hindus gesperrt, aber mich wollten sie in die trübe Brühe zerren.

Am gegen­über­liegen­den Hügel betreibt die kleine mu­slimi­sche Gemein­schaft eben­falls eine Bade­anstalt; dort gibt es aber nur kaltes Wasser (ein Besucher ver­sicherte mir, das Wasser sei am Morgen heiß und am Abend kalt, aber das muß ich auch un­geprüft für eine Legende halten). Dieser nach einem Sufi des 16. Jahr­hunderts benannte Makhdum Kund bietet zwar weniger Stim­mung und nur mittel­prächtige Archi­tektur, aber am Ende dieses Briefes werde ich darauf zurück­kommen, und zwar wegen der vielen muslimi­schen Restaurants vor dem Eingang.

Buddhist peace pagoda (Vishwashanti stupa) near Rajgir, Bihar (Northern India)

Der Vishvashanti Stupa

Airial ropeway to Vishwashanti stupa, near Rajgir, Bihar (Northern India)

Ein echter Sessellift!

Nipponzan-Myohoji Japanese Buddhist Temple near Vishwa-Shanti-Stupa, Rajgir, Bihar (Northern India)

Der photogeschützte japanische Tempel

Burmese Buddhist stupa, in Rajgir, Bihar (Northern India)

Burmesischer Stupa

Zuletzt zu den Bud­dhisten. Die­se nutzen Rajgīr meist als Sprung­brett zur 12 km ent­fernten Ruinen­stätte von Nalanda, aber auch in der nä­heren Um­gebung der Stadt kann man einiges Bud­dhisti­sches sehen. Nur einen halben Kilo­meter im Süden von Rajgīr steht ein Doppel­komplex aus einem burmesi­schen und einem bengali­schen Tempel, die beide auch ganz gut in das multi­nationale Umfeld von Bodhgaya gepaßt hätten. Beson­ders in Erin­nerung bleiben die Buddha-Figuren im burmesischen Tempel, die mit ihren hoch­glanz­polierten Gold­gesichtern irgend­wie kontur­los wirken, und natür­lich der weit­hin glänzende burmesische Stupa in Kegelform.

Folgt man der Straße weiter, so kommt man erst am Kund vorbei und nach wei­teren zwei Kilo­metern zu einer Ab­zwei­gung, die zum strahlend weißen Vishva Shanti Stupa führt, dem „Stupa für all­umfas­senden Frieden“. Die Strecke kann man mit dem Bus oder (natürlich viel stil­voller) mit der Tonga zurück­legen und dabei die Aus­sicht auf halb­wüstige Hügel genießen, die eigentlich auch in Raja­sthan stehen könnten.

Der Vishva­shanti Stupa steht auch auf so einem Hügel, aber den schweiß­treiben­den Auf­stieg kann man sich sparen: Statt­dessen steht ein echter Sessel­lift zur Ver­fügung, auf dessen bunt an­gemalten Sitzen man in fünf Minuten fast laut­los über den grünen Wald empor­schwebt. Dieses rare Ver­gnügen ist die saf­tigen 60 Ru für die Fahr­karte alle­mal wert. Be­trieben wird das techni­sche Wunder­werk auf die indische Art, also mit un­glaub­lich viel Personal, das die mit dieser Transport­form wenig vertrauten Inder ohne viel Feder­lesen in die ankommenden Sitze schubst.

Ist man dann oben an­gekom­men, kann dann den großen Stupa um­runden und den Trom­mel­schlägen im nahen Tempel lauschen oder einfach nur den Aus­blick auf die staubig–dunstige Ebene genießen. Der ganze Komplex wird von einer japani­schen Gruppe be­trieben (Nipponzan-Myohoji 日本山妙法寺, siehe auch Ampara), und der Tempel ist wunder­schön mit Holz­schnitzereien und Bronze­gehängen geschmückt, aber leider trübt ein Photo­verbot die gute Stimmung. Nach dem Abwärts­schweben kann man sich wieder eine Tonga mieten, oder zur Straße wandern und auf einen der häufigen Langstrecken­busse aufspringen.

