Landkarte
Chittor Siehe auch Mount Abu, Girnar, Sravanabelagola Kumbhalgarh

Ranakpur राणकपुर (Rajasthan)

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Der Surya Narayan Mandir in Ranakpur ist nur ein kleiner Nebentempel, aber seine Fassade besteht aus reinem Marmor

Shepherd with goats in Aravali Mountains near Ranakpur, Rajasthan (India)

Ziegenhirte auf der Straße vom Hotel zum Ranakpur-Tempel

Local resident's house (or hut) in Aravalli Mountains near Ranakpur, Rajasthan (India)

Haus in den Aravali-Bergen nahe Ranakpur

Liebe Birgit,

Ranak­pur ist irgend­wie etwas Außer­gewöhn­liches. Es ist keine Stadt, nicht einmal ein Dorf, son­dern der Name bezieht sich wirk­lich nur auf einen mitten in der Wild­nis stehenden Tempel, das ange­schlos­sene Ver­waltungs­gebäude und die Bus­station mit einer Tee-und-Snack-Bude. Das ganze liegt im bergigen Süden Rajasthans, nördlich von Udaipur, und außerdem ziemlich am Ende der Welt. Die karge Hügel­landschaft ist zwar besiedelt, aber meistens sieht man nur einzelne Lehm-und-Stein­hütten, deren Bewohner ertrag­armen Acker­bau versuchen und den größten Teil des Tages mit dem Suchen nach Feuer­holz beschäftigt zu sein scheinen.

Etwa drei Kilo­meter nörd­lich des Tem­pels findet man dann tat­säch­lich eine An­samm­lung von Hotels, leider nicht un­bedingt der bil­ligen Art, und noch ein paar Kilo­meter ent­fernt steht ein größeres Dorf. Ins­gesamt bleibt aber der Ein­druck weit­gehender Abge­schieden­heit, der das Wunder des Ranakpur-Tempels umso erstaunlicher macht.

Gate leading into Adinath Mandir Jain temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Man betritt den Adinath-Tempel durch ein reichverziertes Marmortor

Outside view of Adinath Mandir Jain temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Der Adinath Mandir ist mit Abstand der schönste Tempel der Gruppe

Der Tem­pel gehört zu den vier Haupt­heilig­tümern der Jains, einer nur in Indien und vor allem im Nord­westen ver­brei­teten Religions­gruppe, deren nur etwa 2 Crore Mit­glieder typischer­weise die höheren Ebe­nen der indi­schen Gesell­schaft besetzen: Die Jains be­wer­ten Bil­dung sehr hoch und betätigen sich über­wiegend als Händler, da es ihnen absolut ver­boten ist, Leben zu zerstören; und welchen hand­werklichen oder bäuerlichen Beruf gibt es schon, bei dem nicht gelegentlich ein Wurm oder eine Mücke daran glauben muß?

Der Jainismus wurde von Mahavir (dem „großen Helden“) gegründet, der wahr­scheinlich ganz knapp vor dem Buddha gelebt hat. Nach Meinung der westlich-analytischen Religions­wissenschafter ent­sprangen beide Religionen dem­selben Bedürfnis, dem zu dieser Zeit in ausufernden Ritualen erstarrten Hinduismus („Brahmanis­mus“) eine Anti­these in Form einer auf persönliche Erlösung bezogenen Lehre entgegen­zuhalten. Das würde die Ähnlich­keiten zwischen den beiden Doktrinen, vor allem in praktischer Hinsicht, ganz gut erklären; allerdings behauptete Mahavir, daß er der vierund­zwanzigste und letzte Jain-Lehrer (Tirthankar oder Furtbereiter) sei; sein Vorgänger Parshva­nath läßt sich noch historisch fassen, während alle früheren Tirthankaras fürs erste legendär bleiben. Der zeitliche Abstand zwischen Parshvanath und Mahavir von ungefähr zwei Jahr­hunderten ergäbe für den ersten Furtbereiter, Adinath, ein Datum irgendwo in der frühen bis mittleren Industalzeit, weit vor der Ein­wanderung der Arier. Die westliche Religions­wissenschaft lehnt die These eines prä-arischen Jainismus einhellig ab, aber den gläubigen Jain kümmert das nicht viel.

Idol of Tirthankara Adinath inside Adinath Mandir Jain temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Kultbild von Adinath, von einem trägen Wächter gegen unbefugtes Photographieren geschützt.

Hall with beautifully carved marble columns and elephants in Adinath Mandir Jain Temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Halle mit Säulen und Elefant

Intricately carved Marble Dome in Adinath Mandir Jain temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Marmorkuppel

Die Ähnlich­keiten zwischen Jainismus und Buddhismus (vor allem in der Hinayana-Variante) sind trotz eines verschie­denen theo­logischen Unter­baus ganz be­trächt­lich. Beide legen Wert auf persön­liche Lebens­führung, Medi­tation und Mönchs­tum zur Erlangung von Nirvana, dem Ende aus dem ewigen Kreis der Wieder­geburten, der – obwohl die Quelle allen Lebens – doch als negativ bewertet wird. Der Jainismus ist aller­dings konse­quenter, insbeson­dere im Gebot der Gewalt­freiheit (Ahimsa), und da er nie aus Indien exportiert wurde, hat er auch nichts vom fremden Religionen in sich aufgenommen – allerdings behaupten konservative Jains, so ziemlich jede Religion habe im Lauf der letzten fünftausend Jahre vom Jainismus profitiert.

