Der angeblich 1500 Jahre alte Buddha
Thamel ist schamlos touristisch …
… und wird in der Nacht protzig beleuchtet, allen Energiesparmaßnahmen zum Trotz …
… aber selbst hier gibt es echt Nepalisches zu sehen.
Thamel ist schamlos touristisch …
Liebe Birgit,
Kathmandu verleitet immer ein bißchen zum Herumtrödeln: Das Leben ist (besonders nach Hauptstadt-Verhältnissen) recht billig, die Küche schmeckt ausgezeichnet, und die nahe Altstadt deckt für lange Zeit das Aktivitätsbedürfnis ab. Dazu kommen die jegliche Initiative lähmenden Stromrationierungen — niemals zuvor bedurfte es einer solchen vorausschauender Planung, täglich an etwas Laptop-Arbeit, an eine warme Dusche und an aufgeladene Kamera-Akkus zu kommen.
… und wird in der Nacht protzig beleuchtet, allen Energiesparmaßnahmen zum Trotz …
… aber selbst hier gibt es echt Nepalisches zu sehen.
In seinem Zentrum ist Thamel grell, bunt und laut — dort stehen die traditionsreichsten Hotels und Restaurants, die in manchen Kreisen als must-haves gelten und daher ein unterirdisches Preis–Leistungs-Verhältnis anbieten können. Westliche Musik dröhnt überlaut aus den Türen und Fenstern der italienischen, méxicanischen, japanischen und internationalen Restaurants, und trotz der Stromrationierungen glüht allabendlich die Beleuchtung ungefähr so, wie ich es mir in meiner Jugend von Las Vegas vorgestellt habe. Mein Hotel liegt außerhalb dieser Kernzone, und daher geht es am späteren Abend doch deutlich ruhiger zu, auch wenn die Straße niemals vollständig schlafen will.
… aber selbst hier gibt es echt Nepalisches zu sehen.
Der Nateshwar Mandir
Läuft man die Straße vom Thamel Chowk nach Süden, so kommt man zuerst zu meiner Unterkunft, danach zum Chengdu Hotel (davon später mehr), und ein oder zwei Querstraßen weiter geht das Touri-Ghetto unmerklich in die echte Altstadt über: Am Straßenrand stehen tibetische Stupas und kleine Reliefs mit Szenen der Hindu-Mythologie, letztere immer geschmückt mit rotem Farbpulver, ein paar Blüten und vielleicht einem winzigen Speiseopfer. Frühmorgens kann man einheimische Frauen dabei beobachten, wie sie auf dem Weg zur Arbeit oder dem täglichen Einkauf am Markt bei einem Schrein ihrer Haus­'gottheit Halt machen und einen kleinen Beitrag zu seinem Schmuck liefern.
Der Nateshwar Mandir
Das im Newari-Stil erbaute buddhistische Kloster Dharma Kirti Bihar
Der Nateshwar Mandir
Der angeblich 1500 Jahre alte Buddha
Der erste größere Platz, auf den man dann stößt, heißt Thahiti Tole. In seinem Zentrum prangt ein schneeweißer Stupa, und an der Nordseite steht ein Tempel mit zweistufigem Dach: Er ist Shiva in seinem Aspekt als Nateshwara (Herr der Tänzer) gewidmet — links über dem Eingang sieht man auch ein tanzendes Skelett. Shiva ist ja fúr seine Tanzkünste berühmt, und sein Tanz setzt solche Energien frei, daß er damit das ganze Universum periodisch verbrennt und erneuert. Man nennt ihn auch oft Natraja, den „König der Tänzer“, und stellt ihn tanzend inmitten eines Feuerkreises dar.
Das im Newari-Stil erbaute buddhistische Kloster Dharma Kirti Bihar
Weiter nach Süden führt eine Straße namens Naghal, die mit einer breiten Palette an Attraktionen lockt: Ein buddistisches Zentrum mit Stupa und Klöstern in einer Seitengasse, einige Schreine von beträchtlichem künstlerischem Wert am Straßenrand, unzählige Juwelierläden, mein bevorzugtes Newari-Restaurant (davon ein andermal mehr), und all das auf etwa 100 m Länge! Danach kommt man wieder zu einem offenen Platz, der Bangemudha heißt. Von ihm, seinem hübschen Vishnu-Tempel, den dort ansässigen Zahnärzten und dem skurrilen Zahnweh-Schrein gleichen Namens habe ich Dir bereits geschrieben.
Der angeblich 1500 Jahre alte Buddha
Shivakopf
In Bangemudha kann man aber noch etwas sehen: Eine ungewöhnliche Buddha-Statue in Gartenzwerggröße, die ziemlich ungeschützt neben den Stufen zu einer Zahnarztpraxis steht. Der Buddha ist als solcher kaum zu erkennen, denn die Statue ist älter als die kanonische buddhistische Ikonographie — angeblich steht sie seit fünfzehnhundert Jahren an dieser Stelle. Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, wo ein so altes und unschätzbares Kunstwerk so achtlos, beinahe vernachlässigt allen Unwägbarkeiten der Existenz preisgegeben am Straßenrand dahingammelt und stets in der Gefahr schwebt, seinem Karma in Form eines betrunkenen Motorradfahrers oder eines profitsüchtigen Kunstdiebes zu begegnen.