Indian Food: Water-based chicken curry

Hühnercurry

Indian Food: Alu Bhaji (Fried potatoes)

Gestiftelte Kartoffeln

Indian Food: Water-based egg curry (Anda curry)

Eiercurry

Mouse eating from food servings, in a cheap restaurant at Rajgir, Bihar (Northern India)

Die Hygiene im New Bengal Hotel ist ausbaufähig

Beim Essen macht Rajgīr gar keine schlech­te Figur. Meine Stamm­kneipe wurde das New Bengal Hotel schräg gegen­über vom Bus­bahn­hof, dessen Koch mit einem simplen aber erst­klassi­gen Hühner­curry punktet: In der nord­indischen Diktion bedeutet „Curry“ ja im wesent­lichen ein länger gekochtes, gut gewürztes Gericht, das seinen Ge­schmack in einem ersten Schritt durch eine Mischung aus in Fett an­gebra­tenen Zwiebeln und Gewürzen verdankt. Dazu werden ge­trock­nete Gewürze (Zimt, Cardamom und sogar Pfeffer­körner) mit Zwiebeln und andere frische Zutaten (Knob­lauch, Ingwer) langsam ge­schmurgelt, dann kommt das Fleisch hinzu, und zuletzt wird mit Wasser auf­gegos­sen. Wenn gerade kein Huhn da ist, gibt es statt­dessen einen analogen Curry mit hart­gekochten Eiern (Anda).

Wassercur­ries sind nicht un­be­dingt die Spitze der kuli­nari­schen Raf­fines­se; elabora­tere Curries würden Joghurt, halb­flüs­sige Gemüse (To­ma­ten, Spi­nat) oder (nur im Süden oder in Sri Lanka) Kokos­milch ver­wenden. Aber in die­sem Fall ist das Resul­tat außer­ordent­lich be­friedi­gend, was vor allem an der wirk­lich genialen Würzung liegt: Der Koch hält sich mit Chilies zurück, so daß sogar die in Indien selten cha­rakter­bestim­menden Pfeffer­körner ihre Quali­täten hervor­ragend ent­falten können. Unter den Gemüsen im New Bangal Hotel haben mich die mit viel Curcuma und Kreuz­kümmel gewürzten trockenen Kar­toffel­spalten (Alu Bhaji) am meisten be­ein­druckt; tages­weise gibt es aber auch Okra (Bhindi) oder Wachs­kürbis (Parwal).

Indian Food: Sikh Kebab (minced meat on a spit)

Sik Kebab

Indian Food: Paratha, Indian folded bread

Paratha: Roher Teig und fertige Brotfladen

Noch bes­sere Fleisch­küche be­kommt man natürlich bei den Moslems. Vor dem Makhdum Kund bieten einige bil­lige Moslem-Kneipen ihre Pro­dukte an. Ich ent­schied mich für ein Rind­fleisch-Korma, und dazu noch Sikh Kabab, also die indi­sche Version eines türkischen Şiş Kebap aus ge­hacktem Lamm oder Rind. Das Hack­fleisch wird dazu ziem­lich intensiv gewürzt, und zwar mit jenem eigent­lich nur im Nord­westen Indiens ver­brei­teten halb­scharfen Paprika-Pulver, das für die Kashmir-Küche besonders typisch ist. Das gibt einen guten Geschmack und eine ziegel­rote Farbe, die es un­mög­lich macht, zu ent­scheiden ob das Fleisch jetzt eigent­lich ge­grillt oder roh auf den Tisch kommt. Wie gut es durch­gebraten war, bemerkt man aber meist innerhalb von 24 Stunden.

Dazu gönn­te ich mir das gefal­tete Brot Paratha, zu dem ge­ölter Teig kunst­voll ver­flochten und dann auf einer heißen Platte oder Pfanne gegart wird; die blätt­rige Kon­sistenz ergibt ein sehr an­geneh­mes Mund­gefühl. Und natürlich trank ich dazu den obliga­tori­schen Tee: Beim Wandern auf den Hügeln hatte ich große Be­stände von Hei­li­gem Basili­kum gefunden, und zwar einen noch nie gesehenen Chemo­typ mit einem wunder­bar reinen Zitronen-Aroma; im Tee schmeckte das geradezu um­werfend. Dieses Basilikum wird übrigens von einer ganzen Heer­schar von Frauen gejagt und gesam­melt und trocknet dann auf einem offenen Platz gleich an der Straße, wobei sich ein inten­siver Citrus­duft ent­wickelt; Indien ist ja das Land der extremen Gerüche, und diese Art von Extrem lasse ich mir gerne gefallen.


Bodhgaya 2 Nalanda

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