Dhaulagiri-Massiv (8167 m), gesehen von Baglung. Der Berg ist ungefähr 60 km entfernt und anders als alle anderen Achttausender von Süden aus frei einsehbar. Die „Hügel“ links haben Höhen von gut 6000 m, der Hauptgipfel mißt 8167 m.
Das Tal der Kali Gandaki nahe Baglung
Hier sieht man, wie der Machapuchare (6993 m) zu seinem Namen „Fischschwanz“ kommt
Annapurna (8091 m)
Liebe Birgit,
wer in die Berge will, der hat es oft schwer. Zum Beispiel, wenn gestreikt wird und keine Busse fahren; besonders schlimm ist es, wenn der Streik mittlerweile bereits eine Woche dauert und kein Ende abzusehen ist. Der Italiener pflegt solche Vorkommnisse sehr treffend mit dem Ausdruck Porco Dio zu kommentieren, und dem schließe ich mich gerne an.
Hier sieht man, wie der Machapuchare (6993 m) zu seinem Namen „Fischschwanz“ kommt
Aber nun der Reihe nach: Ich will hoch in den Himalaya, und zwar nach Muktinath, einem uralten Pilgerzentrum im Südteil des Mustang-Distriktes. Dieser Ort ist der Endpunkt des berühmten Jomsom-Treks, den jahrjährlich zigtausende Nepal-Touristen zu Fuß zurücklegen. Seit zwei Jahren gibt es aber auch eine Straße von Pokhara nach Jomsom, und daher kann ich den Weg motorisiert bewältigen. Oder so …
Annapurna (8091 m)
Man muß Pokhara nicht mögen — aber zugegebenermaßen hat nicht jeder Ort dieser Welt einen Busbahnhof mit solcher Aussicht
Der größte Teil des Weges liegt im Annapurna-Schutzgebiet und darf von Ausländern nur mit einem teuren Permit betreten werden, das man in Pokhara beantragen muß. Just an dem Tag, an dem ich mein Permit ausgestellt bekam, begann der Ärger, der mit der bereits erwähnten Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung zusammenhängt. Die Sache scheint sehr konfus zu sein, aber ich habe sie mir aus mehreren Gesprächen mit Nepali ungefähr so zusammengereimt: Irgendeine maoistische Splitterpartei will die Wahlen sabotieren und hat deshalb zehn Tage vor der Wahl einen zehntägigen Generalstreik (Banda, wörtlich „Zusperren") ausgerufen. Eigentlich will zwar niemand außer ein paar radikalen Politikern streiken, aber bei der Herdenmentalität der Nepali ist Ungehorsam völlig undenkbar, und außerdem könnte ja ein Maoist auftauchen und den Streikbrecher verprügeln oder ihm eine Bombe in den Vorgarten pflanzen. Deshalb schimpft das ganze Land, stöhnt unter dem Zusammenbruch der Infrastruktur, und tut nichts dagegen. Viele sehnen sich den König zurück, da gab es wenigstens keine Wahlen und kein damit verbundenes Chaos.
Man muß Pokhara nicht mögen — aber zugegebenermaßen hat nicht jeder Ort dieser Welt einen Busbahnhof mit solcher Aussicht
Dieser Frau in Kushma scheint der Streik ziemlich egal zu sein
Man muß Pokhara nicht mögen — aber zugegebenermaßen hat nicht jeder Ort dieser Welt einen Busbahnhof mit solcher Aussicht
Nach einer Woche Abwarten in Pokhara wurde es mir zu blöd, und entgegen allen Warnungen checkte ich frühmorgens aus dem Hotel aus, machte mich zum Busbahnhof auf und erfuhr von einer Horde geschäftstüchtiger Taxifahrer, daß zwar kein Bus geht, ich aber gerne ein Fahrzeug chartern könnte, zu entsprechendem Preis natürlich. Ich ließ mich nicht vergrämen, wartete einfach ab und — siehe da — drei Stunden später tauchte ein blitzblauer Bus von irgendwoher auf und lud Fahrgäste ein. Ich bekam ein Ticket nach Baglung ausgestellt, mit streikbedingt verdoppeltem Fahrpreis, versteht sich. Das ist zwar nur die Hälfte der ganzen Strecke (und ein knappes Viertel der Reisezeit), aber immerhin besser als nichts. Und los ging es.