Shivakopf im Akash Bhairabnath Mandir
Buddhistische Kunst im Itum Bahal
Dieser Innenhof beherbergt den Narasingha Mandir
Shivakopf im Akash Bhairabnath Mandir
Eine Straße weiter südlich stößt man dan auf einen großen Platz namens Indra Chowk, der vom großen Tempel des Akash Bhairabnath dominiert wird. Er wird von bronzenen Löwen bewacht, und hat einen großen Innenraum, in dem man mit schweren Silberarbeiten verzierten Shiva-Köpfe bewundern kann. Eine enge Straße voller kleiner Läden führt von dort nach Westen, und wer genau aufpaßt, der kann rechts einen winzigen Durchgang finden, der sich zum Itum Bahal öffnet, einem fußballfeldgroßen Hinterhof, der mit einigen Stupas geschmückt ist und auch ein kleines Kloster beherbergt, leicht zu erkennen an den zwei Löwenfiguren vor dem Eingang. Schwatzende Frauen und Männer vertreiben sich hier die Zeit — und das inmitten einer Ansammlung von Kunstwerken, die jedes Museum in der westlichen Welt vor Neid erblassen ließe.
Dieser Innenhof beherbergt den Narasingha Mandir
麻婆豆腐, prickelnd–scharfer Doufu
Etwas weiter kommt man dann zu einem schönen Kali-Tempel namens Naradevi Mandir, und mit etwas Mühe findet man in der Nähe auch einen kleinen Innenhof, der außer schönen Holzfassaden, spielenden Kindern und bunter Wäsche an kreuz und quer gespannten Leinen auch noch den reichgeschmückten Narasingha-Tempel bietet. Zu diesem Zeitpunkt hat mich mein Spaziergang durch die Altstadt kaum mehr als 10 Minuten vom Hotel weggeführt.
麻婆豆腐, prickelnd–scharfer Doufu
家常豆腐, Doufu im Familienofen
蒜泥黄瓜, Knoblauch mit Gurke
Ich könnte noch länger so weiterschreiben, aber nun will ich lieber zum Eßbaren kommen; und wie zuletzt angekündigt, bleibe ich bei der chinesischen Küche. Das Chengdu Hotel bietet auch eine Anzahl von vegetarischen Speisen, die man kulinarisch in mehrere Gruppen teilen kann. Aus westlicher Sicht kann ich drei verschiedene Typen erkennen: Hauptspeisen, Salate und Beilagen.
蒜泥黄瓜, Knoblauch mit Gurke
麻婆豆腐, prickelnd–scharfer Doufu
家常豆腐, Doufu im Familienofen
Die Gruppe der vegetarischen Hauptspeisen umfaßt pikant gewürzte Gerichte, die mit Reis eine vollständig befriedigende Mahlzeit ergeben. Die meisten davon enthalten den Bohnenkäse Doufu 豆腐 und liefern daher auch hinreichende Mengen an Protein. Die bekannteste dieser Speisen ist Ma-po dou-fu 麻婆豆腐, ein typisches gewoktes Sichuan-Gericht mit einem starken Aroma von gebratenem Knoblauch und der scharfen Chili–Bohnen-Paste Doubanjiang 豆瓣酱, die das reichlich verwendete Öl ziegelrot färbt. Etwas leichter schmeckte Jia-chang dou-fu 家常豆腐, das in der Speisekarte als „nach Familienart“ übersetzt wurde. Dabei handelte es sich um große Stücke Doufu in einer sojalastigen, bräunlichen Sauce.
蒜泥黄瓜, Knoblauch mit Gurke
姜汁菠, Spinat mit Ingwer
酸辣杂菜, pikanter Kohlsalat
山椒蕨菜, Farnspitzen-Salat
Kalte, oft rohe Gemüsespeisen sind nach westlicher Terminologie am besten als Salate zu bezeichnen, werden aber nicht als Vorspeise, sondern eher als Beilage gegessen. Dazu gehören knackige Gurkensalate, wie etwa Suan ni Huang-gua 蒜泥黄瓜. Das bedeutet zwar einfach nur „Gurke mit Knoblauch“, sollte aber eher „Knoblauch mit Gurke“ lauten: Die Gurkenstücke werden mit gehacktem rohen Knoblauch, Essig und Sesamöl zu einem äußerst erfrischenden Salat verarbeitet. Weniger knackig, aber ebenso geschmackvoll ist Jiang-zhi bo-cai 姜汁菠, gekochter Spinat mit einem Dressing aus geraspeltem frischem Ingwer. Zu meiner Überraschung fand ich in einem sonst nicht so beeindruckenden Restaurant auch jenen süß–sauer–pikanten Kohlsalat, der in Österreich zur Standardausrüstung jedes China-Restaurantoids gehört: Er nannte sich Suan La Za-cai 酸辣杂菜.