Nach all die­sen Vor­bemer­kungen nun zum Tempel, des­sen über tausend Marmor­säulen (jede mit in­divi­dueller Aus­arbei­tung) vom Reich­tum der Jains zeugen. Durch die zahl­reichen Berufs­verbote auf Basis der Ahimsa blieb den Jains ja nicht viel anderes übrig, als Händler zu werden, und das bringt speziell zu diesen Zeiten mehr Ein­kommen als das pro­duzie­rende Ge­werbe. In einer nach Religions­zugehörig­keit ge­glie­derten Tabelle des Wohl­standes und der Bil­dung nehmen die Jains nach den zahlen­mäßig in­signifi­kanten Parsen den zweiten Platz ein. Sieht man die Ranakpur-Tempel, dann glaubt man das gerne.

Many-pillared walkway in Adinath Mandir Jain Temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Säulengang am Rande eines Innenhofes

Courtyard with living tree inside Adinath Mandir Jain temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

In den sonnigen Innenhöfen wachsen alte, knorrige Bäume

Light-flooded hall with exceptional marble carvings in Adinath Mandir Jain Temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Das Spiel mit Licht und Schatten erinnert an eine barocke Kirche

Während die Vormittage den Gläubigen vor­be­halten sind, darf nach­mittags jeder­mann und jede Frau die Tem­pel betreten. Es gibt vier kleinere und einen riesen­großen Tempel; letzterer ist Adinath, dem Ersten Furt­bereiter gewidmet, und für ihn muß ein Photo Permit er­standen werden; trotz­dem wachen etliche Uni­formierte mit Triller­pfeife penibel darüber, daß niemand die Kult­bilder von Adinath und anderen Tirthankaras auf JPG bannt. Aber das Sehens­werte sind ohnehin die Säulen, die Kuppeln und die elegant dekorierten Wände; Adinath wird eigentlich nur wegen der Heraus­forderung interessant, unauf­fällig aus der Hüfte mit hoher Brenn­weite quer durch den Tempel zu schießen.

Wenn ich von Touri­sten spre­che, so sind wie auch letz­tes Mal in Chittaur vor allem Inder gemeint; nur wenige Aus­länder tun sich die lange Fahrt an und kom­men meist von Udaipur auf einem Tages­ausflug hierher. Jene, die kommen, sind aber alle über­wältigt von einer geradezu barocken Bau­kunst, in der fein bearbei­teter Marmor und vor allem der Licht­einfall die wesent­lichen Elemente bilden. Der ungefähr kreuz­förmig angelegte Tempel hat vier Innen­höfe, durch die die Sonne Licht auf die Säulen mit ihrem Dekor aus Figuren, Blättern und geo­metri­schen Ornamenten wirft und dem Marmor interessante Farbschattierungen abgewinnen kann.

Indian Food: Vegetarian Meal served in Adinath Mandir Jain Temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Einfaches Essen im Tempel

Dining hall in Adinath Mandir Jain Temple, Ranakpur, Rajasthan (India)

Der Speisesaal im Ranak­pur-Tempel

Indian Food: Spinach Pakora with fried chiles

Sehr einfache Pakora mit gedünsteten Chilies

Kulinarisch kann Ranak­pur leider nicht so recht punk­ten. In mei­nem Hotel (des­sen Mana­ger beim Zimmer­preis sehr mit sich han­deln ließ) ist das Essen eben­so teuer wie fade, und sonst gibt es nur ver­schie­dene Snack­buden, die nichts außer Pakora und einem zuge­gebener­maßen sehr interes­santen Chili-Chutney an­bieten. Letzteres besteht im wesentlichen nur aus in Öl angedünsteten Chili­schoten und bietet die per­fekte Be­gleitung zu einem Krug Schwarz­tee und einigen staub­trocknenen Pakora-Stücken aus Kichererbsen­teig mit ein paar hinein­gemischten Spinat­blättern.

Trotzdem sind einige Bemer­kungen über die Jain-Küche ange­bracht. Wahr­schein­lich waren die Jains die ersten Vege­tarier Indiens, deren Ein­fluß auf Hindus und Bud­dhisten den Sub­kontinent bis heute zu einer fleisch­armen Zone gemacht hat; die frühen Hindu-Quellen geben keine beson­deren Hin­weise darauf, daß Fleisch­konsum verboten oder auch nur uner­wünscht ge­wesen wäre, lediglich die Heiligen Kühe genos­sen weit­gehenden aber nicht aus­schließ­lichen Schutz, da sie über Opfer­zeremonien doch noch den Weg in den Koch­topf fanden. Jains sind jedoch bis heute die konsequentesten Vegetarier: Sie verweigern auch wurmbefallenes Obst und filtern ihr Wasser, wobei der Filterinhalt fürsorglich in den Brunnen zurückgekippt wird. Außerdem akzeptieren sie keine Wurzelgemüse, weil einerseits beim Ernten Bodenlebewesen geschädigt und andererseits die Pflanzen bei der Ernte getötet werden; lediglich Ingwer ist davon ausgenommen, weil nur ein Teil des Wurzelstockes geerntet wird und die Pflanze sich daher wieder erholen kann.

Wie das in der Praxis funktioniert, konnte ich in der Kantine des Tempels sehen, wo einfache Jain-Speisen recht günstig vor­wiegend an Pilger aus­gege­ben werden: Ein einfaches Dal, zwei mäßig scharfe Curries und ein Klecks Mango-Pickle, dazu eine fast ungenießbar süße Nachspeise auf Basis von Grieß und Cardamom.

Ich werde noch einen Tag länger hierbleiben, denn in der Nähe steht eine noch abgelegenere und unbekanntere Sehenswürdigkeit: Das Fort von Kumbhalgarh, das ich (wenn Adinath mir nicht zürnt) in einem langen Tagesausflug morgen besuchen will.


Chittor Kumbhalgarh

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