Dieser Frau in Kushma scheint der Streik ziemlich egal zu sein
Dhaulagiri hinter Bananenstauden
Die Straße führt zunächst nach Norden und biegt dann nach über einen Paß nach Westen ab; danach folgt sie dem Modi-Fluß abwärts bis Kusma und schwenkt dort in das Tal der Kali Gandaki ein (von den letzten Metern dieses Flusses haben ich übrigens schon einmal berichtet). Dieses Tal wird sie bis Jomsom nicht mehr verlassen, aber so weit kam ich an diesem Tag natürlich nicht: Kurz nach Kushma, der ersten und letzten Stadt auf dem Weg, blieb der Bus nämlich stehen, und alle stiegen aus. Die paar schäbigen Hütten am Straßenrand konnten unmöglich die Distrikt- und Zonenhauptstadt Baglung sein, und so wurde ich etwas nervös, weil mich das Ganze fatal an die nervenaufreibende Fahrt am Karnali-Highway zu erinnern begann. Man erklärte mir: Nein, dieses Kaffoid hier heiße Maldunga, bis nach Baglung seien es aber nur noch drei Kilometer, und das könnte ich ja auch zu Fuß gehen; der Bus würde jedenfalls nicht hinfahren, ganz gleich, was auf mein Ticket gekritzelt stünde.
Dhaulagiri hinter Bananenstauden
In Baglung ist der Dhaulagiri fast von überall sichtbar
Der Kalika Mandir
Da Maledunga ganz allgemein über keine zivilisatorische Features und speziell über keine Unterkünfte verfügt, war ich mal kurzfristig frustriert, aber glücklicherweise erhielt ich eine Mitfahrgelegenheit in einem Militärjeep, der mich die kurze Strecke vom Jomsom-Highway auf einer Stichstraße nach Baglung mitnahm; dort bekam ich zumindest einmal ein Bett für die erste Nacht (weitere sollten folgen, porco dio!). Die Stadt ist überraschend groß und nicht besonders sehenswert; sie scheint von ethnischen Nepali und Magar bewohnt zu sein, und mir fällt auf, daß die Geschäfte und Restaurants ziemlich in weiblicher Hand sind und überall Teenager-Gören in engen Stretch-Hosen entlangtollen. In Nepal wird es ja immer feministischer, je höher man die Berge kommt.
Ein Bronzelöwe hält Räucherstäbchen in der Hand
In Baglung ist der Dhaulagiri fast von überall sichtbar
Der Kalika Mandir
Definitiv das Schönste in Baglung sind die Ausblicke auf den Dhaulagiri, den „schneeweißen Berg“; er liegt etwa 60 km im Norden der Stadt und steht den ganzen Tag über im vollem Sonnenglanz. Sein zentraler Teil ist unglaublich kompakt und steigt auf drei Seiten so steil auf, daß man die Silhouette eher mit einem Gebäude als mit einem Gebirge assoziieren würde; die flachere Nordostflanke, über die dieser siebenthöchste Berg der Welt bestiegen werden kann, ist von hier aus nicht zu sehen.
Der Kalika Mandir
Ein Bronzelöwe hält Räucherstäbchen in der Hand
Eine Taube sitzt auf einem Bronze-Nandi
Leicht süßes Reisbrot (Chamal Roti)
Der Kalika Mandir
Auf dem Weg zwischen Baglung und Maledunga liegt der größte Tempel des Ortes: Der Kalika Bhagavati Mandir. Dazu zweigt man von der Straße ab und erreicht den Tempel nach einem kurzen Marsch durch den lichten Laubwald; zuletzt passiert man eine Galerie von Glocken. Mit seinem pagodenartigen Bau und den bronzenen Löwen am Eingang erinnert der Tempel ein bißchen an die Newar-Bauten im Kathmandu-Tal, zugleich strahlt er aber auch die urtümliche Kraft der Himalaya-Heiligtümer aus. Im ersten Stock wurden duftende Hölzer verbrannt, aber der olfaktorische Gesamteindruck blieb trotzdem durchwachsen, weil zeitgleich hinter dem Tempel ein Riesenberg Abfälle dahinkokelte, offenbar die Reste der Diwali-Opfergaben aus der Vorwoche.