姜汁菠, Spinat mit Ingwer
酸辣杂菜, pikanter Kohlsalat
山椒蕨菜, Farnspitzen-Salat
白油冬瓜, gekochter Wachskürbis
素炒萝卜丝, gedünsteter Rettich
Auch exotische Gemüse können zu Salaten verarbeitet werden: Shan-jiao jue-cai 山椒蕨菜 erwies sich als ein wenig amalgamiertes Gemisch von einigen rohen Zutaten mit gekochten Farntrieben, de ein bißchen wie Spargel aussehen. Diese Farne haben übrigens gesundheitstechnisch einen schlechten Ruf, weil sie angeblich Magenkrebs verursachen, aber sie sind in China trotzdem sehr beliebt. Ich fand ihre zart–spargelartige und zugleich etwas glitschige Konsistenz irgendwie, naja, merkwürdig.
白油冬瓜, gekochter Wachskürbis
素炒萝卜丝, gedünsteter Rettich
炒大白菜, gedünsteter Kohl
干煸苦瓜, trockene Bittermelone
Die warmen Gemüsespeisen schmecken dagegen oft sehr wenig gewürzt und geradezu fade; sie sind ja auch hauptsächlich als Beilagen gedacht und sollen durch Optik und Konsistenz einen Kontrast zu den schwer gewürzten, von Brataromen und Chili durchzogegen Fleischspeisen bieten. Ein typisches Beispiel für diese institutionalisierte Langeweile ist „Wachskürbis in weißem Öl“ Bai-you dong-dua 白油冬瓜, worunter man sich transluzente, butterzarte Kürbisstücke in einer vollständig farblosen, milden wäßrigen Sauce vorstellen muß. Ähnlich fade schmeckt auch der gedünstete Rettich Su-chao Luo Bu-Si 素炒萝卜丝 (ich interpretiere das als „Seidig gebratener Rettich in Form von weißen Fäden“), aber zusammen mit hochgewürztem, fettigen Fleisch entfalten diese ganz simplen Zubereitungen dann doch ihre kulinarischen Meriten.
炒大白菜, gedünsteter Kohl
干煸苦瓜, trockene Bittermelone
鱼香茄子, Fischduft-Aubergine
麻辣汤, feurige Suppe
Auch der gewokte Chinakohl Chao da-bai-cai 炒大白菜 schmeckt in seiner Standardausführung recht fade; es gelang mir aber, den Koch davon zu überzeugen, daß er doch bitte etwas Chili und Sichuanpfeffer hinzufügen sollte; und dann kann man es sich schon schmecken lassen. Dagegen wird die geschmacksintensive Bittermelone per Default mit kräftigen Mengen Chili zubereitet, weil man ihre Bitterkeit sonst kaum ertragen könnte: Gan-bian Ku-gua 干煸苦瓜 heißt einfach „trocken gebratene Bittermelone“, und diese Speise macht sich in einer üppigen Menüfolge gar nicht so schlecht, weil man sofort Appetit bekommt, die Bitterkeit mit etwas anderem zu verdrängen.
鱼香茄子, Fischduft-Aubergine
麻辣汤, feurige Suppe
Ein sehr geschmackvoller Gemüseklassiker ist Yu-xiang qie-zi 鱼香茄子, die „Aubergine mit Fischduft“. Die als „Fischduft“ oder „Fischgeschmack“ bezeichnete Würzmischung kombiniert süß, sauer, scharf und knoblauchig zu einem sehr attraktiven Gesamtergebnis, dessen süße Lieblichkeit und mollige Konsistenz Hauptspeisen wie den letztes Mal beschriebenen gebratenen Speck Huiguo Larou 回锅腊肉 perfekt begleitet. Die Yuxiang-Mischung heißt angeblich deshalb so, weil sie besonders gut zu Fisch paßt; allerdings kenne ich sie nur in Zusammenhang mit Aubergine oder Schweinefilet.
麻辣汤, feurige Suppe
Eine letzte vegetarische Speise, die ich nicht auf der Karte, sondern am Nachbartisch fand, war Ma-la tang 麻辣汤, die „prickelnd–scharfe Suppe“. Es handelte sich einfach um eine fleischlose Variante meines so sehr geschätzten Shuizhu Rou 水煮肉, bei der anstelle des Schweinefleisches transparente Bandnudeln und verschiedene Gemüse die superscharfe Brühe bevölkern.
Von den nahen Sehenswürdigkeiten werde ich wenigstens eine noch besuchen und Dir davon einen ausführlichen Bericht schicken: Das ist der Changu Narayan Mandir, der größte und schönste Vishnu-Tempel des Kathmandu-Tales.
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