Eine Taube sitzt auf einem Bronze-Nandi
Gleich hinter dem Tempel lockt ein Aussichtspunkt, der genau über Maledunga liegt und einen prächtigen Ausblick auf das Tal der Kali Gandaki erlaubt; man kann auch ein langes Stück der Straße einsehen, aber Busse waren keine zu erblicken. Das Tal ist ziemlich eng und steil, und diese Qualitäten sollen sich noch wesentlich steigern, wenn man weiter flußaufwärts kommt; aber zur Zeit hege ich ernste Zweifel, ob mir das je gelingen wird.
Leicht süßes Reisbrot (Chamal Roti)
Schnelles Tomaten-Chutney
Gundruk-Suppe mit grünem Chili
Leicht süßes Reisbrot (Chamal Roti)
Beim Essen erlebte ich eine freudige Überraschung: Irgendwo im Marktviertel fand ich gleich neben dem Internet-Café eine Kneipe mit dem Namen Myagdi Khaja Ghar, also „Myagdi-Speisen-Haus“ (Myagdi ist der nördliche Nachbardistrikt, und damit der nächste auf dem Reiseplan). Ich erwartete also lokales Essen und wurde nicht enttäuscht: Eine Magar-Dame mit zwei Töchtern nahm sich meiner an und versüßte mit den Zwangsaufenthalt mit einer echten Magar-Spezialität. Das „Versüßen“ ist dabei ganz ernst gemeint, denn bereits beim ersten Besuch erhielt ich Chamal Roti, das ist ein dickes Brot aus leicht gesüßtem Reisteig, das in der Pfanne langsam gegart wird und daher mit einem saftigen Innenleben unter knuspriger Kruste betört. Dazu reichten mit die Damen ein Tomaten-Chutney, das auch als méxicanische Salsa Cruda durchgegangen wäre; es wird frisch aus Tomaten, Knoblauch, Salz, Timur, Curcuma- und Chilipulver auf einem flachen Steinmörser zusammengerieben.
Gundruk-Suppe mit grünem Chili
Ebenfalls begeistert hat mich die Gundruk-Suppe, die ich seit über einem Jahr schmerzlich vermißt habe. Nachdem sich die Damen vorsorglich erkundigt hatten, ob ich wohl Chilies vertrage, wurde in Nullkommanichts ein schmackhaftes Süppchen gezaubert: Ein paar Körner Kreuzkümmel und zwei grüne Chilischoten wurden in etwas heißem Öl gebraten, mit Wasser abgelöscht, und dann kamen noch Salz, Curcumapulver und der getrocknete Kohl dazu; zwei Minuten köcheln, und der anspruchslose Tourist ist happy. Gundruk, also trocken mit Salz fermentierte Senfkohlblätter und -stengel, schmeckt erstaunlich komplex und punktet mit warmer Erdigkeit und Obertönen von Sauerkraut und Sojasauce. Er gilt offenbar als Essen für Arme und wird einem Ausländer daher fast nie angeboten; wer nicht extra danach fragt, der bekommt ihn auch bei noch so vielen Nepal-Aufenthalten nicht zu schmecken.
Und wie geht es weiter? Wird der Streik nach der Wahl (noch zwei Tage!) endlich beendet, oder werden die Maoisten dann ganz durchdrehen und wieder zu den Waffen greifen? Komme ich hier jemals wieder weg, und wenn ja, werde ich dann mehr von den Bergen sehen? Das ist zwar immer noch die gleiche Geschichte, aber sie soll erst das nächste Mal erzählt werden.
Annapurna, Annapūrṇā, Bāgluṅ, Baglung, Banda, Cāmal Roṭī, Caṭnī, Chamal Roti, Chutney, Dhaulagiri, Dhaulāgirī, Divālī, Diwali, Himalaya, Himālaya, Indien, indischer Subkontinent, Jomsom-Highway, Kali Gandaki, Kālī Gaṇḍakī, Kalika Bhagavati Mandir, Kālikā Bhagavatī Mandir, Kalika Mandir, Kālikā Mandir, Karnali, Karṇālī, Kāṭhmāṇḍau, Kathmandu, kulinarische Reiseberichte, Kushma, Kusma, Kuśmā, Māchāpucchre, Machapuchare, Magar, Maldunga, Maledunga, Māleduṅgā, Modi, Modī, Muktinath, Muktināth, Mustāṅ, Mustang, Myagdi, Myāgdī, Myagdi Khaja Ghar, Myāgdī Khājā Ghar, Nepal, Nepāl, Nepali, Nepālī, Nevār, Newar, Pokhara, Pokharā, Reisebriefe, Streik, Timur, Ṭimur